Hohe Kosten, verschleppte Umsetzung, unzufriedene Bürger:innen – der Staat liefert bei der Verwaltungsdigitalisierung trotz glühender Absichtsbekundungen nicht ab. Allein der Bericht des Bundesrechnungshofs zur OZG-Umsetzung zeichnet ein niederschmetterndes Bild.
Was könnte überhaupt noch zu wirklichem Umsetzungseifer motivieren? „Wettbewerb!“ rufen da die Altvorderen der Verwaltungsreform reflexhaft, die noch in den Wassern von New Public Management und Neuem Steuerungsmodell gewaschen wurden. Schauen wir uns das mal genauer an.
Wie Wettbewerb wirkt
Die Organisationsforschung unterscheidet drei wesentliche Koordinationsmechanismen: Hierarchie, Kooperation und Wettbewerb. Hierarchie beruht auf dem Prinzip von „Befehl und Kontrolle“, mit klaren Weisungsverhältnissen in der Umsetzung und der anschließenden Überprüfung auf Korrektheit und Wirtschaftlichkeit mit Sanktionsandrohung. Angesichts der Folgenlosigkeit des erwähnten Bundesrechnungshofsberichts und der verteilten föderalen Zuständigkeiten scheint dieser Mechanismus in der Verwaltungsdigitalisierung aktuell nicht besonders wirkungsvoll.
Kooperation setzt auf freiwillige Zusammenarbeit, wie wir sie etwa mit dem IT-Planungsrat institutionalisiert haben. Trotz erstaunlicher Einigungen – beispielsweise vor Kurzem auf die Deutschland-ID – gibt es viele Themen, die auf freiwilliger Basis ohne massiven externen Druck nicht angegangen werden.
Wettbewerb schließlich ist das Ringen mit anderen um den Zugang zu Ressourcen, wie etwa Reputation oder Finanzen. Der jeweilige Markt belohnt gute Leistungen und bestraft schlechte Leistungen von alleine – das macht ihn zu so einem effizienten Mechanismus. Was kann er also für die Verwaltungsdigitalisierung leisten?
Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften kann auf zwei wesentliche Weisen wirken: Als „Abstimmung mit den Füßen“, wenn Bürger:innen und Unternehmen zu- oder wegziehen. Hier spürt man Konkurrenzdruck direkt und empfindlich, wenn etwa Steuereinnahmen wegbrechen. Allerdings schneidet Deutschland in internationalen Vergleichen wie dem DESI-Index anhaltend mittelmäßig ab, ohne dass es bisher zum Massenexodus in Richtung E-Government-Spitzenreitern kam.
Stattdessen kann Wettbewerb auch über Eitelkeit wirken. Lauscht man etwa Wortbeiträgen aus dem Bundesinnenministerium, ist eine für die mächtige deutsche Volkswirtschaft angemessenere Platzierung in E-Gov-Rankings erkennbar ein Ziel. Denn die wiederkehrende mediale Häme über die Ranking-Resultate schmerzt politisch durchaus.
Von kommunalen Digitalisierungsbeauftragten höre ich tatsächlich häufig, dass sich Bürgermeister:innen von ihnen einen besseren Rang im Bitkom Smart-City-Index wünschen. Um zumindest besser dazustehen, als die Nachbarstadt. Hier sieht man, wie Benchmarks Wetteifer um Reputation entfachen und zu besseren Verwaltungsleistungen anspornen können.
Voraussetzung hierfür ist allerdings Transparenz. Ein plausibler Grund für die von mir bereits beklagten Datenarmut zur deutschen Verwaltungsdigitalisierung mag sein, dass sich die verantwortlichen Stellen so unangenehmem Wettbewerbsdruck entziehen. Mehr Rankings auf besserer Datenbasis, etwa auf Grundlage echter Nutzungs- und Zufriedenheitszahlen aus den Onlineverfahren, könnten hier entsprechende Wettbewerbsituationen erzeugen.
