Seit einigen Tagen gilt in Frankreich der im September 2023 von Emmanuel Macron angekündigt Pass-Rail. Ursprünglich wollte der französische Präsident damit einen Fahrschein einführen, der dem Deutschlandticket entspricht. Doch davon ist das neue Abonnement weit entfernt.
Zunächst einmal wird es nur während der Sommermonate vom 1. Juli bis 31. August 2024 gültig sein, was es mehr mit dem deutschen Neun-Euro-Ticket als mit dem D-Ticket vergleichbar macht. Zweitens ist seine Nutzung auf eine einzige Altersgruppe beschränkt: junge Menschen unter 27 Jahren, das heißt knapp einem Fünftel der französischen Bevölkerung. Drittens schließt dieses neue Abonnement den städtischen Nahverkehr aus: Es wird also nicht möglich sein, das Ticket innerhalb von Lyon, Marseille oder Toulouse zu nutzen.
Hinzu kommt, dass die Region Île-de-France weitgehend von der Regelung ausgeschlossen ist. Es werden nur TER-Verbindungen, so heißen die französischen Regionalzüge, einbezogen, die die Gemeinden der Île-de-France von oder zu einer anderen Region bedienen. Zu allem Überfluss hat der Verkehrsminister Patrice Vergriete diese Maßnahme als Experiment bezeichnet. Das wirft die Frage auf, ob sie dauerhaft Bestand haben wird.
Tankrabatt statt günstige Tickets
Nun war ein TER-Jugendpass (29 Euro pro Monat für die Altersgruppe der 12- bis 25-Jährigen) bereits von der SNCF und Régions de France in den Sommermonaten 2020 und 2021 getestet worden, um die Auslastung der Regionalzüge während der Coronakrise zu fördern. Trotz des kommerziellen Erfolgs von 84.000 verkauften Pässen in zwei Monaten war die Maßnahme im Sommer 2022 nicht fortgesetzt worden. Genau zu dem Zeitpunkt, als das Neun-Euro-Ticket in Deutschland eingeführt wurde.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die französische Regierung 2019 mit der Gelbwestenbewegung konfrontiert war. Diese politische Krise, die der Covid-19-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine vorausging, begünstigte die Entscheidung der Regierung, Kraftstoffrabatte zu bevorzugen. Sie sollten den Geldbeutel der Autofahrer entlasten, die gezwungen sind, ihre täglichen Fahrten mit dem Auto zurückzulegen. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund für die unterschiedlichen politischen Entscheidungen in Frankreich und Deutschland im Bereich der Eisenbahnpolitik.
Politische und finanzielle Blockaden des neuen Fahrscheins
Die Verhandlungen zwischen dem Staat und den Regionen für das neue günstigere Jugendticket waren langwierig und schwierig. Vier Regionen waren aus finanziellen Gründen dagegen: die Region Île-de-France, die Region Auvergne-Rhône-Alpes, die Region Hauts-de-France, und die Region Normandie.
Frankreich ist zwar kein Bundesstaat wie Deutschland, aber mehrere Gesetze haben seit den 1970er-Jahren die Dezentralisierung gefördert und den Regionen erweiterte Kompetenzen in der Verkehrspolitik ermöglicht. Sie haben den Status einer Organisationsbehörde für Mobilität, die für regelmäßige öffentliche Verkehrsdienste, Schultransportdienste und so weiter zuständig ist.
Damit verfügen sie über die politischen Kompetenzen und finanziellen Ressourcen für die Organisation des Schienenverkehrs in ihrer Region. Da der Pass-Rail interregionale, regionale und interurbane Fahrten betrifft, musste der Staat die Einführung dieses Systems mit den Regionen aushandeln.
