Dass ich als Repräsentant eines Impfstoffherstellers um die Vorzüge von Impfungen weiß, ist für die Leser:innen sicherlich keine allzu große Überraschung. Überraschen jedoch vermag vielleicht die ein oder andere in der Gesundheitsökonomie weniger bewanderte Person meine Sichtweise, dass Ausgaben für Impfprogramme signifikant dazu beitragen, Kosten für Volkswirtschaften zu reduzieren – ja sogar als sinnvolle Investitionen angesehen werden können.
Es ist eindeutig, dass so gut wie alle Bevölkerungen in westlichen Staaten durchschnittlich immer älter werden. So werden die Gruppen, die in den kommenden zwei Jahrzehnten die größten aller Altersgruppen in Deutschland darstellen werden, laut der koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts nach heutigen Maßstäben allesamt im Rentenalter sein. Während es im Jahr 2022 noch die 58-Jährigen waren, die die stärkste Altersgruppe repräsentierten, werden es im Jahr 2033 die 69-Jährigen sein und im Jahr 2040 die 74-Jährigen. Diese Gruppen werden mehr als eine Million Menschen umfassen.
Bei diesen Zahlen liegt die Vermutung nahe, dass auch die Gesundheitsausgaben rapide steigen werden, denn trotz einer immer gesünderen Bevölkerung kann sich der Gesundheitszustand mit zunehmendem Alter allmählich verschlechtern, und es könnten zukünftig mehr medizinische Leistungen in Anspruch genommen werden. Laut Statistischem Bundesamt beliefen sich die Kosten in Deutschland für das Jahr 2021 auf rund 474 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr zeichnete Götz Zeddies vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in der Zeitung Wirtschaftsdienst eine recht bemerkenswerte Prognose. So hat er prognostiziert, dass die Gesundheitskosten in Deutschland im Jahr 2050 fast die Schwelle von einer Billion Euro erreichen werden.
Anstieg von Atemwegsinfektionen tragen zu Kostensteigerungen bei
Die WHO führt Infektionen der unteren Atemwege, dazu gehören beispielsweise die RSV-Infektion, aber auch COVID-19 und die saisonale Influenza-Infektion, im Jahr 2023 als die vierthäufigste Todesursache weltweit. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sterben jährlich daran. Tendenz steigend – zu diesem Schluss kommt zumindest der Global Burden of Disease Report 2021 des IHME (Institute For Health Metrics And Evaluation). Zwar wird in dem Report darauf hingewiesen, dass bei der Verringerung der Sterblichkeit durch Infektion der unteren Atemwege erhebliche Fortschritte erzielt worden seien, die Belastung aber nach wie vor hoch sei. Dies führe zu einem „beispiellosen Druck auf die öffentlichen Ausgaben und die Ressourcen des Gesundheitswesens“. Trotz der Fortschritte im Bereich der Gesundheitsinnovation und -technologie wird eines der kosteneffizientesten Instrumente des Gesundheitswesens aus meiner Sicht nach wie vor viel zu wenig genutzt: die Impfprävention.
Eine aktuelle Studie des Office of Health Economics (OHE) hat sich kürzlich mit dem sozioökonomischen Wert von Impfungen für Erwachsene auseinandergesetzt. Diese analysierte Daten exemplarisch aus vier Impfprogrammen – gegen saisonale Influenza, Pneumokokken, RSV und Herpes zoster – und bezieht sich auf zehn verschiedene Länder mit unterschiedlichem Wohlstand, gesellschaftlichem Kontext und Gesundheitssystemen.
Die Studie zeigt eindeutig, dass Impfungen sinnvolle Investitionen sind. In den untersuchten Ländern, darunter auch Deutschland, könnten sich Impfprogramme für Erwachsene bis zum 19-Fachen der ursprünglichen Investition auszahlen.
Kosten einsparen durch Impfempfehlungen und hohe Impfquoten
Um den wachsenden Herausforderungen für unsere Gesundheitssysteme zu begegnen, müssen wir daher aus meiner Sicht einen Paradigmenwechsel bei der Priorisierung der Gesundheitsausgaben vollziehen und zum Beispiel bei Infektionskrankheiten die Prävention noch viel stärker in den Vordergrund stellen, um den vollen Wert und Nutzen von Impfungen auch durch hohe Impfquoten freizusetzen. Hier ein paar internationale Beispiele, die in der Studie aufgeführt sind: In Australien und Südafrika beispielsweise könnte die Impfung von nur 15 % der Bevölkerung mit erhöhtem Risiko gegen Grippe die gesamten Produktivitätsverluste in der Gemeinschaft halbieren. Auch die Pneumokokkenimpfung bringt erhebliche wirtschaftliche Vorteile mit sich: Allein in Italien könnten diese Verluste jährlich um 124 Millionen Euro verringert und das Steueraufkommen um 24 Millionen Euro gesteigert werden.
Wenn also auch ökonomische Gründe für eine Impfung für alle Bevölkerungsgruppen sprechen, sollte die Politik handeln. Meiner Ansicht nach sollte die Ständige Impfkommission (STIKO) und Teile des Robert Koch-Instituts (RKI) mit Ressourcen und gegebenenfalls mit noch mehr Expertise ausgestattet werden, um verschiedene Impfempfehlungs-Verfahren parallel und zügiger bearbeiten zu können, denn die Forschungspipelines der Impfstoffhersteller sind prall gefüllt. Laut des europäischen Dachverbandes der nationalen Verbände forschender Pharmaunternehmen (EFPIA) befanden sich allein im Jahr 2023 103 Impfstoffkandidaten in der klinischen Prüfungsphase. 42 Prozent dieser Impfstoffkandidaten sollen gegen Krankheiten schützen, bei denen es noch gar keinen Impfstoff gibt. Mehr als 20 Kandidaten hiervon befinden sich in Phase III. Das beinhaltet auch Wirkstoffe zur RSV-Schutzimpfung.
Die Impfstoffforschung entwickelt sich mit großer Geschwindigkeit – auch dank neuer Technologien wie der mRNA. Die STIKO hat es in der Hand, durch transparente und zügige Verfahren die Planbarkeit für die Bevölkerung, Ärzteschaft, Krankenkassen und Hersteller maßgeblich zu verbessern. Darauf aufbauend, sollte es uns dann gemeinsam gelingen die Impfquoten, vor allem bei Erwachsenen und Älteren zu steigern. Denn Investition in Impfungen könnten langfristig erhebliche Kosten für Hospitalisierung und Produktivitätsverluste vermeiden. Die jüngste Neuaufstellung der STIKO weckt Hoffnungen und Erwartungen an eine zukunftsorientierte Präventionspolitik.
Bernhard Ultsch ist Director Market Access & Policy Affairs bei Moderna Germany.