Standpunkte Alte Verkehrswege führen nicht in die Zukunft

Der aktuell geltende Bundesverkehrswegeplan 2030 läuft bald aus und muss durch einen neuen Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplan 2040 abgelöst werden. Stattdessen hält die kommende Bundesregierung am bestehenden Plan und seiner nachweislich überholten Methodik fest. Die Konzeption wird den Herausforderungen unserer Zeit jedoch nicht gerecht. Ein neuer Mobilitätsplan muss daher die Unzulänglichkeiten seines Vorgängers vermeiden.
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Jetzt kostenfrei testenSeit der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 im Jahr 2016 aufgestellt wurde, haben sich zentrale Rahmenbedingungen verschoben. Der Verkehrssektor gerät angesichts stagnierender Treibhausgasemissionen zunehmend unter Druck, endlich einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele zu leisten. Gleichzeitig treten die Folgen jahrzehntelanger Vernachlässigung bestehender Infrastrukturen immer deutlicher zutage: Der Erhaltungsbedarf, insbesondere bei Straßenbrücken, ist auf ein historisches Maß angewachsen.
Ein aktueller Bericht der Organisation Transport & Environment beziffert den Investitionsbedarf für den Ersatzneubau sanierungsbedürftiger Brücken im deutschen Straßennetz auf bis zu 100 Milliarden Euro. Der einseitige Fokus auf Neu- und Ausbau hat dazu geführt, dass die Kosten für Sanierungsmaßnahmen auf zukünftige Generationen abgewälzt wurden.
Ohne rechtzeitige Instandhaltungsmaßnahmen verdoppeln sich die Sanierungskosten für Straßen jedoch im Schnitt innerhalb von acht Jahren. Es würde nach aktuellem Stand somit über vier Jahrzehnte dauern, um den gegenwärtig bestehenden Sanierungsrückstand bei Brücken vollständig abzubauen. Das ist ein verkehrspolitischer Bumerang, der nun mit voller Wucht zurückschlägt.
Keine Autobahn- und Bundesstraßenneubauten
Vor diesem Hintergrund ist ein weiterer Neu- und Ausbau von Straßen nicht nur schwer vermittelbar, sondern verkehrs- und haushaltspolitisch kaum zu rechtfertigen. Umso schwerer wiegt, dass die kommende Bundesregierung trotz besseren Wissens am BVWP 2030 in seiner aktuellen Form festhält. Und das, obwohl sich das Bundesverkehrsministerium (BMDV) im Rahmen des Infrastrukturdialogs, der Anfang des Jahres abgeschlossen wurde, ausdrücklich dazu bekannt hat, „auf Basis neuer Kriterien einen neuen Bundesverkehrs- und Mobilitätsplan (BVMP) 2040 auf den Weg zu bringen“.
Auch der Abschlussbericht des Dialogformats lässt keinen Interpretationsspielraum: Es brauche „eindeutig“ eine neue strategische Grundlage für die Verkehrsinfrastrukturplanung, und der Infrastrukturdialog habe hierfür „eine gute Grundlage geschaffen“. Mehrfach wurde seitens des Ministeriums betont, die Ergebnisse dieses aufwendigen Prozesses seien keinesfalls für die Schublade bestimmt, sondern würden in konkrete politische Maßnahmen einfließen.
Entgegen dieser Ankündigung sollen nun zahlreiche Projekte stur weiterverfolgt werden, insbesondere im Bereich von Autobahn- und Bundesstraßenneubauten. Das wirft nicht nur Fragen nach politischer Glaubwürdigkeit auf, sondern nährt den Eindruck, dass der Infrastrukturdialog vor allem dazu diente, ein Versprechen aus dem vergangenen Koalitionsvertrag formal abzuräumen, nicht jedoch, um tatsächlich eine strategische Neuausrichtung einzuleiten.
Die Fehler des BVWP 2030 dürfen nicht wiederholt werden
Ein neuer BVMP 2040 muss vieles grundsätzlich anders machen als sein Vorgänger. Er muss einem verbindlichen Leitbild folgen, das klare, quantifizierbare Ziele setzt. Diese Ziele müssen neben der Reduktion von Emissionen, der Begrenzung des Flächenverbrauchs und der Verkehrsverlagerung auch die Verbesserung der Verkehrssicherheit sowie die Förderung sozialer Teilhabe an Mobilität umfassen.