Rahmenverträge, Fachverfahren und IT-Dienstleister
Wettbewerb entfaltet seine disziplinierende Wirkung erst dann, wenn er konsequent angewendet wird. Bei genauem Hinsehen findet Wettbewerb in der Verwaltungsdigitalisierung oft nur halbherzig statt, mit entsprechend lauwarmen Resultaten. Ein paar Beispiele:
Vergabeverfahren sind für die öffentliche Hand zweifellos das wichtigste Instrument, um Wettbewerb für sich zu nutzen. Bieter konkurrieren hart um das beste Preis-Leistungs-Paket. Allerdings ist jedes Vergabeverfahren mit administrativem Aufwand verbunden, weshalb die öffentliche Hand großvolumige, mehrjährige Rahmenverträge bevorzugt.
Über diese Rahmenverträge können flexibel vordefinierte Güter und Dienstleistungen abgerufen werden, statt für jede neue Herausforderung ein spezifisches Vergabeverfahren zu starten. So bleiben Spezialanbieter, die einzelne Aufgaben eventuell besser und günstiger lösen könnten, oft außen vor. Und der Markt verengt sich auf wenige große Unternehmen, welche die Anforderungen der breit angelegten Rahmenverträge erfüllen können und es auch überleben, mal ein paar Jahre leer auszugehen. Hier könnten innovative Vergabeinstrumente wie zum Beispiel dynamische Beschaffungsysteme für niedrigere Beteiligungshürden und somit mehr Wettbewerb sorgen.
Die Märkte für Fachverfahrens-Software bieten eine – zumindest für Volkswirt:innen – begeisternde Vielfalt an Konstellationen mit sehr unterschiedlichen Graden an Wettbewerb. Diese sehr spezifischen IT-Lösungen digitalisieren etwa das Standesamtwesen, das Ausstellen von Angelscheinen oder Anträge für Halteverbote im Straßenverkehr.
Diese Nischenmärkte werden – auch in Folge ruinösen Wettbewerbs – immer enger. In Folge finden sich zunehmend Monopolsituationen, Oligopole mit wenigen Anbietern, die bei genauem Hinsehen regionale Monopole sind, Monopsone mit nur einem Käufer im Markt, und vieles mehr. Wettbewerb wird etwa durch technische Lock-In-Situationen und Pfadabhängigkeiten bei den Behörden eingeschränkt.
Das enorme notwendige Fachwissen schließt den Eintritt neuer Unternehmen in den jeweiligen Markt – und damit auch die bisweilen erhoffte Disruption durch innovative Govtech-Start-ups – beinahe aus. Das Verhältnis zwischen Anbietern und Nachfragern gleicht oft eher einer Schicksalgemeinschaft in gegenseitiger Abhängigkeit als kühlen Transaktionen auf einem idealen Markt. Ob der so herrschende Wettbewerb wirklich zu optimalen Resultaten führt, ist für mich eine offene Frage.
Auch der Blick auf die öffentlichen IT-Dienstleister enthüllt eine eher unentschiedene Haltung zum Wettbewerb. Einige kommunale IT-Dienstleister stehen im mehr oder weniger offenen Wettbewerb miteinander um Gemeinden als Kunden. Andere haben ihre Kunden qua Gesetz oder Eigentümerstrukturen sicher und spüren in dieser Hinsicht wenig Wettbewerbsdruck. Manche Dienstleister sind an ihre Stammterritorien gebunden, andere dürfen zu gewissen Umsatzanteilen andernorts wildern. (Weshalb etwa die „Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern“ Software für das Land Brandenburg entwickelt.)
Gleichzeitig hört man aus fast allen Behörden Klagen über den eigenen IT-Dienstleister. Ob hier mehr Wettbewerb zwischen den IT-Dienstleistern die Qualität eher heben würde, als die semi-hierarchische Steuerung durch die öffentlichen Eigentümer der Dienstleister bisher vermag?
Föderaler Wettbewerb um die besten Online-Dienste
In Deutschland herrsche „Wettbewerbsföderalismus“, wird im Politikunterricht gerne verbreitet. Dabei sollen die Bundesländer um die geschicktesten Policy-Lösungen wetteifern. Dass wir in der Verwaltungsdigitalisierung diesbezüglich etwas unentschieden zwischen Ländersouveränität und EfA-Einheitslösungen changieren, habe ich an dieser Stelle bereits beklagt.
