Nachhaltigkeit und Klimaschutz entwickeln sich immer mehr zum Wirtschafts- und damit auch zum Wettbewerbsfaktor. Kein Wunder, der Druck nimmt gleich aus mehreren Richtungen zu: Die Anforderungen an eine ökologisch verantwortungsvolle Unternehmensführung steigen auf Seiten des Gesetzgebers wie auch der Kunden, Auftraggeber und Lieferanten. Auch Investoren und Kapitalgeber müssen Nachhaltigkeitskriterien stärker berücksichtigen. Nicht zuletzt wird das eigene Bewusstsein für die Umweltauswirkungen der unternehmerischen Aktivitäten geschärft.
Unternehmen stehen somit vor richtungsweisenden Investitionsentscheidungen, um sich auf den Weg zur Klimaneutralität zu machen, sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Weit oben auf der Liste der Maßnahmen, um den ökologischen Fußabdruck zu verbessern, steht der Bezug von Ökostrom. Er ist einfach zu realisieren und hat einen direkten Effekt in der unternehmerischen CO2-Bilanz – unter Umständen jedoch nur eine sehr begrenzte Wirkung auf die CO2-Reduktion. Entscheidend ist, dass der beschaffte Ökostrom einen nachweisbaren Zusatznutzen für die Energiewende hat.
Warum fördert Ökostrom aktuell die Energiewende nicht?
Das Grundproblem lautet: Was aktuell als Grünstrom vermarktet wird, reizt kaum den weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien in Deutschland an. Denn er stammt zu großen Teilen aus alten Wasserkraftanlagen in Norwegen, der Schweiz und anderen Ländern oder aus ausgeförderten Anlagen. Im Prinzip macht das auch Sinn: Das Doppelvermarktungsverbot verhindert die erneute Vermarktung bereits durch das EEG geförderten Stroms.
Aber das kann sich ändern, wenn zunehmend Finanzierungskosten des EEG vom Steuerzahler und damit dem staatlichen Haushalt getragen und nicht mehr auf den Verbraucher umgelegt werden. Sollten geförderte Anlagen mit dem Verkauf der Ökostromeigenschaft dann einen weiteren Erlös erzielen dürfen, müsste dieser Mehrerlös aus Sicht des WWF zwingend dem oder der Finanzierenden zugutekommen. Dies ist in der neuen Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED II) auch so angelegt.
Aktuell verschärft das Problem aber erst einmal eins: In den vergangenen Jahren ist der Erneuerbaren-Ausbau in Deutschland stark eingebrochen. Komplexe Genehmigungsverfahren sowie fehlende politische Steuerung und Weitsicht haben Wind und Sonne ausgebremst. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der eigentlich Interesse daran haben sollte, diese Zukunftsindustrien zu fördern und Wirtschaft und Industrie in Deutschland zukunftsfit zu machen, war daran tatkräftig beteiligt.
Und so stehen viele Unternehmen, die sich eigentlich klimafreundlich aufstellen und einen Beitrag zur Energiewende leisten wollen, häufig ratlos da: In Deutschland fehlt für ihre Nachfrage das Angebot. Dabei gibt es durchaus gute Möglichkeiten für sie, „echten“ Ökostrom zu beschaffen, den „Ökostrom next generation“.
Welcher Strom fördert denn nun die Energiewende?
Das neue WWF-Konzept „Ökostrom next generation“ beinhaltet ein Nebeneinander aus nicht-geförderten Neuanlagen, neuen geförderten Anlagen und ausgeförderten Altanlagen. Dabei liegt der Fokus eindeutig auf Wind und Sonne – und wo möglich – Geothermie. Der Ausbau der Wasserkraft wie auch die Nutzung von Biomasse im Stromsektor sind extrem kritisch zu betrachten. Wasserkraft aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf Flusslebensräume und der zu erwartenden drastischen Veränderung der Verfügbarkeit von Wasserkraft, Biomasse aufgrund ihrer schlechten CO2-Bilanz.
Ziel der Unternehmen sollte sein, den Anteil von Strom aus Wind und Sonne am Gesamtstrombedarf bis 2025 auf 80 Prozent und bis 2030 auf 100 Prozent zu steigern. Am wertvollsten für die Energiewende ist dabei Ökostrom aus neuen, nicht-geförderten Anlagen. Denn Anlagen, die aufgrund eines langfristigen Abnahmevertrages ohne weitere finanzielle staatliche Förderung finanziert werden, schaffen finanziellen Spielraum für die Förderung möglichst vieler Standorte, die noch nicht zu aktuellen Marktpreisen erzeugen können.
Zentrale Voraussetzung dabei ist, dass die so errichteten und finanzierten Anlagen zusätzlich zu den nationalen Ausbauzielen angerechnet werden. Denn eins muss klar sein: Der Staat kann seine Verantwortung beim Erneuerbaren-Ausbau nicht auf die Privatwirtschaft abwälzen. Auch er muss liefern. Aber sowohl aus unternehmensstrategischer wie Klimaschutz-Perspektive macht es Sinn, verstärkt zweigleisig zu fahren, also die Energiewende staatlich wie privatwirtschaftlich voranzubringen.
Von der Theorie zur Praxis
Je nach Unternehmensgröße und Verbrauchsmenge machen für Unternehmen unterschiedliche Ansätze Sinn, bei ausreichend Flächen natürlich auch die Eigenerzeugung. Spannend sind aber vor allem die sogenannten Power-Purchase-Agreements, kurz PPA. Diese Direktlieferverträge sind in den USA bereits gang und gäbe, unternehmerische Schwergewichte wie Microsoft und Google beschaffen sich auf diese Weise ihren Strom weltweit. Mit einer solch vereinbarten langfristigen Nachfrage nach erneuerbarem Strom kann sich ein Anlagen-Neubau refinanzieren.
Gleichzeitig muss jedoch die Risikoabsicherung neuer Anlagen dort aufrechterhalten werden, wo noch keine marktbasierte Finanzierung möglich ist. Um das Ausbautempo zum Erreichen der Klimaziele aufrecht zu erhalten bzw. zu steigern, braucht es auch weiterhin einen staatlich abgesicherten, standort- und technologieabhängigen Vergütungsmechanismus. Dies können zum Beispiel Differenzverträge (Contracts for Differences) sein, bei denen im Zeitverlauf entstehende Unterschiede zwischen der zugesicherten Vergütung und dem Marktpreis ausgeglichen werden.
Welche Variante für das Unternehmen schlussendlich am meisten Sinn macht, unterm Strich steht: In einer guten Klimastrategie ist der Bezug von grünem Strom ist immer nur ein Schritt von mehreren. Andere Maßnahmen etwa zur Effizienzsteigerung dürfen dadurch nicht vernachlässigt werden.
Henrik Maatsch ist Senior Policy Advisor Climate and Energy beim WWF und insbesondere zuständig für die Themen Energiewende, Erneuerbaren- und Netzausbau. Der neue Beschaffungsleitfaden des WWF findet sich hier.