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Standpunkte Europa unterschätzt die Gefahren von Big-Tech im Finanzsektor

Carolina Melches, Finanzwende Recherche gGmbH
Carolina Melches, Finanzwende Recherche gGmbH Foto: Finanzwende Recherche gGmbH

Die globale IT-Panne bei Microsoft legte Flughäfen, Geldautomaten und Krankenhäuser lahm. Sie zeigt: Sogenannte Big-Tech-Firmen sind längst systemrelevant. Gleichzeitig dringen sie immer weiter in die Finanzwelt vor – und werden dadurch noch größer und mächtiger. Diese Entwicklungen stellt die europäische Demokratie vor große Herausforderungen, aber es ist noch nicht zu spät, schreibt Carolina Melches von Finanzwende Recherche in ihrem Standpunkt-Gastbeitrag für Tagesspiegel Background.

von Carolina Melches

veröffentlicht am 29.08.2024

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Dienste wie Apple Pay und Google Pay sind zu Begleitern im Alltag geworden. Das ist eine tiefgreifende Veränderung der Finanzwelt. Denn hinter diesen Diensten stehen globale und mächtige Technologieunternehmen wie Apple, Meta, Alipay und Alphabet (Google). Mit großen Schritten dringen sie in das Finanzwesen vor und mischen dieses auf – mit potenziell weitreichenden Konsequenzen.

Wachsendes Angebot und Vorstoß nach Europa

Ein Blick nach China und die USA zeigt, dass die Bezahldienste der Big-Techs erst der Anfang sind. Vor allem in China haben Big-Tech-Unternehmen wie Alipay (Ant Group) und Wechat die Finanzlandschaft nachhaltig verändert, weil sie längst mehr anbieten als nur digitale Bezahllösungen: Sie sind zu umfassenden Finanzdienstleistern geworden, deren Portfolio Kreditvergabe, Vermögensverwaltung und sogar Spar- und Geldmarktkonten umfasst. Auch in den USA bietet Apple bereits Sparkonten an.

In Europa wollen Big-Techs mit ihren Finanzdiensten ebenfalls weiter Fuß fassen. Aktuellster Beweis ist der chinesische Finanzriese Alipay, offizieller Bezahlpartner der Fußball-Europameisterschaft 2024 und Sponsor der Uefa. Die Sponsorenschaft lässt sich Alipay über acht Jahre satte 200 Millionen Euro kosten –ein Versuch, den Zahlungsdienstleister in Europa bekannter zu machen.

Big-Techs haben die Nase vorn

Big-Techs betreten die Finanzwelt mit einem riesigen Kundenstamm, enormen finanzielle Ressourcen und großem technologischen Know-how. Künstliche Intelligenz und Big Data ermöglichen es Ihnen, schnell neue Produkte zu entwickeln und so ihre Marktposition weiter zu stärken. Die Kombination dieser Faktoren wirkt wie ein Wachstumsmotor.

Alipay ist dafür das beste Beispiel. Innerhalb weniger Jahre nach Auslagerung aus seinem Mutterkonzern Alibaba verwaltete der Finanzriese zwischenzeitlich den größten Geldmarktfonds der Welt, wickelte mehr Zahlungsvolumen ab als Visa und Mastercard zusammen und wurde im Jahr 2020 zum wertvollsten Fintech der Welt. Ein geplatzter Börsengang und strenge aufsichtsrechtliche Vorgaben ab dem Jahr 2020 setzten dem De-facto-Wettbewerbsvorteil dann vorerst ein Ende.

Zahlreiche Risiken für Verbraucher, Wettbewerb und politische Souveränität

Technologieunternehmen wie Apple, Google und Meta nutzen ihr breites Geschäftsmodell und ihre enorme Marktmacht, um tief in den Markt für Finanzdienstleistungen vorzudringen. Das Angebot von Finanzdiensten beschert ihnen wertvolle Finanzdaten von und über ihre Nutzer. Das sind besonders sensible Daten, die umfassende Einblicke in das Leben von Menschen geben können – von ihren politischen Überzeugungen bis zu ihrem Gesundheitszustand und ihrer finanziellen Lage.

