Es gibt zu viele Netzwerke in der Verwaltungsmodernisierung. NEGZ, NExT, AWV, KGSt, Govtech Campus, D21, Co:Lab, Re:Form, Arbeitskreis Staatsreform, RuDi – Ruhr Digital, GovTech.Rocks, 9zu9000, Arbeitsgruppen in Handelskammern, Parteien und Wirtschaftsverbänden, Themenzirkel in kommunalen Spitzenverbänden, politikfeldspezifische Fachnetzwerke, Alumni-Clubs von Ausbildungsgängen und noch viele mehr schreiben sich auf die Fahnen, progressive Kräfte in Kontakt und damit Wissen und Erfahrung zur Verwaltungsmodernisierung in Fluss zu bringen.
Ich spreche hier als Nestbeschmutzer: Mit dem NEGZ leite ich eines dieser Netzwerke. Doch genau aus dieser Nahsicht speist sich mein Urteil. Der Bedarf an Netzwerken ist unbestritten: Die deutsche Verwaltungsmodernisierung hinkt gewaltig auf der Informationsseite. Es ist wichtig zu wissen, wie andere Behörden Herausforderungen angehen, welche Erfahrungen schon gemacht wurden und wen ich wo mal kurz anfunken kann, um einen ungeschönten Einblick zu erhalten. Genau hier spielen Netzwerke ihre Stärke aus, denn sie schaffen den Rahmen für viele „schwache Bindungen“ zwischen Menschen, über die solche Informationen besonders gut fließen.
Netzwerkökonomie ist gefragt
Doch Netzwerke haben auch Kosten, sowohl für den Betreiber als auch für die Teilnehmenden. Als „Betreiber“ eines Netzwerks gilt es beispielsweise, Orte für virtuelle oder physische Treffen zu organisieren, Neumitglieder einzuführen, Altmitglieder zu motivieren und vieles mehr. Teilnehmende eines Netzwerks investieren mindestens Zeit, Energie und oft auch Geld, um Teil eines Netzwerks zu werden, sich zu orientieren, Kontakte zu knüpfen und die Gepflogenheiten zu erlernen.
Entsprechend ergeben sich Skaleneffekte: Verteilen sich begrenzte Ressourcen auf viele kleine Netzwerke, reicht es beim einzelnen Netzwerk vielleicht gerade so für ein virtuelles Jahrestreffen. Würde man diese Ressourcen bündeln, wäre hingegen zweifellos eine schlagkräftige Geschäftsstelle stemmbar, die mit vielen Vollzeitäquivalenten das Networking anregen, Wissensfluss massieren, und Veranstaltungen organisieren könnte. Auch Teilnehmende stehen vor der Entscheidung, mit ihren begrenzten Ressourcen bei einigen wenigen Netzwerken tief einzutauchen oder bei vielen oberflächlich anzuklopfen.
Ausnahme sind natürlich die professionellen Netzwerker:innen, die von ihren Organisationen dafür bezahlt werden, an allen denkbaren Orten Kontakte und Chancen aufzutun – oder hoch motivierte Personen, die dies in ihrer Freizeit tun. Es ist nett, bekannte Gesichter zu treffen, wirft aber auch die Frage auf: Wozu brauche ich eigentlich mehrere Netzwerke, wenn sich dort immer wieder die gleichen Leute tummeln? Natürlich macht es Sinn, Netzwerke nach Thema, Zielgruppe und Vertrauensraum („Wem darf ich was erzählen?“) auszudifferenzieren. Entsprechende klare Profile sind in der Netzwerklandschaft der deutschen Verwaltungsmodernisierung jedoch rar gesät.
Nachteil einer fragmentierten Netzwerklandschaft sind Brüche im Informationsfluss. In wie vielen Netzwerken muss ich meine Frage stellen, um die passende Antwort zu erhalten? Da werden die Suchkosten schnell unwirtschaftlich und anschließend stellt sich heraus, dass es die teuer beauftragte App schon in drei anderen Landkreisen gibt. Nur halt in anderen Bundesländern, in deren Landkreistagen man natürlich nicht gefragt hat.
Verführerisches Netzwerken
Netzwerke sind verführerisch, das ist ein Teil des Problems. Es ist aufregend, Kontakte zu knüpfen, unter Gleichgesinnten zu sein und Interesse an der eigenen Person und Arbeit zu erleben. Jedes Netzwerk ist potenziell ein Hort voller neuer Chancen – wie könnte man da „nein“ sagen? Das Freiheitsversprechen von Netzwerken passt als Gegenmodell zu Organigramm und Linie gut zum Hype um New Work und Agilität. Zudem ist so ein Netzwerk schnell ausgerufen, gerade im rauschhaften Zustand am Ende einer intensiven Tagesveranstaltung.
Ein funktionierendes, nutzenstiftendes Netzwerk braucht jedoch Arbeit – daher auch die Ressourcenfrage mit ihren Skaleneffekten. Diese Arbeit kann ein zentrales „Sekretariat“ oder viele Netzwerkmitglieder freiwillig in kleinen Dosen erbringen. Dazu kommt die Frage, wie geschult wir eigentlich in den Techniken der Netzwerkarbeit sind.
Versteht das Sekretariat, was die Mitglieder des Netzwerks eigentlich suchen? Was sie brauchen, um aktiv zu werden? Welche Art von Ansprache motiviert? Sind andersherum die Mitglieder geübt in Selbstorganisation? Trauen Sie sich, eigeninitiativ ihre Fragen zu stellen und Erfahrungen zu teilen? Gerade das traditionell hierarchisch geprägte Umfeld der öffentlichen Verwaltung tut sich hier oft schwer.
Aktuell mehr Masse als Klasse in Netzwerken
Wissens-Netzwerke sind dann effizient, wenn sie offene Informationen um den persönlichen Kontakt ergänzen. Also etwa den Erfahrungsaustausch nicht dem Zufall überlassen, sondern systematisch Erfahrungen erheben und hauptamtliche Synthesen erstellen lassen, die zentral zur Verfügung gestellt werden. Beispielsweise leistet die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) dies für ihre Mitglieder seit vielen Jahrzehnten, erhebt aber auch entsprechende Mitgliedsbeiträge.
Auch elegante digitale Ansätze, die über eine Mailingliste und eine LinkedIn-Gruppe hinausgehen, habe ich bisher noch nicht wirklich gesehen. Dabei liegt gerade hier viel Potenzial, mit digitalen Hilfsmitteln die Netzwerkmitgliedern zu echten Prosumer:innen ihres eigenen versammelten Wissens zu machen.
Mein Eindruck: Wir haben aktuell bei den Netzwerken der Verwaltungsmodernisierung mehr Masse als Klasse. Schlimmstenfalls stecken wir hier wohlmeinend viel Energie und Zeit in mäßig funktionale Feelgood-Veranstaltungen. Es gilt Ressourcen zu bündeln und gute Netzwerkpraktiken zu teilen, wenn die Netzwerke ihre Rolle als Wissensfluss-Katalysatoren über organisationale, territoriale und sektorale Grenzen hinweg erfüllen sollen.
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Basanta Thapa forscht und kommuniziert als Geschäftsführer des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums in Berlin, einem Fachnetzwerk und Denkfabrik zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Sein Forschungsschwerpunkt ist die datengesteuerte Verwaltung.
Bisher von Thapa in dieser Rubrik erschienen: „Blind durch die Verwaltungsdigitalisierung“, „Informationspolitik ölt die Umsetzungsmaschine“ und „Vision gesucht: E-Government im Bundesstaat“ und „Digitale Verwaltung sucht Zweck“.