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Sustainable Finance

Standpunkte Europäisches Lieferkettengesetz muss für den Finanzsektor gelten

Ulrike Lohr, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Südwind-Institut
Ulrike Lohr, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Südwind-Institut Foto: Südwind, Matzke

Am Dienstag hat der Rechtausschuss des EU-Parlaments über einen Entwurf zum Europäischen Lieferkettengesetz, der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), abgestimmt. Dieser soll europäische Unternehmen auf die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten verpflichten. Nach dem Willen der Ausschussmitglieder soll das Gesetz auch den Finanzsektor umfassen. Das sei auch gut so, meint Ulrike Lohr vom Südwind Institut in ihrem Standpunkt-Gastbeitrag.

von Ulrike Lohr

veröffentlicht am 27.04.2023

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Sei es die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR), die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) oder die EU-Taxonomie: Es gibt bereits eine ganze Menge von Gesetzesvorhaben die Wirtschaft und Finanzbranche zu ihrer Transformation hin zu einer nachhaltigen, sozialen und klimaneutralen Wirtschaft lenken sollen. Immer wieder beklagen Vertreter der Finanzbranche den Aufwand für diese neuen Vorschriften, die sie zu mehr Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit verpflichten. Die Unsicherheit ist groß und nicht alle der Neuerungen sind zeitlich aufeinander abgestimmt. Jetzt kommt noch das Europäische Lieferkettengesetz und geht es nach den Mitgliedern im EU-Rechtsausschuss (Juri) soll auch dieses Gesetz für Finanzinstitute gelten.

Der Vorschlag wird von vielen in der Finanzszene als eine weitere bürokratische Zumutung wahrgenommen. Vertreter der Finanzverbände in Brüssel laufen dagegen Sturm. Dabei ist der Finanzsektor eine Schlüsselindustrie für die sozial-ökologische Transition. So lange menschenrechtliche und Umweltrisiken nicht in Risikokalkulationen und Finanzierungsentscheidungen einbezogen werden, bleiben mögliche Folgekosten für Schäden weiter unsichtbar – und werden weiter von den Opfern von Menschen- oder Umweltverletzungen getragen.

Warum braucht es überhaupt ein europäisches Lieferkettengesetz?

Die CSDDD hat zum Ziel, Unternehmen gesetzlich zur Achtung von Menschenrechten und Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten zu verpflichten. Das Vorhaben soll die nicht bindenden „Soft-law“-Vorgaben der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in europäisches Recht umsetzen. Eins vorweg: Es geht nicht darum, Unternehmen für jede unrechtmäßig angeordnete Überstunde im siebten Glied der Lieferkette haftbar zu machen. Die CSDDD soll Unternehmen vielmehr dazu verpflichten, Richtlinien und Prozesse zu implementieren, die es ermöglichen menschenrechtliche Risiken zu identifizieren, zu priorisieren und Verstöße zu adressieren.

Es geht also darum, Verstöße gegen Menschenrechte sichtbar zu machen, sie vorsorglich zu verhindern und abzustellen. Das heißt beispielsweise: Kinderarbeit von 160 Millionen Kindern weltweit zu bekämpfen. Es bedeutet, moderne Sklaverei von geschätzt 50 Millionen Menschen nicht länger zu tolerieren. Denn bisher sind solche Menschenrechtsverstöße in den Lieferketten für Unternehmen allenfalls ein Reputationsrisiko, wenn überhaupt.

Der Finanzsektor gehört zur Wertschöpfungskette

Aber was hat das mit dem Finanzsektor zu tun, der ja nichts im herkömmlichen Sinne produziert und deshalb auch keine nennenswerten Lieferketten hat? Ein weit verbreitetes Missverständnis steckt im Begriff der Lieferkette. Denn eigentlich geht es in den UN-Leitprinzipien um Wertschöpfungsketten, also um den gesamten Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen von den Rohstoffen bis hin zur Nutzung durch die Kunden. Letzteres ist der Bereich, in dem Finanzinstitute hauptsächlich tätig sind: Durch Kreditvergabe, durch Investitionen, durch Versicherungsangebote an ihre Kunden. Hier sollen sie zur Überprüfung menschenrechtlicher Risiken verpflichtet werden.

Denn Fakt ist, dass es bei der Mehrzahl der europäischen Finanzinstitute außer bei ausgewählten ESG-Produkten bisher keinerlei Rolle spielt, ob ihre Geschäfte zu schwersten Menschenrechts- oder Umweltverstößen beitragen. Mit der SFDR werden zwar zumindest Investoren dazu verpflichtet, Auskunft darüber zu geben, ob und wenn ja, welche Umwelt- und menschenrechtlichen Risiken sie beachten. Das ist für Transparenz ein wichtiger erster Schritt. Dabei darf es aber nicht bleiben. Denn nur mit einem Lieferkettengesetz werden Finanzinstitute auch in die Pflicht genommen, auf Menschenrechtsverstöße zu reagieren.

Wie weit der Finanzsektor von der EU-Richtlinie erfasst sein wird, ist noch nicht klar. Zwar plante die EU-Kommission in ihrem Entwurf vom Februar 2022 prinzipiell, den Finanzsektor einzubeziehen, sah jedoch eine Reihe von Ausnahmen vor (wie zum Beispiel die einmalige vorvertragliche Prüfung menschenrechtlicher Risiken anstatt eines regelmäßigen Monitorings über die gesamte Laufzeit der Geschäftsbeziehung hinweg). Die Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat forderten auf Druck Frankreichs und Spaniens hin, den Finanzsektor nur freiwillig auf nationalstaatlicher Ebene zu regulieren. Investitionen sind – auch auf Wunsch des deutschen Finanzministeriums – in der Ratsposition komplett ausgenommen.

Die Lobby-Schlacht ist noch nicht beendet

Das Europäische Parlament stimmt voraussichtlich Anfang Juni über seine finale Position ab. Diese Woche hat der Gesetzesvorschlag aber bereits eine wichtige Hürde genommen. Am Dienstag stimmte der federführende Rechtsausschuss für einen Gesetzesvorschlag, der den gesamten Finanzsektor inklusive Investitionen in die Pflicht nimmt, abgestuft nach Einflussmöglichkeiten. Zwar weist auch dieser Vorschlag Schwächen auf. So müssen beispielsweise nur die direkten Geschäftsbeziehungen zu Großkunden überprüft werden, nicht aber die von kleinen Unternehmen in Hochrisikosektoren. Dennoch ist der Vorschlag des Ausschusses derjenige, der die Vorgaben von UN und OECD für Finanzdienstleister am weitestgehenden umsetzt.

Doch die Lobby-Schlacht um das Europäische Lieferkettengesetz ist noch nicht zu Ende. Nach der Abstimmung des EU-Parlaments Anfang Juni geht der Gesetzesvorschlag in den Trilog. Dieser soll noch in diesem Jahr einen Kompromiss zwischen den Positionen finden. Deutschland und die Europäischen Staaten täten gut daran, den Parlamentsvorschlag zum Finanzsektor in den Trilogverhandlungen zu übernehmen. Damit aus mehr Transparenz auch Handlungen folgen. Und in Zukunft kein Geld europäischer Bürger*innen in Kinder- oder Zwangsarbeit fließt. Sondern in die Transition in ein klimaneutrales, ökologisches und gerechtes Europa.

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