Dabei bietet gerade die Verwaltungsdigitalisierung die seltene Chance, wirklichen Wettbewerb zwischen den Ländern zu schaffen. Bei fast allen anderen Themen ist die „Abstimmung mit den Füßen“ mit exorbitanten Kosten verbunden. Ja, die Schulen im anderen Bundesland sind vielleicht besser. Aber deshalb Haus verkaufen, umziehen, neue Jobs und Freund:innen suchen? So wichtig ist das dann vielleicht doch nicht.
Bei Onlinediensten wäre es aber grundsätzlich denkbar, dass Bürger:innen ohne Mehraufwand den Service eines Bundeslandes oder einer Gemeinde nutzen, der ihnen besser gefällt. Portalverbund hin, hoheitliche Zuständigkeiten her – hier könnten die Gebietskörperschaften in einen Wettbewerb treten, dessen Gewinner:innen am Ende die Bürger:innen wären.
Zur Inspiration sei hier das Positiv-Beispiel Elster genannt: Bürger:innen können inzwischen aus einem breiten Angebot an Steuersoftware wählen, die dank „Elster Rich Client“ nahtlos das digitale Steuerverfahren bedienen. Der Wettbewerb hat hier unter anderem zu einer Zielgruppendifferenzierung geführt. Einige Produkte konzentrieren sich auf die Nutzerfreundlichkeit für simple Steuerfälle à la „Steuererklärung mit drei Klicks am Smartphone auf dem Sofa“. Andere Lösungen zielen auf Menschen mit komplexen Einkommenssituationen, die mehr als drei Klicks in Kauf nehmen, wenn sie dafür erkleckliche Steuereinsparungen erzielen.
Nun ist es unwahrscheinlich, dass Bürger:innen für beliebige Online-Verwaltungsdienste zusätzliche Software anschaffen würden. Allerdings könnten die Nutzungskosten von Onlinediensten durch auswärtige Bürger:innen zwischen den Gebietskörperschaften verrechnet werden. So entstünde ein Quasi-Markt, auf dem sich Innovation, Effizienz und Nutzerfreundlichkeit lohnen würden.
Derartige Vorschläge liegen in der volkswirtschaftlichen Forschung schon lange vor, etwa mit den „Functional Overlapping Competing Jurisdictions“. Onlinedienste sind jedoch eine der seltenen ortsungebundenen öffentlichen Leistungen, bei denen diese Ideen plausibel scheinen.
Mehr Wettbewerb wagen
Dieser kursorische Überflug zeigt: Das Instrument des Wettbewerbs ist in der Verwaltungsdigitalisierung oft nur halbherzig umgesetzt und noch lange nicht ausgeschöpft. Es wäre lohnenswert, das gesamte Ökosystem auch jenseits der von mir angerissenen Aspekte zu durchleuchten. Nicht überall macht Wettbewerb Sinn und der Rahmen sollte stets mit Bedacht gesetzt werden. Denn Beispiele für wettbewerbliche Fehlsteuerungen in der Verwaltung haben wir aus den 1990ern und 2000ern zur Genüge. Mit den richtigen Anreizen könnte so aber mehr Qualität, Effizienz und Umsetzungseifer in der Verwaltungsdigitalisierung freigesetzt werden.
Wo funktioniert Wettbewerb in der Verwaltungsdigitalisierung nicht? Wo könnte er noch sinnvoll Einzug erhalten? Ich freue mich über kundige Hinweise!
Basanta Thapa forscht und kommuniziert als Geschäftsführer des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums in Berlin, einem Fachnetzwerk und Denkfabrik zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Sein Forschungsschwerpunkt ist die datengesteuerte Verwaltung.
Bisher von Thapa in dieser Rubrik erschienen: „Blind durch die Verwaltungsdigitalisierung“, „Informationspolitik ölt die Umsetzungsmaschine“, „Vision gesucht: E-Government im Bundesstaat“, „Digitale Verwaltung sucht Zweck“, „Im Netzwerkgewirr der Verwaltungsmodernisierung“ und „Wer liest E-Gov-Strategien und wozu?“.