Standpunkte EMA und BfArM auf dem Weg zu globalen Leitinstitutionen?

Durch die Kürzungen und Entlassungen im US-amerikanischen Gesundheitsbereich, spielt die europäische EMA und das deutsche BfArM eine zunehmend wichtige Rolle für globale Akteure im Gesundheitswesen, ist sich der Geschäftsführer des Digital-Health-Start-ups Honic sicher. Henrik Matthies macht einen Vorschlag, wie sich das BfArM aufstellen müsste, um durch die Gesundheitsversorgung der Zukunft navigieren zu können.
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Jetzt kostenfrei testenNach Institutionen anderer Bereiche erleben derzeit viele staatliche Gesundheitseinrichtungen wie die Arzneimittelbehörde FDA in den USA massive Kürzungen, Massenentlassungen und wachsende Einschränkungen. Betroffen sind beispielsweise Bereiche der geschlechtsspezifischen Forschung und der Impfungen. Weltweit renommierte Wissenschaftler wie Peter Marks, bisheriger FDA-Direktor des Zentrums zur Bewertung von Biologika und Forschung, wurden zum Rücktritt gedrängt.
Was haben diese schwerwiegenden und in der Historie der USA einzigartigen Umwälzungen mit unserem Gesundheitswesen zu tun? Wie wirken sie sich auf die Medizin und Forschung in Deutschland und Europa aus?
Wenn die FDA und mit ihr wohl auch andere US-Gesundheitsinstitutionen in Zukunft nicht mehr rein wissenschaftlich arbeiten (können) und sich Ärzteschaft, Krankenversicherungen sowie Hersteller von Medikamenten und (digitalen) Medizinprodukten nicht mehr im bisherigen Maße auf die FDA als globale Leitinstitution verlassen können – dann kann und muss dies auch im Gesundheitsbereich die Stunde Europas werden!
EMA und BfArM geben Takt vor
In Europa ist die European Medicines Agency (EMA) die oberste Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Medikamente. In Deutschland verantwortet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowohl die Zulassung von Medikamenten als auch von Medizinprodukten bis hin zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Innerhalb der EU ist das BfArM die größte Behörde seiner Art.
Europa ist schon heute der zweitgrößte Gesundheitsmarkt nach den USA. Die Prinzipien der EMA beziehungsweise des BfArM zur Bewertung von medizinischem Nutzen von Medikamenten und (digitalen) Medizinprodukten sind ohnehin zumeist strenger als in den USA. Auf wen sonst werden in Kürze die globale Ärzteschaft, Forschende, Krankenversicherungen und alle anderen Akteure als neutrale, wissenschaftlich objektive Institution schauen, wenn nicht auf die EMA und das BfArM?
Kaum zusätzliche Mittel trotz neuer Aufgaben
Insbesondere das BfArM hat eine erstaunliche Entwicklung in den letzten Jahren hinter sich. Ursprünglich rein auf Arzneimittel und Medizinprodukte fokussiert, wurde durch die Integration des DIMDI eine starke Datenkompetenz integriert, die nun auch die Entwicklung des Forschungsdatenzentrums Gesundheit (FDZ) erheblich unterstützt hat. Seit 2021 ist zudem auch das gesamte Feld der DiGA hinzugekommen, deren Marktzulassung durch den sogenannten ‚Fast-Track‘ das BfArM vollumfänglich verantwortet.
Gleichzeitig hat das BfArM in den letzten Jahren nur sehr begrenzt weitere Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, was durch das Karlsruher Urteil Ende 2023 und die damit verbundenen Haushaltskürzungen noch einmal verschärft wurden. In den aktuellen Koalitionsverhandlungen wurde ausführlich die Situation der Leistungserbringer und Patienten diskutiert, aus gutem Grund. Zumindest in den öffentlich einsehbaren Unterlagen der ‚AG Gesundheit‘ kommt das BfArM aber gar nicht vor.
Innovationen regulieren
Und es sollte, wie auch bei allen Diskussionen zur ‚Staatsreform‘, bitte nicht einfach nur um ‚mehr Geld‘ gehen. Das BfArM ist durch das FDZ heute auch Entwickler und Betreiber komplexer IT und überwacht durch die DiGA-Kompetenz einen äußerst dynamischen, agilen Markt. Außerdem muss das Institut Domain-Expertise für Themen wie Datensicherheit genauso aufbauen wie bei dem rasant wachsenden medizinischen Fortschritt, bei KI und Arzneimitteltherapien auf dem jeweils aktuellen Stand sein. Das geht nur begrenzt in einer klassischen Behörde mit traditionellen Arbeitsprozessen und dem TVöD als nachgeordnete Behörde des Bundesgesundheitsministeriums.
Wichtige Entwicklungsfelder betreffen insbesondere den gezielten Ausbau fachlicher Kompetenz – etwa im Bereich IT-Sicherheit, Interoperabilität und datenbasierter Gesundheitslösungen. Die regulatorische Landschaft wird zudem zunehmend komplexer. Deshalb ist es entscheidend, dass das BfArM über fundierte Kenntnisse im Zusammenspiel verschiedener gesetzlicher und normativer Rahmenwerke verfügt – etwa im Hinblick auf den EU AI Act, die Medical Device Regulation (MDR) oder einschlägige ISO-Zertifizierungen. Um Innovationsprozesse nicht auszubremsen, braucht es hier eine konsequent europäisch abgestimmte Herangehensweise statt nationaler Sonderwege.
Weg zur Gesundheitsversorgung der Zukunft
Darüber hinaus benötigt eine moderne Behörde die passende organisatorische und digitale Ausstattung: eine leistungsfähige Infrastruktur mit automatisierten Abläufen, ein zentrales, transparentes Ticketsystem sowie digitale Self-Service-Portale für Antragsteller:innen, die den Zugang zu Informationen und den Bearbeitungsstatus jederzeit nachvollziehbar machen. Das betrifft die Zulassung von Arzneimitteln genauso wie von DiGA und DiPA (Digitale Pflegeanwendungen). Schließlich benötigen Patient:innen als ‚Endnutzer‘ wie Hersteller beides: Qualität und Geschwindigkeit (Vergleich der Zulassungszeiten von Arzneimitteln in den USA vs. EU (Yale Studie)).
Das BfArM sollte als Enabler einer zukunftsgerichteten Gesundheitsversorgung agieren – mit dem Selbstverständnis, regulatorische Anforderungen im engen Schulterschluss mit Industrie, Forschung und Versorgungspartnern weiterzuentwickeln. In einem dynamischen Gesundheitsmarkt ist es entscheidend, dass das BfArM seine Rolle als Sparringspartner für forschende und entwickelnde Akteure stärkt – mit dem Ziel, Orientierung zu geben, Umsetzungsprozesse zu unterstützen und verlässliche Rahmenbedingungen für Versorgungslösungen zu schaffen.
Wann, wenn nicht jetzt, sollte das BfArM dafür zukunftsgerichtet aufgestellt und ausgestattet werden?
Dr. Henrik Matthies ist CEO des Health-Tech-Start-ups Honic und Mitgründer der dahinterliegenden Forschungsdatenplattform. Er war bis Ende 2021 Leiter des Health Innovation Hubs des Bundesgesundheitsministeriums.
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