Die Coronakrise hat die Branche mit voller Wucht erfasst: Ridepooling-Dienste wie Moia stellen ihr Angebot vorübergehend ein und haben Kurzarbeit beantragt. Der Berlkönig beschränkt sich auf Fahrten für medizinisches Personal. Den Carsharing-Unternehmen brechen die Kunden weg. Die Anbieter von Mikromobilität sind aus dem Stadtbild fast völlig verschwunden, einige stehen vor dem Aus. Ist die Zukunft der Mobilität zu Ende bevor sie richtig begonnen hat?
Auf der Innovationsagenda ganz oben stand bislang das Thema autonomes Fahren, ein besonders prominentes Anwendungsbeispiel für Künstliche Intelligenz mit immensem Potenzial: Die Zahl der Verkehrstoten könnte drastisch gesenkt werden, neue Mobilitätsangebote werden möglich. Weil der Lohn für den Fahrer, bislang der größte Kostenfaktor, entfällt, besteht für viel mehr Menschen als bislang die Aussicht auf komfortablen und bezahlbaren Zugang zur Mobilität.
Betriebssysteme fürs autonome Fahren sind plötzlich kein „Must Have“ mehr
Aus europäischer Sicht weniger erfreulich ist, dass an der Spitze der Entwicklung einmal mehr Tech-Unternehmen aus den USA und China stehen. Besonders gravierend: Im Gegensatz zu E-Commerce (Amazon, Alibaba), Suchmaschinen (Google, Baidu) und Social Networks (Facebook, WeChat) betrifft das autonome Fahren das Herz der deutschen Wirtschaft, die Automobilindustrie.
Fest steht: Die COVID-19-Pandemie verschärft die schwierige Situation der heimischen Autobauer und Zulieferer. Forderungen nach einer „Abwrackprämie 2.0“ werden laut, um kurzfristig das Kerngeschäft anzukurbeln. Die Entwicklung von Betriebssystemen für autonomes Fahren gilt plötzlich nicht mehr als „Must Have“ – zu teuer, zu langfristig, zu unsicher (welche nachhaltigen Geschäftsmodelle für autonome Personenbeförderung wird der Gesetzgeber erlauben?). Das Problem: Technologieführerschaft beim autonomen Fahren ist eine zentrale Voraussetzung, um die Erfolgsgeschichte der europäischen Autoindustrie fortzuschreiben.
Keine Fördergelder, sondern ein innovativer Rechtsrahmen
Sollte also der Staat in die Bresche springen und diese Technologie im Interesse des Gemeinwohls stärker mit Fördergeldern unterstützen? Nein, ein anderer Ansatz liegt näher, der nicht auf Kosten der Steuerzahler geht. Ein häufig unterschätzter Schlüssel für Innovation liegt in der intelligenten Regulierung.
Ein Beispiel dafür könnte der jüngst präsentierte Vorschlag für ein Lizenzsystem für das Betreiben autonomer Fahrzeugflotten sein (lesen Sie dazu den Background-Standpunkt von Martin Varsavsky). Der Staat verspricht hier keine Fördergelder, sondern schafft über einen innovativen Rechtsrahmen geeignete Bedingungen für die Entwicklung autonomer Personenbeförderung in der Fläche und Breite. Er sorgt für Investitionssicherheit und Planbarkeit.
Vergabe der Lizenzen an gemeinwohlorientierte Bedingungen knüpfen
Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Technologieentwicklung erhält einen besonderen Schub, Deutschland positioniert sich als Leitmarkt für das autonome Fahren und schafft Anreize für Wagniskapitalgeber. Der Staatshaushalt bleibt entlastet. Zudem lässt sich die Vergabe der Lizenzen an gemeinwohlorientierte Bedingungen knüpfen (Fahrzeuge mit CO2-armen Antrieben, ÖPNV-Anbindung, Grundversorgung für ländliche Regionen). Für eine effektive Kontrolle der Betreiber, etwa in Bezug auf Datensammlung und die Verhinderung der Beeinflussung der Fahrzeuge von außen, könnte es ferner sinnvoll sein, nur Unternehmen mit Hauptsitz innerhalb der EU als Lizenznehmer zuzulassen.
„Mobilitätslöcher“ sollen auch bei diesem Ansatz vermieden werden
Dieser Ansatz weist Ähnlichkeiten zum Mobilfunkmarkt auf – aber auch einen entscheidenden Unterschied: die Vergabe der Flottenlizenzen sollte ausschließlich an Leistungs- und Qualitätskriterien geknüpft werden („Beauty Contest“) und nicht im Auktionswege erfolgen. So ließe sich eine bestmögliche Versorgung auch ländlich geprägter Räume erreichen – ohne „Mobilitätslöcher“.
Gleichwohl erscheint eine Orientierung am Lizenzsystem des Telekommunikationssektors zweckmäßig. Nicht im Sinne einer 1:1 Übernahme, aber als Ideengeber. Es könnten Lizenzen an bundes- oder länderweit agierende Anbieter vergeben werden, das heißt an Flotten autonom fahrender Fahrzeuge, die von dem Anbieter zur gewerblichen Beförderung mehrerer Personen (und gegebenenfalls auch von Gütern) eingesetzt werden. Die Berechtigung für diesen Dienst wäre an die Bedingung geknüpft, ihn im Interesse der Allgemeinheit flächendeckend im Lizenzgebiet zu erbringen – vergleichbar der Verpflichtung zur Netzabdeckung der Telekommunikationsbetreiber auch in unattraktiven Regionen.
Eine App für autonome Ridepooling-Dienste
Nutzung und Bezahlung erfolgen über eine Smartphone-App. Die Fahrzeuge halten an virtuellen definierten Haltepunkten (Kreuzungen etc.) und fahren auf optimierten Routen. Sie sind keine Taxis und erbringen keinen Individualtransport, sondern einen den Verkehrsinfarkt mindernden autonomen Ridepooling-Dienst für bis zu neun Personen. Konzeptionell wären sie ÖPNV im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes, ihr Einsatz würde den klassischen Linienverkehr ergänzen und mit den Kommunen abgestimmt.
Tatsächlich würde ein solches Lizenzmodell mehrerer Konkurrenten den Wettbewerb nicht beeinträchtigen, sondern fördern. Denn ohne steuernde Regulierung werden sich von US-Firmen dominierte und entwickelte Robotaxis die Rosinen herauspicken, sich auf wenige attraktive Städte konzentrieren, umsatzschwächere Gebiete meiden und Monopolstrukturen entwickeln, die den ÖPNV bedrängen und die Steuerungskraft der öffentlichen Hand möglicherweise massiv reduzieren.
Bund sollte die anstehende Novellierung des StVG nutzen
So weit muss es nicht kommen. Der Bund könnte die aktuell anstehende Novellierung des StVG zur Ermöglichung autonomer Fahrzeuge auf Level 4 und 5 nutzen, noch einen Schritt weiterzudenken: Nämlich durch smarte Regulierung die Voraussetzungen für eine umwelt- wie verkehrspolitisch nachhaltige Mobilität und zugleich die Entwicklung europäischer Technologieführerschaft im autonomen Fahren zu schaffen.
Benedikt Wolfers ist Partner bei der Kanzlei Posser Spieth Wolfers & Partners. Philipp Raidt ist Chief Operating Officer bei Axel Springer Digital Ventures.