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Sustainable Finance

Standpunkte Die Finanzbranche braucht Rechtssicherheit

Ingmar Jürgens, Mitgründer und Chef der Berliner Sustainable-Finance-Denkfabrik Climcom, gilt als einer der besten Kenner von Nachhaltigkeitsregulierungen für den Finanzsektor und hat zuvor unter anderem für die EU, FAO und OECD gearbeitet
Ingmar Jürgens, Mitgründer und Chef der Berliner Sustainable-Finance-Denkfabrik Climcom, gilt als einer der besten Kenner von Nachhaltigkeitsregulierungen für den Finanzsektor und hat zuvor unter anderem für die EU, FAO und OECD gearbeitet Foto: Climate & Company

Deutsche Verbände laufen Sturm gegen das EU-Lieferkettengesetz CSDDD. Dabei sei es die einmalige Chance, endlich die in den globalisierten Wertschöpfungsketten verborgenen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen ernsthaft anzugehen und Wettbewerbsgleichheit zu schaffen, meint Ingmar Jürgens, CEO des Berliner Sustainable-Finance-Thinktanks Climate & Company. Er warnt vor einem regulatorischen Flickenteppich.

von Ingmar Jürgens

veröffentlicht am 07.12.2023

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Längst sprechen sich sogar führende Finanzinstitute und deutsche Unternehmen für das EU-Lieferkettengesetz aus: Denn diese Richtlinie über die nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen (CSDDD) schafft Rechtssicherheit und faire Wettbewerbsbedingungen. Ganz zu schweigen davon, dass je nach Sektor 80 bis 100 Prozent der Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung, die wir mit unserem Konsum- und Investitionsverhalten befördern, jenseits unserer Außengrenzen versteckt sind. Mit dem neuen EU-Gesetz müssten diese ans Tageslicht geholt und verhindert werden

Die EU hat diese Bedeutung der Lieferkette und der damit verbunden Risiken erkannt. Mit Maßnahmen wie dem Grenzzoll für klimaschädliche Produkte aus dem Nicht-EU-Ausland (CBAM), der EU-Entwaldungsverordnung und jetzt der EU-Lieferkettenrichtlinie setzt sie Standards für Wettbewerbsfähigkeit, Menschenrechte und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen. Ein Dreiklang, hinter dem sich auch die deutsche Regierungskoalition versammeln könnte.

Pawlowscher Reflex gegen Regulierung

Doch obwohl das EU-Lieferkettengesetz eigentlich noch vor Weihnachten verabschiedet werden könnte, setzt nun bei genau den Unternehmensverbänden, die jahrelang in die Vorbereitungen und Konsultationen eingebunden waren, der pawlowsche Reflex ein: “Regulierung ist schlecht für die Wirtschaft”.

Aber neben den lauten Gegenstimmen aus Chemieindustrie, Gesamtmetall und Arbeitgebervereinigungen gibt es auch die Akteure, die genauer hingeschaut haben – verantwortungsbewusste Menschen in Banken und Unternehmen, die die „CSDDD“ für einen ausgewogenen, sinnvollen Vorschlag halten.

Schließlich ist vielen die mangelnde Resilienz ihrer Lieferketten in der „Covid-Pandemie“ komplett um die Ohren geflogen. Und spätestens seit „Rana Plaza“ im Jahr 2013 und den nicht abnehmenden Skandalen um die Finanzierung von Regenwaldzerstörung im Amazonas haben immer mehr Unternehmerinnen ein starkes Eigeninteresse erkannt, sich ernsthaft mit Nachhaltigkeitsrisiken in der Lieferkette auseinanderzusetzen.

Genau dafür bietet das EU-Lieferkettengesetz einen lösungsorientierten Rahmen. Es greift dabei wichtige Bedenken von Unternehmen zu Rechtsunsicherheiten und Wettbewerbsverzerrungen auf.

Viele Finanzinstitute wollen Sorgfaltspflichten

Der Finanzsektor mit seiner globalen Reichweite und Hebelwirkung spielt hierbei eine zentrale Rolle: Die CSDDD könnte endlich den bisher fehlenden Anreiz für Finanzinstitute setzen, schädliche Aktivitäten in den Wertschöpfungsketten ihrer Kunden zu beenden. Denn jährlich fließen laut einer Studie noch immer Billionen von Finanzmitteln in Sektoren mit hohen Umwelt- und Menschenrechtsrisiken, noch dazu größtenteils an Unternehmen ohne angemessene Umweltstrategie oder Verpflichtungen.

