Als vor wenigen Tagen der Meinungsbeitrag von Wolf von Koeller vom Energieversorger Steag zu Differenzverträgen erschien, hatte ich schon so eine Ahnung. Und tatsächlich, bereits nach wenigen Zeilen wurde klar: Hier versucht ein Kohlelobbyist, konservative Kräfte in die Irre zu führen. Da werden faule Vergleiche mit dem EEG der 2000er bemüht – ungeachtet der Direktvermarktungs- und Bilanzkreispflichten, ungeachtet der wettbewerblichen Ermittlung der Preise und ungeachtet der gesunkenen Erzeugungskosten erneuerbarer Energien, die inzwischen Stromgestehungskosten auf und teilweise unter dem Niveau von konventionellen Erzeugungsanlagen aufweisen.
Einen Tipp hat Herr von Koeller auch: Investoren für Offshore-Windparks sollten ihr Geld woanders anlegen, da derlei Projekte auf anderen Meeren vielleicht mit weniger Eigenkapital zu realisieren seien als vor Helgoland. Man muss wahrlich kein Genie sein, um zu erkennen, wohin dieser „gut gemeinte Rat“ führen soll: EE-Strom auf anderen Märkten kann auf dem hiesigen Markt auch keine Kohlekraftwerke verdrängen.
Um sein Bild abzurunden, bedient sich Herr von Koeller des Vergleiches mit einem Cocktail. Das ist natürlich nicht zufällig gewählt, will die Steag doch den Eindruck eines unheilvollen EEG-Cocktails erwecken, an dem sich die Erneuerbaren-Branche betrinke.
Eine sachliche Auseinandersetzung sieht anders aus, aber die Ausführungen von Koellers bedienen die Grundskepsis konservativer Kräfte und finden in gewissen Kreisen sicher Zustimmung. Dies sei ihm gegönnt. Alkohol benebelt die Sinne – aber unsere Sinne sind keineswegs getrübt. Herr von Koeller, wir sehen sehr klar, was Sie im Schilde führen!
Immerhin hat Herr von Koeller das System „Differenzverträge (CfD)“ fast richtig dargestellt. Nur zwei Dinge stimmen nicht ganz: Erstens hat das Modell längst nicht mehr nur „wenige Fans“ – hat sich doch in den vergangenen Wochen eine beachtliche Zahl an Vertretern aus Industrie, Zulieferkette und Politik für die Einführung von Differenzverträgen ausgesprochen. Das mag wohl daran liegen, dass Differenzverträge die Stromgestehungskosten gegenüber einer Finanzierung ohne beidseitige Absicherung um etwa 30 Prozent senken.
Zweitens findet die Vermarktung nicht „pro forma“ statt. Vielmehr wird sie auf den Zeitpunkt der Investitionsentscheidung verlagert, nämlich bevor die Anlagen gebaut werden. Und das ist auch sinnvoll bei fast ausschließlich CapEx-basierten Investitionsgütern, also zum Beispiel EE-Anlagen mit hohen Anfangsinvestitionen und ohne signifikante operative Kosten. Solche Anlagen werden gebaut und können danach nur Strom produzieren, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Eine echte Einsatzentscheidung findet nicht statt, denn jede Kilowattstunde wird benötigt, um die Anlage zu refinanzieren.
Bei konventionellen Erzeugungsanlagen sieht das anders aus: Aufgrund der hohen operativen Kosten wird hier je nach Preissignal eine Investitionsentscheidung (Einsatz von Brennstoff) getroffen. Ein brennstoffkostenbasierter Markt gibt Preissignale für konventionelle Kraftwerke. Bei CapEx-dominierten EE-Erzeugungsanlagen entfaltet dieses Signal jedoch kaum Wirkung und kann sogar die Refinanzierung bereits getätigter Investitionen gefährden. Die einzig denkbare Wirkung wäre also, dass diese Anlagen aufgrund des Refinanzierungsrisikos in einem solchen Marktumfeld gar nicht erst gebaut würden. Aber das kann ja niemand wollen, oder etwa doch?
