Dass chinesische Unternehmen in ESG-Ratings deutlich hinter der Konkurrenz aus anderen Schwellenländern zurückliegen, ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen. So weisen sie mehr Kontroversen, schwächere Corporate-Governance-Bewertungen und rote Fahnen in puncto Menschenrechte auf. Jedoch sind solche Ratings nur bedingt aussagekräftig, da sie häufig nicht das gesamte Bild offenbaren. Viele chinesische Unternehmen werden aus nachvollziehbaren Gründen für mangelnde Transparenz kritisiert. Gleichzeitig können aber globale ESG-Themen je nach lokalen Unterschieden, wie etwa abweichenden politischen Prioritäten, in China unterschiedlich stark gewichtet sein.
Ein Beispiel dafür ist der Gaming-Sektor, in dem aufgrund lokaler politischer Vorgaben verstärkt auf die Prävention von Spielsucht bei Jugendlichen geachtet wird. Solche Unterschiede werden in globalen ESG-Rahmenwerken nicht gut genug abgebildet, was auch chinesische Staatsunternehmen (SOEs) benachteiligen kann. Denn diese dominieren nach wie vor die Wirtschaft. In Zahlen ausgedrückt, sind 71 Prozent der chinesischen Unternehmen in der Fortune-500-Liste der umsatzstärksten Unternehmen der Welt SOEs.
Regulierungsmaßnahmen fördern ESG-Gewinne
Auch wenn China nicht gerade als besonders ESG-freundlicher Markt gilt, tragen regulatorische Maßnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeitspolitik bei. Die wohl bedeutendste Errungenschaft des Landes in den letzten 40 Jahren war die Bekämpfung der Armut von rund 800 Millionen Menschen. Ermöglicht wurde dies durch ein schnelles Wirtschaftswachstum und die „gemeinsame Wohlstandsagenda“, die sich auf geografisch benachteiligte Regionen und fehlende wirtschaftliche Perspektiven konzentriert. Dieser Wandel hat entscheidend dazu beigetragen, ein zentrales Ziel der UN-Nachhaltigkeitsziele zu realisieren.
Im Bereich des Umweltschutzes ist China weiterhin weltweit führend bei Solar- und Energiespeichertechnologien und verfügt über eine umfassende Lieferkette für Windturbinen. Zudem wird das Thema Wasserstoff ebenfalls eine zentrale Rolle in Chinas Maßnahmen zur Dekarbonisierung spielen. Zwar treibt die Regierung in Peking weiterhin Kohleprojekte voran, jedoch investiert sie gleichzeitig in den Ausbau neuer Solarkapazitäten. Diese sollen zum Ziel des Landes beitragen, bis 2060 eine Netto-Null-Energieversorgung zu erreichen.
Staatliche Subventionen
Außerhalb des Energiesektors gibt es beträchtliche staatliche Subventionen für Investitionen in die Verbesserungen der Energieeffizienz und Prozessinnovationen. Für das das Erreichen von Netto-Null sind diese entscheidend. Bei der Entwicklung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft liegt der Schwerpunkt Chinas besonders auf der Optimierung der eigenen Abfallentsorgung. Zwar sind hier die Fortschritte insgesamt etwas langsamer, aber es zeigen sich erste Erfolge.
Inzwischen orientieren sich auch große Unternehmen an den staatlichen Klimazielen für 2030 und 2060 – viele setzen sich sogar noch ambitioniertere Ziele für 2050 – laut dem Klimaberatungsunternehmen Carbon Trust sind es bisher 800 Unternehmen. Über die Emissionen der Lieferkette (Scope 3) wird weiterhin zu wenig berichtet, obwohl dies ein globales Problem darstellt. Zudem geraten exportorientierte Unternehmen aus China durch internationale Vorschriften wie den CO2-Grenzausgleichsmechanismus („Carbon Border Adjustment Mechanism“; CBAM) der EU immer mehr unter Druck.
Bessere Unternehmensführung und ESG-Berichterstattung
Was die Unternehmensführung betrifft, hat Chinas Staatsrat kürzlich Richtlinien herausgegeben, um die Zusammensetzung der Aufsichtsräte zu verbessern. Dazu gehört die begrüßenswerte Empfehlung, dass alle staatlichen Unternehmen eine Mehrheit unabhängiger Direktoren sowie vollständig unabhängige Prüfungsausschüsse haben sollen.
Generell setzt sich die Regierung für gemischte Eigentumsverhältnisse und die Modernisierung staatlicher Unternehmen ein. Auch bei den Anforderungen an die Offenlegung von ESG-Daten gibt es Fortschritte. So ist die Berichterstattung über ökologische Aspekte für umweltrelevante Unternehmen verpflichtend, auch wenn sie noch weniger umfassend ist als in Nachbarländern wie Indien. Dort ist eine detailliertere ESG-Berichterstattung für die 1.000 größten börsennotierten Unternehmen vorgeschrieben.
Soziale Komponente bleibt auf der Strecke
Allerdings sind diese Fortschritte nicht mit den Entwicklungen im sozialen Bereich vergleichbar, trotz der enormen Erfolge bei der Armutsbekämpfung durch die „gemeinsame Wohlstands“-Initiative und in anderen wichtigen Bereichen wie dem Schutz von Minderjährigen auf Spieleplattformen und der Förderung der Frauenbeteiligung am Arbeitsmarkt. So hat etwa ein Bericht der Sheffield Hallam University vor der Gefahr von Zwangsarbeit in den Lieferketten der chinesischen Solar- und Automobilindustrie gewarnt. Auch in der Landwirtschaft sind solche Risiken gut dokumentiert.
Außerdem bleiben die Arbeitsbedingungen im verarbeitenden Gewerbe problematisch. Hier weist bereits die hohe Mitarbeiterfluktuation – in einigen Unternehmen beträgt sie bis zu 40 Prozent – auf einige grundlegende Probleme hin. Interne Wanderarbeiter sind ebenfalls anfällig für Ausbeutung. Viele von ihnen ziehen in städtische Gebiete, um schlecht bezahlte Produktionsjobs anzunehmen. Dabei haben sie oftmals auch weiterhin keinen Zugang zu Sozialleistungen des Hukou-Systems der chinesischen Haushaltsregistrierung.
In der Zwischenzeit bleibt die „996“-Arbeitskultur – dem Arbeiten von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends an sechs Tagen in der Woche – im Technologiesektor in einigen Bereichen trotz reger Bemühungen der Regierung ein Problem. Zudem stehen neue soziale Fragen wie digitale Rechte, Privatsphäre und Überwachung zunehmend im Fokus, da Technologieunternehmen wegen ihrer Praxis der Datenweitergabe an die chinesische Regierung unter kritischer Beobachtung stehen.
ESG-Risiken nicht aus den Augen verlieren
Natürlich sind einige dieser Probleme nicht nur auf China beschränkt. So ist moderne Sklaverei ein weltweites Phänomen und kommt Berichten zufolge auch in anderen aufstrebenden Volkswirtschaften häufiger vor. Dennoch bleiben auch sie Risiken, die bewertet, verringert und gegebenenfalls vermieden werden müssen.
Obwohl nicht alle SOEs gleich sind, sollten Investitionen in traditionelle Branchen mit hohem Risiko politischer Einmischung vermieden werden. Dazu gehören etwa Banken, der Immobiliensektor und die Schwerindustrie. Stattdessen sollten sich Investoren auf SOEs konzentrieren, welche die Interessen von Minderheitsaktionären angemessen berücksichtigen.