Zudem würden die Leitlinien der CSDDD einen kohärenten Rahmen schaffen für bereits existierende Sorgfaltspflichten aus unterschiedlichen Gesetzen. Die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) und die Verordnung über die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Finanzprodukte (SFDR) enthalten bereits implizite Sorgfaltsplichten, ohne jedoch klarzustellen, wie der Finanzsektor konkret damit umgehen soll. Die CSDDD würde damit verbundene Unsicherheiten und Haftungsrisiken weitgehend verringern.

Zahlreiche große Player und hunderte Unternehmen und Finanzakteure sind an Bord: Sie stellen an die EU-Trilogpartner seit Monaten und in den vergangenen Wochen nochmals explizit die Forderung, die Finanzbranche in die europäische Sorgfaltspflichtenregulierung einzubinden. Darunter sind die globale Investoreninitiative Prinzipien für Verantwortliches Investieren UN PRI, die Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC), der europäische Branchenverband Eurosif, die niederländischen Banken-, Versicherungs- und Rentenverbände, dänische Investoren, das EZB-Direktoriumsmitglied Frank Elderson sowie die niederländischen Finanzhäuser ASN Bank und ABN AMRO.

Um den Skeptikern ihre Sorgen zu nehmen, sei betont: Finanzinstitute werden sich nicht selbst in die Lieferketten ihrer Kund:innen begeben müssen, sondern können auf deren Berichten aufbauen. Eine zeitlich nachgelagerte Sorgfaltspflicht für den Finanzsektor würde dafür sorgen, dass die Informationen aus der Realwirtschaft vorliegen, sobald es für die Finanzwirtschaft richtig losgeht. Und die geplante Beschränkung auf Hochrisikosektoren würde die Verhältnismäßigkeit des gesamten Unterfangens garantieren.

Dennoch hat Frankreich es im November geschafft, im Europäischen Rat als Verhandlungsposition den vollständigen Ausschluss des Finanzsektorsvon der CSDDD zu erwirken. Anscheinend, um sich auf Kosten der Finanzplätze Frankfurt und Amsterdam beim Sektor beliebt zu machen. Jetzt kommt es auf das nächste Trilog-Treffen von Rat und EU-Parlament am 13. Dezember an – die Parlamentarier haben bisher die Einbindung der Finanzbranche verlangt.

Wettbewerbsfähigkeit und geringere Kosten

In der Realwirtschaft würden besonders deutsche Unternehmen von der EU-Richtlinie profitieren: Sie unterliegen ja bereits Sorgfaltspflichten durch das deutsche Lieferkettengesetz und sind somit gut vorbereitet. Neu wäre mit dem EU-Gesetz, dass auch Zulieferer aus nicht-europäischen Staaten die Hosen herunterlassen müssten und so endlich Wettbewerb auf Augenhöhe stattfinden könnte.

Deshalb ist es kein Wunder, dass Konzerne wie Aldi und Ikea, aber auch Mittelständler wie Mammut oder Vaude in öffentlichen Statements die CSDDD befürworten und ausdrücklich auf die Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Lieferketten hinweisen.

Wenn das Gesetz jetzt aus einem Antiregulierungs-Reflex heraus gestoppt würde, bliebe in Wirklichkeit ein Flickenteppich an nationalen Sorgfaltspflichtgesetzen zurück, der es vor allem für den deutschen Mittelstand noch viel schwieriger machen würde, die unterschiedlichen Anforderungen ihrer nachgelagerten Kunden zu erfüllen.

Rahmensetzung mit Augenmaß

Die EU-Richtlinie liegt auf dem Tisch – wird sie vor Weihnachten verabschiedet, bekommen unsere Unternehmen die Rahmensetzung mit Augenmaß, die sie verdienen: mit großzügigen Übergangsfristen, einem engen Fokus auf Risikosektoren und Berichtspflichten, die zu 100 Prozent auf den bestehenden Berichtspflichten der CSRD aufbauen. Dann würde die spezifische Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen an die Stelle unverbindlicher Absichtserklärungen treten, um dafür zu sorgen, dass Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung auch außerhalb unserer Grenzen endlich ins Blickfeld rücken.

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