Dazu braucht es realistische Annahmen, etwa zum CO2-Preis, und eine realitätsbezogene Gewichtung von Umweltfaktoren in der Nutzen-Kosten-Analyse (NKA). Wesentliche Umweltfolgen, etwa CO2-Emissionen oder Naturzerstörungen, werden bislang unzureichend einbezogen. Dadurch erscheinen Projekte mit hohen Umweltkosten systematisch wirtschaftlicher, als sie tatsächlich sind.
Im BVMP 2040 müssen die Umweltauswirkungen deshalb in Euro-Beträgen quantifiziert und somit monetarisiert werden. Dies könnte über Schadenskostenansätze erfolgen, wie etwa die Berechnung von Gesundheitskosten pro Tonne Schadstoff oder die Kosten durch Lärmbelastungen, die beispielsweise mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung stehen.
Ökosystemdienstleistungen berücksichtigen
Auch der Verlust von Ökosystemdienstleistungen, also von „Vorteilen“, von denen wir Menschen in einem Ökosystem profitieren, muss berücksichtigt werden. Spätestens alle fünf Jahre muss überprüft werden, ob Ziele erreicht, Rahmenbedingungen eingehalten und Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, denn ein Plan ohne Kontrolle bleibt wirkungslos.
Im geltenden BVWP 2030 werden Kosten, die nicht von den Verkehrsteilnehmenden selbst getragen werden, weitestgehend nicht einberechnet. Konkret zählen dazu beispielsweise auch Belastungen des Gesundheitssystems durch unfallbedingte Krankenhausaufenthalte und lärmbedingte Wertverluste von Immobilien. Stattdessen werden Projekte mit fragwürdigem Nutzen durch die systematische Übergewichtung minimaler Zeitersparnisse als wirtschaftlich eingestuft.
Dabei empfinden Reisende kleine Zeitersparnisse meistens als nicht signifikant, sondern würden eher zum Beispiel einen höheren Fahrkomfort oder mehr Zuverlässigkeit wertschätzen. Die NKA im BVWP 2030 hat also methodische Schwächen, die im BVMP 2040 dringend behoben werden müssen. Das zeigt auch eine aktuelle Studie der TU Dresden eindrucksvoll auf.
Verkehrsinfrastruktur zukunftsfest aufstellen
Es sagt viel über die politische Prioritätensetzung unserer Zeit, dass zunehmend auch militärstrategische Erwägungen als Begründung für die längst überfällige Ertüchtigung der vielerorts maroden Verkehrsinfrastruktur herhalten müssen. Derweil drangen fundierte, ökologische Argumente über Jahrzehnte politisch kaum durch, obwohl sie nichts Geringeres als den Erhalt unserer Lebensgrundlagen betrafen.
Als Vertreter eines Umweltverbands kommt mir die sicherheitspolitische Argumentation in diesem Fall zwar zupass: Sie stützt den von uns ständig postulierten, verkehrspolitisch überfälligen Grundsatz „Straßenerhalt vor Straßenneubau“, denn über 4000 Straßenbrücken sind derzeit nicht in der Lage, schweres Gerät sicher zu tragen. Das ist eine direkte Folge systematisch unterlassener Instandhaltung.
Ebenso unterstreicht sie die Notwendigkeit, den Güterverkehr stärker auf die Schiene zu verlagern: Diese ist für Schwerlasttransporte prädestiniert und könnte die vielerorts bröckelnde Straßeninfrastruktur wirksam entlasten. Doch anstatt als ökologische Alternative verstanden zu werden, erfährt die Schiene nun immer öfter politische Aufwertung vor allem als militärisch nutzbares Rückgrat – erst in dieser Rolle scheint sie anschlussfähig in einer unionsgeführten Regierung.
Der BVWP 2030 ist angesichts der heutigen Herausforderungen längst überholt und muss dringend durch einen zukunftsfähigen Plan ersetzt werden. Obwohl sie es besser weiß, hält die kommende Bundesregierung an einem überholten Konzept fest und ignoriert die Notwendigkeit eines BVMP 2040. Es bleibt fraglich, ob unter einer von Friedrich Merz geführten Regierung eine echte Auseinandersetzung mit zukunftsfähigen Lösungen stattfindet, oder ob die ideologisch getriebene Fixierung auf vermeintlich bewährte Konzepte die politische Agenda dominieren wird.
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