Corona hat gezeigt, wie weit das deutsche Gesundheitswesen bei der Digitalisierung zurückliegt. Nach wie vor müssen Patient:innen und das medizinische Fachpersonal einen enormen Aufwand betreiben, weil es keinen effektiven digitalen Datenfluss zwischen den Akteuren und den Informationsanbietern gibt. Allein mit der Suche nach aktuellen medizinischen Leitlinien, Medikamenten und ihren aktuellen Dosierungsempfehlungen verbringen Ärzt:innen viel Zeit, die sie eigentlich der Behandlung widmen sollten. Und die Belastung steigt mit immer neuen medizinischen Erkenntnissen weiter an. Denn die Halbwertszeit medizinischen Wissens verkürzt sich immer schneller.
Durch medizinische und pharmakologische Forschung, überarbeitete Leitlinien der Fachgesellschaften und neue Arzneimittel verkürzt sich die Zeitspanne gültiger Informationen mittlerweile auf weniger als fünf Jahre. Die mittlere Lebensdauer der klinischen Richtlinien des britischenNational Institute for Health and Care Excellence betrug bereits 2014 nur noch etwa 60 Monate.
In Deutschland dürften ähnliche Werte gelten. 180 medizinische Fachgesellschaften, die in derArbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. zusammengeschlossen sind, überarbeiten ihre 800 Leitlinien turnusgemäß alle fünf Jahre. Allein 2020 und 2021 wurden 226 aktualisiert. 2021 kamen außerdem 46 neue Medikamente in Deutschland auf den Markt, 2022 sollen es noch mehr werden. Seit dem Marktstart der Mediately-App in Deutschland im Juni 2022 gab es in nur sechs Monaten bereits 2.298 Änderungen bei den Dosierungsempfehlungen für die rund 38.000 in Deutschland zugelassenen Arzneimittel.
Ärzt:innen stützen sich auf mobile und unabhängige Quellen
Die Digital Doctor Survey, eine jährliche Umfrage von Mediately unter mittlerweile rund 7.000 Ärzt:innen aus neun europäischen Ländern, zeigt eindeutig deren Präferenzen bei der Informationsrecherche: Zuletzt sagten 2021 rund 62 Prozent der Teilnehmenden, dass sie am häufigsten für die Suche nach Fachinformationen eine medizinische App nutzen. Dieser Wert steigt seit der ersten Umfrage 2020 kontinuierlich an. Medizinische Apps haben damit die anderen Quellen deutlich überholt. Artikel aus Fachjournalen (59 Prozent), Webseiten der Fachgesellschaften (49 Prozent) und gedruckte medizinische Nachschlagewerke (37 Prozent) nehmen als die früher bevorzugten Quellen in ihrer Bedeutung ab.
Befragt nach ihren Präferenzen bevorzugen Mediziner:innen an erster Stelle unabhängige Quellen, die jederzeit zugänglich und seriös sind. 90 Prozent gaben an, dass sie täglich unabhängige Internetseiten für Dosierungsempfehlungen von Arzneimitteln durchsuchen. Lediglich zehn Prozent der befragten Fachkräfte nutzen pharmaeigene Quellen.
Regelmäßige Suche nach Dosierungsanleitungen
Diese Erkenntnisse bestätigt die aktuelle Umfrage, die wir im Februar 2023 veröffentlichen werden. Erstmals nehmen auch Ärzt:innen aus Deutschland teil. Medizinischem Fachpersonal geht es wie den meisten Verbraucher:innen: Sie arbeiten und leben mit ihren Smartphones. Sie wünschen sich eine Plattform mit benutzerfreundlicher Gestaltung und einer intuitiven Bedienung, die die Informationsbeschaffung beschleunigt.
Bisher müssen sie für aktuelle Informationen oft mehrere Seiten durchsuchen und finden häufig doch nur Teilantworten. Für viele ein tägliches Ärgernis: 42 Prozent der Teilnehmenden geben in der aktuell laufenden Befragung an, dass sie regelmäßig nach Dosierungsanleitungen bei der Verschreibung suchen. 23 Prozent schlagen sogar jedes Mal nach, bevor sie ihren Patient:innen ein Rezept mit einer Dosierung ausstellen. Das bedeutet, dass rund zwei Drittel aller Mediziner:innen ihre Verschreibungspraxis überprüfen und aktualisieren.
Plattformen garantieren Fachgesellschaften und Industrie Präsenz
Vor dem Hintergrund der aufwendigen Bürokratie und umfangreicher Dokumentationsaufgaben, des Fachkräftemangels und einer Überlastung der ambulanten und stationären Patientenversorgung sind mobil verfügbare Informationen am Point of Care heute unersetzlich. Medizinische Apps haben den Vorteil, dass sie Informationen bündeln, ähnlich wie Buchungsportale für Hotels und Plattformen für Jobs oder Fahrzeuge. Sie ermöglichen ein One-Stop-Shopping und sparen den Ärzt:innen viel Zeit. Statt einer oft zeitaufwendigen Google-Suche finden sie alle notwendigen Informationen zu Anamnese- und Diagnosefragen, Therapiealternativen und Dosierungsanleitungen auf einer Plattform.
Diese Möglichkeit sollten Fachgesellschaften, Pharmaunternehmen und Medizinproduktehersteller nutzen, um sich ihre Präsenz am Point of Care zu sichern und Mediziner:innen effektiver bei ihrer Arbeit zu unterstützen.
Blaž Triglav ist CEO und Mitgründer des slowenischen Digital-Health-Unternehmens Mediately.