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Standpunkte Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Puzzle mit 1000 Teilen

Sebastian Dörr, selbstständiger Berater für Kraft- und Schmierstoffe
Sebastian Dörr, selbstständiger Berater für Kraft- und Schmierstoffe Foto: privat

Im Kampf gegen den Klimawandel sollte eigentlich jedes Mittel recht sein. Trotzdem kocht gerade wieder die Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Zulassung von HVO100 hoch. Die Kritiker reiben sich an der Nutzung von Palmöl in der Produktion, an den geringen verfügbaren Mengen und den Abgaswerten. Ist die Kritik gerechtfertigt, und spricht sie grundsätzlich gegen den Einsatz moderner Biofuels?

von Sebastian Dörr

veröffentlicht am 20.08.2024

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HVO100 besteht zu 100 Prozent aus Hydrotreated Vegetable Oil. Es handelt sich um einen synthetischen Kraftstoff, der durch einen chemischen Prozess mittels Hydrierung und Isomerisierung produziert wird. Dabei entstehen paraffinische, seitenverzweigte Kohlenwasserstoffketten, wie sie auch im fossilen Diesel enthalten sind. Fossiler Diesel enthält aber darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Kohlenwasserstoffverbindungen wie naphtenische und aromatische Verbindungen, die ein ungünstigeres Verbrennungsverhalten aufweisen.

HVO 100 basiert auf erneuerbaren Rohstoffen wie Pflanzenölen, Altspeisefetten oder tierischen Fetten und kann in vielen Dieselfahrzeugen ohne Modifikationen verwendet und über die bestehende Tankstelleninfrastruktur verteilt werden. Der Kraftstoff hat einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck als herkömmlicher Diesel und kann daher im aktuellen Fahrzeugbestand zu einer unmittelbaren Verminderung von Treibhausgasemissionen führen.

In ihrem Standpunkt für Tagesspiegel Background hat Johanna Büchler von der Deutschen Umwelthilfe Ende Juli HVO100 als eine „Scheinlösung“ für Klimaschutz und zukunftsfähige Mobilität bezeichnet. Dabei führt sie drei wesentliche Argumente an: den Einsatz von Palmöl in der HVO-Produktion, die aktuell geringen verfügbaren Mengen sowie höhere Stickoxid-Emissionen.

HVO mit sehr sauberer Verbrennung

HVO ist ein rein paraffinischer Kraftstoff und enthält keinen Schwefel – somit erfüllt er die Voraussetzungen für eine sehr saubere Verbrennung ohne Rußbildung. Die hohe Cetanzahl (die die Zündwilligkeit des Diesels beschreibt) führt in den meisten Betriebspunkten zu einem weicheren Motorlauf und einer besseren Verbrennung.

Tatsächlich gibt es aber je nach Regelstrategie des jeweiligen Motors im hohen Teillastbereich und anschließendem scharfen Beschleunigen Punkte, in denen die Verbrennung mit HVO so schnell ist, dass höhere Temperaturen und damit eine höhere Stickoxidbildung in den Rohemissionen entstehen. Diese punktuellen Unterschiede in einem einzigen Luftschadstoff in wenigen Betriebspunkten bei einem älterem Motortyp (Euro 5) rechtfertigen nicht die Aussage, HVO sei generell für höhere Emissionen verantwortlich.

Die Thematik ist einem bestimmten Motormanagement geschuldet und taucht bei modernen Euro-6-Fahrzeugen überhaupt nicht mehr auf. Gleichzeitig gehen aber die Rußzahlen deutlich nach unten – die Gesamtemissionen sinken gegenüber fossilem Diesel. Dies wurde in zahlreichen umfangreichen Flotten- und Prüfstandmessungen nachgewiesen.

Nutzung von Palmöl-Derivaten doppelt sinnvoll

Palmöl ist ein pflanzliches Öl, das aus den Früchten der Ölpalme gewonnen wird. Es wird häufig in Lebensmitteln, Kosmetika und anderen Produkten verwendet, da es kostengünstig und vielseitig ist. Die Verwendung kann aus diversen Gründen problematisch sein und ist mit der Abholzung wertvoller Regenwälder verbunden. Nachdem Crude Palmöl früh in die Kritik geraten ist, haben HVO-Hersteller verstärkt auf Derivate wie PFAD und POME gesetzt.

