Es besteht ein relativ breiter Konsens darüber, dass Deutschland langfristig bedeutende Mengen an nachhaltig produziertem Wasserstoff oder Folgeprodukten importieren muss, um seine Klimaziele einzuhalten, ohne die Akzeptanz für inländische Stromerzeugung zu überfordern.
Der Fokus der Debatte um die internationale Dimension der deutschen Wasserstoffstrategie lag bisher vor allem auf den potenziellen Lieferländern für Grünwasserstoff. Das sind Länder und Regionen mit erheblichen Ressourcen für preisgünstige erneuerbare Energien wie Norwegen, Island, Nordafrika, der Mittlere Osten, Australien oder Chile.
Als wichtige Partner sollten aber auch gleichgesinnte Importländer betrachtet werden. Das sind Länder und Regionen, die ähnlich wie Deutschland heute sowie voraussichtlich auch im Rahmen eines auf erneuerbare Energien basierenden Energiesystems einen hohen Importbedarf haben (werden). Unter den künftigen Importländern braucht Deutschland vor allem Partner, die ein echtes Interesse an der Nachhaltigkeit des von ihnen künftig importierten Wasserstoffs haben. Dazu können neben mehreren EU-Ländern zum Beispiel auch Kalifornien, der Nordosten der USA, sowie im günstigsten Fall Japan, Korea und weitere asiatische Länder zählen.
Kooperation statt Wettbewerb
Nicht zielführend wäre die Auffassung, dass die Beziehungen zwischen den Käuferländern eher vom Wettbewerb um das knappe Gut Grünwasserstoff als von Kooperation geprägt sein sollte. Aus zwei Gründen:
Erstens, weil diese Auffassung eine statische Vision des Wasserstoffmarkts voraussetzt. Tatsächlich ist Grünwasserstoff heute nur sehr knapp und auch künftig bestimmt nicht unbegrenzt verfügbar. Substanzielle technische Fortschritte und Skaleneffekte bei Produktion, Transport, Speicherung und Anwendung sowie eine Ausweitung des Angebots und sinkende Kosten sind aber wahrscheinlich. In einem solch dynamischen Markt haben alle (potenziellen) Käufer ein gemeinsames Interesse an einem schnellen Markthochlauf.
Zweitens wegen der im Wesentlichen klimapolitischen Begründung Deutschlands Interesses an Wasserstoff als Energieträger. Nach der Wettbewerbslogik wäre Deutschland dann erfolgreich, wenn es einen größeren Anteil der knappen Ressourcen für sich sichern könnte. Aber wo läge der Vorteil, wenn dadurch andere Länder keinen hinreichenden Zugang zu Grünwasserstoff hätten und weiterhin fossile Brennstoffe nutzen würden? Der klimapolitische Sinn der Wasserstoffstrategie muss bezweifelt werden, wenn Deutschland damit anderen Ländern den Weg hin zur Dekarbonisierung erschwert oder versperrt.
Gemeinsame Interessen der Importländer
Deutschland teilt mit anderen potenziellen, klimapolitisch motivierten Importländern zwei zentrale Interessen. Erstens sollten die Länder die Botschaft senden, dass sie langfristig erhebliche Mengen nachhaltig produzierten Wasserstoffs bzw. dessen Folgeprodukte aus Regionen importieren werden, in denen die Herstellung deutlich günstiger bzw. in größerem Umfang möglich ist. Zweitens wäre es vorteilhaft, sich auf gemeinsame Nachhaltigkeitskriterien für Wasserstoff zu einigen.
Je mehr und je gewichtigere Länder und Regionen solche Botschaften senden, desto stärker der Anreiz für Investoren, Technologieanbieter, Projektentwickler und für die Politik der potenziellen Lieferländer, sich auf die künftige Nachfrage einzustellen, und desto schneller kommen Technologieentwicklung, Skaleneffekte, und sinkende Preise zustande.
Eine gebündelte internationale Nachfrage ergibt einen weiteren Vorteil: größere Absatzmärkte für deutsche Unternehmen, die bei Technologie, Engineering, Projektentwicklung und anderen Dienstleistungen für erneuerbare Energien und Grünwasserstoff oft führend sind.
Wenn die wichtigsten potenziellen Käufer einen Konsens bezüglich ausreichend ehrgeiziger und zugleich realistischer Nachhaltigkeitskriterien erreichen, stärken sie damit
ihre Verhandlungsmacht gegenüber politischen
Kräften in den potenziellen Lieferländern, die eher auf schwache oder
unwirksame Nachhaltigkeitskriterien setzen würden. Dieses Ziel ist besonders relevant,
da mehrere der Länder und Regionen mit hohem
Grünwasserstoffproduktionspotenzial zugleich auch über große fossile Reserven verfügen, wie etwa Australien, die Golfregion,
Algerien, Kanada, Norwegen und die USA.
Zutreffendes über solche Kriterien hat Christoph Heinemann vom Öko-Institut in Tagesspiegel Background – allerdings vor allem aus nationaler Sicht – geschrieben. Ergänzend dazu ist es sehr wichtig, dass die Nachhaltigkeitsstandards auf internationaler Ebene möglichst breit akzeptiert sind.
Ausreichend ehrgeizige Nachhaltigkeitskriterien
Die Nachhaltigkeitskriterien müssen ausreichend ehrgeizig sein. Falls nicht, würde dies nicht nur dem klimapolitischen Sinn einer Wasserstoffstrategie widersprechen und womöglich die Akzeptanz für Wasserstoff in Deutschland untergraben; sondern auf internationaler Ebene auch ein falsches Investitionssignal für Wasserstoffexporte senden. Eine klare, gebündelte Botschaft für Nachhaltigkeitskriterien könnte erhebliche Investitionen weg von CO2-lastigem hin zum nachhaltig produziertem Wasserstoff bewegen.
Insbesondere in der Übergangsphase hin zu einem dekarbonisierten Energiesystem könnten jedoch zu ehrgeizige Nachhaltigkeitskriterien sinnvolle Investitionen in den notwendigen Ausbau der internationalen Wertschöpfungskette für Grünwasserstoff erschweren. Langfristig wäre es zum Beispiel nicht zielführend, wenn ein Land erhebliche Mengen Grünwasserstoff nach Europa exportiert, seinen eigenen Energieverbrauch aber weiterhin auf fossile Rohstoffe ohne CO2-Speicherung basiert. Kurz- und mittelfristig sollte jedoch die Infrastruktur für den Grünwasserstoffexport sukzessiv ausgebaut werden, selbst wenn der Eigenverbrauch der Exportländer noch nicht in entsprechenden Anteilen auf Erneuerbare Energien basiert.
Neben der Herkunft des für die Elektrolyse benutzen Stroms, dem Wasserverbrauch und dem Flächenbedarf sollten die Nachhaltigkeitskriterien so ausgestaltet sein, dass sie zur nachhaltigen Entwicklung des Exportlandes beitragen und eventuelle soziale Folgen der Energiewende mildern.
Vor dem beschriebenen Hintergrund wird sich die Verspätung der bereits für Dezember angekündigten Wasserstoffstrategie der Bundesregierung gelohnt haben, falls sich auf deren Grundlage Deutschland proaktiv auf EU-Ebene und international für Nachhaltigkeitskriterien engagieren wird.