Die „Zeitenwende“ auch in der Energieversorgung bedeutet enorme Herausforderungen. Wirtschaftlichkeit und Bezahlbarkeit zu erhalten, die ökologische Transformation zu beschleunigen, aber auch die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist derzeit nicht leicht. Der Abbau von einseitigen Energieabhängigkeiten, eine beschleunigte Transformation zu erneuerbaren Energien, aber auch der Erhalt von Standorten und damit die Wirtschaftsstruktur und Lebensqualität in den Regionen – all das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Nicht nur für verbrauchsstarke Industrieregionen im Süden und Westen der Republik ist dies eine substanzielle Herausforderung, sondern auch für die energieerzeugungsstarken Regionen im Norden und vor allem im Osten der Republik.
In Richtung grüner Wasserstoff
Die Folge ist, dass nahezu alle bestehenden Kraftwerksstandorte zukunftsfähig, das heißt ökologisch-erneuerbar und zusätzlich ökonomisch-tragfähig weiterzuentwickeln sind, um die Versorgungssicherheit des Landes und die wirtschaftliche Substanz der Regionen nicht weiter zu gefährden. Ein zentrales Beispiel ist die sukzessive Transformation der heute noch erdgasbasierten Industrie in Richtung grünen Wasserstoffs.
Diese (technologische) Transformation kann die Wirtschaft leisten, sie benötigt dazu aber den nötigen politischen Rückenwind auf Bundes- und auch Länderebene. Stichwort Netzausbau: Die Leitungen müssen so dimensioniert sein, dass sie den Dauerbetrieb der neuen Kraftwerke am Markt im Rahmen dieser Transformation ermöglichen. Dies gilt auch für neue Wasserstoffnetze, da ein großes Kraftwerk selbst bei maximalem regionalem Ausbau von erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Wind nicht aus der Wasserstoff-Elektrolyse vor Ort komplett versorgt werden kann.
Zukunftsfeste Standorte auch in Ostdeutschland zentral
Gerade in den erzeugungsstarken Regionen Ostdeutschlands sind Kraftwerksstandorte als Energie- und Industriestandorte umzubauen, um die Erzeugung nachhaltig zu gestalten und die Reviere nach dem Kohleausstieg nicht wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch zu destabilisieren, sondern zukunftsfest zu machen. Dazu braucht es „wasserstoffkompatible“ Gaskraftwerke. Die Standorte benötigen dafür allerdings für eine Übergangszeit auch eine verlässliche Erdgasversorgung per Pipeline. Strategisch notwendig ist dafür eine länderübergreifende Kooperation von Politik und Wirtschaft – von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze. Im aktuellen Gasnetzentwicklungsplan wurde dies bereits verankert.
Doch mangelt es an der Umsetzung. Nur die Errichtung einer Pipelineinfrastruktur ins Lausitzer Revier ermöglicht es, dass die dortigen Kraftwerkskapazitäten eine zeitnahe und praktikable Umstellung auf grünen Wasserstoff umsetzen können. Zwar sieht die Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie durch das BMWK erstmals die Erprobung und im Anschluss den Markthochlauf von Wasserstoffkraftwerken vor 2030 vor. Dazu soll allerdings ein gemeinsamer Wasserstoffnetzbetreiber mit staatlicher Beteiligung gegründet werden, was die Ferngasnetzbetreiber ablehnen, da sie Wasserstoffnetze dort einbringen müssten sowie mit ihren Erdgasfernleitungen einem schrumpfenden Geschäft bis spätestens 2045 gegenüberstünden.
Damit läge die Planung und Realisierung für Wasserstoffnetze allein in den Händen des BMWK. Im aktuellen „Monitoringbericht Versorgungssicherheit“ plant das BMWK mit neuen wasserstoffkompatiblen Erdgaskapazitäten an KWK-Standorten vorwiegend unterhalb des deutschen Stromnetzengpasses, also vor allem Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern.
Eine solche Fixierung auf den Stromnetzengpass könnte dazu führen, dass die notwendigen Wasserstoffinfrastrukturen in Ostdeutschland zeitlich deutlich ins Hintertreffen geraten. Dies könnte die Regionen in ihrer Transformation gefährden. Folglich braucht es die politische Unterstützung der ostdeutschen Länder, deren Kraftwerksstandorte sich im Transformationsprozess hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung befinden. Die bisherige Berücksichtigung Ostdeutschlands, wie beispielsweise der Lausitz oder des mitteldeutschen Reviers, mit seinen exponierten Vorteilen bei der künftigen Erzeugung erneuerbarer Energien, ist allerdings bislang völlig unzureichend. Sie spielen auf der zukünftigen deutschen und europäischen Wasserstoffnetzkarte so gut wie keine Rolle.
Ostdeutsche Perspektive aufnehmen
Die Nationale Wasserstoffstrategie muss deshalb zwingend um eine ostdeutsche Perspektive ergänzt werden. Es müssen geeignete wasserstoffbasierte Transportinfrastrukturen für eine dekarbonisierte Industrie und neue klimaneutrale Kraftwerke in diesen Regionen geschaffen werden. Eine enge Abstimmung zwischen den Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern mit Bund und Ländern ist vor diesem Hintergrund unverzichtbar. Die Geschwindigkeit des Infrastrukturausbaus hin zu einer ökologischen und wirtschaftlich nachhaltigen Region ist entscheidend. Maßstab muss das postulierte „Deutschlandtempo“ bei der Genehmigung und Errichtung der LNG-Terminals sein.
Hierfür sind Planungs- und Genehmigungsverfahren für den notwendigen Netzausbau im Gasbereich schnellstmöglich zu beschleunigen und umzusetzen. Die ostdeutschen Bundesländer sollten bei der Überarbeitung der Wasserstoffstrategie des Bundes darauf drängen, dass sämtliche Kraftwerksstandorte berücksichtigt werden, um nicht weiter den Anschluss zu verlieren. „Zeitenwende“ bedeutet folglich auch, neue regelbare Kraftwerkskapazitäten gerade in den ostdeutschen Revieren zu berücksichtigen – für eine ökologische und wirtschaftliche Versorgungssicherheit. Und nicht zuletzt auch für die Verbrauchsregionen im Süden und Westen der Republik.
Dr. Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand
des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge
e.V. an der Universität Leipzig.