Am 16. August vergangenen Jahres hat US-Präsident Joe Biden mit dem Inflation Reduction Act (IRA) das größte Investitionsprogramm gegen den Klimawandel in der Geschichte der Vereinigten Staaten unterzeichnet. Von dem insgesamt 740 Milliarden Dollar schweren Gesamtpaket fließen allein 369 Milliarden Dollar in saubere Energien und die grüne Transformation der Wirtschaft. Das ambitionierte Ziel: Im Vergleich zum Jahr 2005 soll die Emission von Treibhausgasen um rund 40 Prozent sinken.
Das Subventionspaket bewirkt einen massiven Schub für grüne Sektoren – und zwingt die Europäische Union zu einer Antwort. Da das IRA denjenigen Unternehmen, die einen Produktionsstandort in den USA aufbauen, sehr attraktive Finanzbedingungen bietet, geht in Europa – insbesondere im Hinblick auf nachhaltige Technologien – die Angst vor einer Deindustrialisierung um. Europäische Politiker und Unternehmen, die sich mit dem grünen Übergang befassen, befürchten, dass die großzügigen Steuererleichterungen in den USA die Wettbewerbsfähigkeit Europas als Produktionsstandort für saubere Technologieprodukte beeinträchtigen könnten. Unternehmen könnten die Verlegung neuer Standorte in die USA in Erwägung ziehen und eher dort investieren, anstatt ihr Geschäft in Europa auszubauen. Es gibt bereits Firmen, die sozusagen damit gedroht haben, ihre Präsenz in Europa zu verringern.
Bleibt die EU eine Antwort auf die US-Initiative schuldig, werden die Kapitalkosten für Unternehmen, die in den Vereinigten Staaten aktiv werden, niedriger sein als für Firmen, die in der EU investieren – und die Sorgen über eine grüne Deindustrialisierung auf dem Alten Kontinent zunehmend verstärken. Das Kapital fließt normalerweise in diejenigen Märkte, in denen die risikobereinigten Renditen am höchsten sind – was in Märkten mit guten Aussichten auf Nachfragewachstum und Gewinne zu sinkenden Kapitalkosten führt.
EU müsste dieselben finanziellen Bedingungen bieten wie die USA
Davon betroffen sind nicht zuletzt auch Vermögensverwalter und Kapitaleigner, die nur eine begrenzte Loyalität gegenüber der EU zeigen dürften, wenn die risikobereinigten Renditen außerhalb der EU signifikant höher sind. Zum Risiko der Kapitalabwanderung aus Europa gesellt sich eine weitere Implikation, die Brüssel bedenken sollte: Eine schwächere heimische Industrie erschwert das Erreichen ihrer Umweltziele.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, müsste die EU-Kommission den europäischen Firmen dieselben Finanzbedingungen bieten, die sie in den USA beim Bau neuer Produktionsanlagen erhalten würden. Dies könnte in Form von Steuerabzügen oder Zuschüssen geschehen, welche die Investitionsentscheidung wirtschaftlich ausgewogener machen würden. Darüber hinaus würden europäische Unternehmen davon profitieren, wenn Brüssel – analog zu den Bedingungen in den USA – eine schnellere Genehmigung und eine sichere Finanzierung für umweltfreundliche nachgelagerte Projekte ermöglichte.
Bisher allerdings sind die von der EU angekündigten Maßnahmen meist sehr allgemein gehalten. Die Kommission hat vorgeschlagen, die Regulierung zu vereinfachen, den Zugang zu Finanzmitteln zu beschleunigen, Qualifikationen für grüne Industrien zu entwickeln und ein günstigeres Umfeld für das verarbeitende Gewerbe zu schaffen.
Die ersten Entwürfe des Netto-Null-Industrie-Gesetzes (Net Zero Act) enthalten zudem Maßnahmen wie beschleunigte Genehmigungsverfahren für Netto-Null-Projekte, die Aufnahme von begünstigenden Vorschriften für lokale Investitionen sowie die Forderung nach aktualisierten nationalen Energie- und Klimaplänen für die Zeit bis 2030.
Weitere konkrete Maßnahmen notwendig
Die Krux: Selbst wenn dies zielführend wäre, könnte die EU nicht direkt mit den Steuererleichterungen der USA konkurrieren, da sie kein einheitliches Steuersystem hat. Ein weiterer Vorschlag lautete daher, Subventionen für die Produktion grüner Technologien zuzulassen, die denen außerhalb Europas entsprechen.
Staatliche Unterstützung durch Subventionen oder andere politische Instrumente ist bedeutsam, um neuen und strategisch wichtigen Industriezweigen zum Durchbruch zu verhelfen. Es ist jedoch ebenso essenziell, dass Unternehmen und Industrien, die Subventionen erhalten, Wege finden, ihre Abhängigkeit davon zu verringern. Schlussendlich sollten sie aus eigener Kraft rentabel sein – auch während politischer Zyklen, in denen die Förderungen für bestimmte Industrien schwanken können.
Wir gehen davon aus, dass die EU weitere konkrete Maßnahmen ankündigen wird. Die politische Unterstützung für saubere Technologien verschafft Visibilität für Investoren und ermöglicht die Bildung von dringend benötigtem Investitionskapital für klimaverträgliche Technologien.
Gleichwohl sollten sich Vermögensverwalter und Kapitaleigentümer unabhängig davon Folgendes vor Augen halten: Die Produktivitäts- und Wirtschaftsverluste, die entstehen, falls die Klimaziele nicht erreicht und die Erderhitzung nicht gebremst werden, können die Kosten für politische Anreize bei weitem übersteigen. Die Verwirklichung des grünen Wandels wird folglich sowohl öffentliches als auch privates Kapital erfordern.