Aber auch für den Wettbewerb und das Finanzsystem sind die neuen Geschäftsfelder höchst bedenklich. Denn Big-Techs sind schon heute zu groß und zu mächtig. Allein bei Clouddiensten dominieren vier Big-Techs (Amazon AWS, Microsoft Azure, Google Cloud und Alibaba Cloud) mehr als 70 Prozent des globalen Marktes. Der größte IT-Ausfall aller Zeiten durch ein fehlerhaftes Software-Update bei Microsoft ist das aktuellste Bespiel für die zu große Konzentration auf wenige Technologiekonzerne. Diese Konzentration könnte sich durch zusätzliche Kooperationen mit traditionellen Finanzinstituten bei neuen Finanzangeboten noch verschärfen.

Auch hinsichtlich der strategischen Autonomie der EU können ausländische Big-Techs zur Gefahr werden. Das gilt insbesondere, da Zahlungen und Zahlungsinfrastruktur unbedingt als kritische Infrastruktur gelten sollten. Eine starke Präsenz oder gar Dominanz der Big-Techs in diesem Bereich könnte nicht nur geopolitischen Einfluss durch die Heimatländer der Big-Techs ermöglichen, sondern auch die politische und digitale Souveränität der EU gefährden. So warnte im Jahr 2019 der Verfassungsschutz davor, dass chinesische Geheimdienste auf die Nutzerdaten von Alipay zugreifen könnten. In den USA ist die Weitergabe der Nutzerdaten an Geheimdienste ebenfalls nicht ausgeschlossen. In anderen kritischen Bereichen wie Telekommunikation und Medikamentenversorgung wird die Abhängigkeit von ausländischen Anbietern längst kritisch diskutiert – Big-Techs sind in der Debatte bisher noch unzureichend berücksichtigt.

Regeln anpassen und europäische Infrastruktur fördern

Bei Big-Techs mit Finanzdiensten reicht die klassische Finanzregulierung nicht aus. Denn viele Risiken ergeben sich aus dem breiten und komplexen Geschäftsmodell der Technologieriesen. Um Risiken aus dem Angebot von Finanzdiensten zu erkennen, müsste eine Aufsicht den ganzen Konzern im Blick behalten. In der Praxis ist das in der EU aber nicht ausreichend vorgesehen.

Wie problematisch ein solcher Ansatz bei so großen Unternehmen ist, zeigte vor einigen Jahren der Fall Wirecard. Während das Tochterunternehmen Wirecard Bank AG der Bankenaufsicht unterlag, fehlte die ganzheitliche Aufsicht des Mutterkonzerns Wirecard AG. Diesen hatte die Bankenaufsicht als Technologieunternehmen eingestuft. So konnte sich über Jahre der größte Wirtschaftsbetrug der deutschen Geschichte entwickeln und von der Aufsicht unerkannt bleiben. Aktuelle Regelwerke müssen vor diesem Hintergrund dringend an die Realität global agierender Technologiekonzerne angepasst werden.

Die gute Nachricht ist: Noch sind die Big-Techs aus China und den USA in Europa nicht etabliert. Das ist eine Chance, effektive Regeln aufzusetzen. Eine mögliche regulatorische Antwort könnte eine Restrukturierung innerhalb des Konzerns sein. Finanzdienste wie Kreditvergabe, Banking, E-Geld und Zahlungsdienste könnten unter einer Finanzholding-Gesellschaft gebündelt werden, für die dann strenge Auflagen zu Daten- und Finanzflüssen sowie gemeinsamer Technologienutzung gelten. Alternativ wäre eine eigentumsrechtliche Trennung der Finanzsparte vom restlichen Big-Tech denkbar. So könnten Big-Techs aktiv aus dem Finanzdiensten rausgehalten werden.

Parallel dazu sollte Europa den Aufbau und die Förderung alternativer Finanzinfrastrukturen vorantreiben. Der digitale Euro und Initiativen wie Wero könnten eine Schlüsselrolle dabei spielen. Es ist an der Zeit, jetzt die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Ziel sollte es sein, von der Innovation und den Potenzialen der Big-Techs zu profitieren – gleichzeitig aber Verbraucher:innen, Finanzstabilität und unsere politische Souveränität zu schützen.

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