Standpunkte Fit machen für die Zukunft durch vernetzte Infrastruktur

Im deutschen Gesundheitssystem hakt es an vielen Stellen – von der Finanzierung bis zum Fachkräftemangel. Der demografische Wandel und vermehrt chronische Erkrankungen gehören zu den grundlegenden Ursachen dafür. Deutschland muss deshalb alle Kraft in die Transformation hin zu einer vernetzten und digitalen Gesundheitsversorgung stecken, schreibt Hans-Peter Bursig, ZVEI-Bereichsleiter Gesundheit, in seinem Standpunkt.
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Jetzt kostenfrei testenBeim Gedanken an das deutsche Gesundheitssystem haben sicher viele lange Wartezeiten im Sinn, überlastetes Personal sowie Beitragserhöhungen der Krankenkassen aufgrund von Finanzierungslücken. Das zeigt mehr als deutlich: Wir müssen das Gesundheitssystem gründlich durchleuchten und den vielschichtig gelagerten Problemen mit einer mutigen Transformation begegnen, statt in das alte Muster der Ausgabenbegrenzung zu verfallen.
Die Lösung ist einfach: Den Plan, der unter anderem mit der Krankenhausreform und den Digitalisierungsgesetzen begonnen wurde, weiterentwickeln und mit den richtigen Investitionen die notwendige Transformation einleiten – mit dem Ziel eine vernetzte, individualisierte und zunehmend präventive Gesundheitsversorgung aufzubauen.
Das Gesundheitssystem selbst muss dafür effizienter werden, und zwar durch den Aufbau der passenden Infrastruktur. Die Voraussetzungen dafür sind da: Moderne Medizintechnik, die dadurch mögliche umfassende Vernetzung, die jetzt vorhandenen gesetzlichen Rahmenbedingungen und eine starke deutsche industrielle Gesundheitswirtschaft. Wir müssen diese Stärken und vorhandene Technologien nun zielführend und konsequent einsetzen und nicht bei jeder Widrigkeit auf die Bremse treten.
Effizienzwende im Gesundheitssystem einleiten
Fakt ist: Mit Technologie, mit der vernetzten, digitalen Gesundheitsinfrastruktur, können wir das System so optimieren, dass es dem medizinischen Personal Freiräume für die Versorgung und damit für eine bessere, effizientere Behandlung der Patientinnen und Patienten schafft. Die Zeit dafür ist reif. Die Forderung nach Vernetzung und Digitalisierung im Arbeitsalltag von medizinischem Personal kommt nicht von ungefähr. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des ZVEI zeigt deutlich, dass sich die Mehrheit der Erwerbstätigen im Gesundheitsbereich eine umfassend vernetzte Infrastruktur wünscht: weil sie ihre Arbeit erleichtert (rund 55 %) und weil es die Patientenversorgung besser macht (64 %).
Konkret: Die elektronische Patientenakte (ePA), die nun ab Ende April endlich deutschlandweit für alle Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehen wird, bewerten über die Hälfte der Befragten als Baustein für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Wichtige Informationen zu Diagnosen und Medikamenten sind damit jederzeit und überall verfügbar. Echte Effizienzeffekte ergeben sich dann im Zusammenspiel mit moderner Medizintechnik, die die Daten für die ePA zur Verfügung stellt.
Das führt zu präziseren Diagnosen, schnelleren Behandlungen und einer besseren langfristigen Betreuung. Ein Beispiel hierfür sind innovative bildgebende Verfahren, die eine frühzeitige Erkennung von Krankheiten ermöglichen, wie z. B. Amyloid-PET-Scans zur Früherkennung von Alzheimer-Erkrankungen oder Niedrigdosis-CTs beim Lungenkrebsscreening. Mittels Künstlicher Intelligenz können diese Verfahren weiter optimiert werden, sodass sie noch schneller und genauer arbeiten.
Reformwillen nicht untergraben
Allerdings macht die ZVEI-Umfrage auch deutlich, dass wir auf diesem Weg noch am Anfang stehen. Den aktuellen Stand der umfassend vernetzten Gesundheitsinfrastruktur bewertet die Mehrheit (63 %) der Befragten als „versetzungsgefährdet“. Umso wichtiger ist nun, den Fokus auf einen langfristigen, nachhaltigen Maßnahmenplan zur Förderung und Aufbau einer vernetzten Gesundheitsinfrastruktur zu legen und diesen mit Nachdruck voranbringen.
Einzelne dahingehend positive Zeichen der designierten Bundesregierung sind vorhanden: Im Koalitionsvertrag finden sich Ansätze zur Förderung der Telemedizin, zur Nutzung von Gesundheits- und Forschungsdaten sowie zur Regelung von KI als Schlüsseltechnologie. Aber die Umsetzung in die Praxis bleibt ungewiss: Es gibt keine gezielte Förderung einer digitalen und vernetzten Gesundheitsinfrastruktur und wichtige Impulse für Forschung und Entwicklung wie der European Health Data Space (EHDS) fehlen gar ganz. Auch fehlt das klare Bekenntnis, die Digitalisierung von Krankenhäusern über das Sondervermögen Infrastruktur zu finanzieren – im Koalitionsvertrag findet sich nur eine vage Finanzierungsaussage. Damit steht die Effizienzwende im Gesundheitsbereich unter Finanzierungsvorbehalt. Das sät Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Reformwillens der nächsten Bundesregierung. Dabei muss es jetzt heißen: dranbleiben – um nach Vorbereitungs- und Aufwärmphase nicht den Start zu verschlafen.
Gesundheit ist ein politisches, gesellschaftliches und zutiefst menschliches Thema. Erkrankte Menschen brauchen vor allem eines: Personen, die sich fachgerecht, präzise und nahbar um sie kümmern können, statt Informationen zu suchen oder Tätigkeiten zu dokumentieren. Eine vernetzte, digitale Gesundheitsinfrastruktur, die sich kontinuierlich weiterentwickelt und so optimal auf die Bedürfnisse der Anwenderinnen und Anwender abgestimmt ist, wird dafür sorgen, dass die meiste Arbeitszeit wieder für die Betreuung der Patientinnen und Patienten verwendet werden kann. Das ist das Zielbild, in das zu investieren und für das zu innovieren wirklich lohnt.
Hans-Peter Bursig ist Bereichsleiter Gesundheit beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).
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