PFAD steht für Palm Fatty Acid Derivates, die Rückstände, die bei der Raffination von Palmöl für die Lebensmittel oder für die Kosmetikindustrie übrigbleiben. POME steht für Palmölanteile im Abwasser der Mühlen. Diese Abwässer führen aufgrund der hohen Ölfracht ungeklärt zu erheblicher Gewässerverschmutzung und anschließend starker Methanbildung beim Abbau. Insofern ist die technische Nutzung dieser Abfälle kein Entzug aus anderen Wirtschaftskreisläufen, sondern wirtschaftlich sinnvoll und ein zusätzlicher Umweltgewinn.

Solange Palmöl produziert wird, ergibt es Sinn, Reststoffe und Abfälle wie Abwasser aufzureinigen und die so gewonnenen Rohstoffe sinnvoll zu verwerten. Noch wichtiger aber ist es, neben Palmölderivaten weitere Stoffströme zu erschließen. Hier gibt es sehr wohl noch große, derzeit wirtschaftlich noch nicht erschlossene Potenziale. Die Umwidmung von Crude Palmöl zu PFAD oder POME ist natürlich möglich, lässt sich aber leicht aufdecken und sanktionieren.

Für gemischte Kraftstoffe wie R33 kann eine sehr große Bandbreite an Feedstocks verwendet werden – Tierfette aus Schlachtabfällen, Fette aus der Fischverarbeitung, Abfallströme aus industriellen Prozessen, beispielsweise Teeröl in der Papierproduktion –, die aktuell nicht oder kaum genutzt werden. Um diese energetisch sinnvoll verwerten zu können, sind kleinere Anlagen, die solche Stoffströme dezentral wirtschaftlich erschließen lassen, erforderlich. Das READi-Verfahren, das von der HAW Hamburg und Nexxoil entwickelt wurde, zielt genau auf diese Ströme ab. Es ermöglicht eine Produktion in kleineren Maßstäben genau dort, wo diese Abfälle anfallen oder gesammelt werden.

XtL-Kraftstoffe wichtiger Baustein für eine klimaneutrale Mobilität

Es ist unstrittig, dass HVO allein unsere Mobilitätsanforderungen nicht erfüllen kann. Die Formulierung „Nischenkraftstoff“ ist jedoch unzutreffend: HVO gehört als rein paraffinischer Diesel zur Gruppe der XtL-Kraftstoffe, zu der auch GTL und sogenannte E-Fuels (paraffinischer Diesel aus Wasserstoff-Elektrolyse mit regenerativem Strom) zählen. Zusammen bilden diese Kraftstoffe einen wichtigen Baustein für eine klimaneutrale Mobilität, da sie sofort eine Treibhausgasminderung bewirken und in der Bestandsflotte eingesetzt werden können.

Eine konsequente Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist nur möglich, wenn alle Optionen genutzt werden. Den Einsatz erneuerbarer Kraftstoffe mit dem Argument abzulehnen, es gebe Missbrauchspotenzial, führt ebenso in die Sackgasse, wie das Argument, dass batterieelektrische Fahrzeuge einen problematisch hohen Bedarf an seltenen Erden, Kobalt, Lithium und anderen Rohstoffen haben, die teils unter fragwürdigen Bedingungen abgebaut werden.

Im Kampf gegen den Klimawandel gibt es nicht die eine Lösung, er gleicht eher einem Puzzle mit 1000 Teilen. Egal ob Biofuels, Elektromobilität oder grüner Wasserstoff – jede Technologie hat ihre Vorzüge und Schwachpunkte. Jede für sich liefert nicht die Lösung auf unserem Weg in Richtung Klimaneutralität, sondern einen Teil davon. Wir sollten akzeptieren, dass wir mehrere Lösungen brauchen. Die Klimaziele können nur erreicht werden, wenn wir mit allen Rohstoffen verantwortungsvoll umgehen. Das gilt für alle Antriebsarten.

Berater Sebastian Dörr hat in der Vergangenheit für den Kraftstoffhersteller Neste gearbeitet, danach mit verschiedenen Hochschulen in zahlreichen Projekten. Er berät Nexxoil, ist aber nach eigenen Angaben wirtschaftlich unabhängig.

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