Mich überrascht es nicht, dass die Kohlelobby nur den Energy-Only-Markt (EOM) als „Markt“ akzeptiert, nicht aber die wettbewerbliche Ermittlung eines Refinanzierungspreises für Erzeugungsanlagen ohne Brennstoffkosten. Da möchte man am liebsten rufen: Auch das Ausschreibungsergebnis ist ein Marktpreis! Aber das weiß man bei Steag natürlich.
Selbstverständlich hat Herr von Koeller nicht in allen Punkten Unrecht. Für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit bedarf es diverser Flexibilitäten, die Angebot und Nachfrage zu jedem Zeitpunkt zueinander bringen. Wir brauchen einen Markt für Flexibilitäten. Ich teile die Sicht, dass das gegenwärtige System diese nicht hinreichend adressiert. Allerdings ist es falsch, das den Erneuerbaren Energien oder dem Finanzierungsrahmen für Erneuerbare Energien anzulasten. Eine stabile Finanzierung für EE-Projekte würde nichts an der Bewertung von Flexibilität ändern.
Seine Argumentation ist eine typische Nebelkerze der Kohlelobby. Das wird deutlich, wenn man sich folgende Frage stellt: Würde eine PV-Anlage ohne Sonne oder eine Windenergieanlage ohne Wind Strom erzeugen, nur weil die Marktpreissignale dies gerade verlangen? Sicherlich nicht. Und ein Abregeln dieser Erzeugungsanlagen bei hoher Produktion und geringer Nachfrage würde die Finanzierung der Projekte gefährden. Es ist daher unsinnig, von dargebotsabhängigen erneuerbaren Erzeugungstechnologien selbst eine Flexibilisierung zu erwarten, die über die Optimierung der Anlagenauslegung bei Errichtung (z.B. Stark-/Schwachwindanlagen) hinausgeht.
Einige europäische Länder haben das bereits verstanden. Das Differenzvertragsmodell, das die Kohlelobby so vehement ablehnt, ist in Europa auf dem besten Wege, sich durchzusetzen. So haben Länder wie Großbritannien, Dänemark, Italien und Frankreich längst Differenzverträge für Offshore-Windprojekte eingeführt. Auch Polen hat jüngst angekündigt in den kommenden Jahren zehn GW Offshore-Windenergie auszuschreiben und über Differenzverträge zu refinanzieren.
Deutschland hingegen würde mit der vom Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagenen zweiten Gebotskomponente einen Sonderweg beschreiten, der neue Markteintrittshürden schaffen, Investitionsrisiken steigern und die Kosten für die Verbraucher erhöhen würde. Dabei ist gerade jetzt eine Zeit, in der wir unsere Wirtschaft stärken müssen, um die Folgen der COVID19-Pandemie zu bewältigen.
Ein Stück weit kann ich die Steag verstehen. Aus ihrer Sicht ist die Ablehnung von Investitionssicherheit für Erneuerbare Energien logisch, wenngleich volkswirtschaftlich und klimapolitisch schädlich. Bei allem Verständnis muss ich aber auch sagen: Es gibt da andere Konzerne, die sich im Zeichen der Energiewende neu aufgestellt haben. Vor wenigen Tagen hat zum Beispiel die RWE eindrucksvoll gezeigt, dass der Umbau eines Konzerns gelingen kann. Offshore-Windenergie liefert inzwischen den höchsten Gewinnbeitrag des Energieversorgers.
Ein weiteres Beispiel ist das dänische Unternehmen Orsted. Vor einem Jahrzehnt hat der damals noch als Dong bekannte Energieversorger begonnen, sich von einem Unternehmen, das von fossilen Brennstoffen abhängig war, zu einem Energieproduzenten zu entwickeln, der auf grüne Energie setzt. Inzwischen hat sich der Energiekonzern zum Marktführer im Bereich Offshore-Windenergie entwickelt
Aus meiner langjährigen Berufserfahrung weiß ich: Die gesamte Energiewirtschaft ist im Wandel. Und wenn der Wind der Veränderung weht, dann bauen die einen Mauern, die anderen Windräder.