Während die drei widerspenstigen Regionen schließlich ihr Einverständnis gaben, beim Pass-Rail mitzumachen, verlangte die Region Île-de-France, aus der Regelung herausgehalten zu werden. Dabei wird der Staat 80 Prozent der Gesamtfinanzierung der Maßnahme übernehmen. Laut Valérie Pécresse, Präsidentin der Region Île-de-France, würde der Pass-Rail nicht ausreichen, um dort die Betriebskosten des Netzes zu finanzieren. Es ist viel größer und engmaschiger ist als in den anderen Regionen. Wahrscheinlich ist die Entscheidung aber auch dadurch motiviert, dass während der Olympischen und Paralympischen Spiele besondere Tarife gelten sollen.
Maßnahme reicht nicht aus, um Probleme der Mobilität anzugehen
So kommt es, dass die ursprünglich geschätzten Kosten für das französische Pendants des Deutschlandtickets von mindestens 1,3 Milliarden Euro pro Jahr auf 15 Millionen Euro gesunken sind. Soviel kostet das zweimonatige Experiment. Dieser Rückgang ist ein beunruhigendes Signal für die Umsetzung einer ehrgeizigen Eisenbahnpolitik, die eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene gewährleisten soll.
Die Regierung hatte im Februar 2023 einen Plan in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Finanzierung des Schienenverkehrs bis 2040 angekündigt. Eine der wichtigsten Maßnahmen betrifft die Einrichtung regionaler Expressdienste in Metropolregionen (SERM) in einem Dutzend Städten, ein Pendant zur deutschen S-Bahn. Laut dem Conseil d'Orientation des Infrastructures (COI) würde ein Ausbau des Bahnangebots in Kombination mit dem Ausbau des intermodalen Angebots mit Buslinien, Radwegen oder Park-and-Ride-Anlagen insgesamt zwischen zehn und zwölf Milliarden Euro kosten. Der Staat hat mit Blick auf die aktuelle Finanzlage jedoch nur Finanzzusagen in Höhe von 800 Millionen Euro über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren gemacht.
Darüber hinaus wurde die ursprünglich für Ende Juni geplante Finanzierungskonferenz auf den Herbst 2024 verschoben. Zu allem Überfluss könnte die kürzlich erfolgte Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs durch die Ratingagentur Standard & Poor's die Zurückhaltung der französischen Regierung in Bezug auf das Projekt noch verstärken.
Eine tickende politische Zeitbombe
Durch die Wahlen scheint sich eine wachsende Kluft zwischen großstädtischen und ländlichen Gebieten abzuzeichnen. Wir sehen uns mit folgendem Risiko konfrontiert: Die einen profitieren von der Konzentration von Ressourcen wie Arbeitsplätzen, Dienstleistungen und Mobilitätsangeboten, während die anderen deren Verknappung zu spüren bekommen. Mangels Alternativen werden in ländlichen Gebieten mehr als 80 Prozent der täglichen Fahrten mit dem Auto zurückgelegt, was für die Haushalte immer höhere Kosten bedeutet. Diese erzwungene Mobilität ist eine wirtschaftliche, soziale, ökologische und letztlich auch politische Zeitbombe: Wo öffentliche Dienstleistungen, insbesondere öffentliche Verkehrsmittel, fehlen, wächst die populistische Wählerschaft.
Wir brauchen eine Strategie für die Verdichtung in den Städten, die Aufrechterhaltung der Nahversorgung in den ländlichen Räumen, die Entwicklung eines intermodalen Angebots, das Alternativen zum Privatauto fördert, und flankierende Maßnahmen für die nachhaltige Mobilität einkommensschwacher Haushalte. Der Ausbau der SERMs – in Verbindung mit der Einführung eines dauerhaften Bahnpasses für alle Nutzer – könnte das Rückgrat bilden. Vorausgesetzt, es werden die für dieses ehrgeizige Ziel erforderlichen Mittel bereitgestellt.
Die Zukunft der Verkehrspolitik – und der gesamten öffentlichen Politik – wird weitgehend davon abhängen, wie sich die politische Dynamik in den kommenden Monaten entwickelt. Frankreich befindet sich jedoch seit den Ergebnissen der vorgezogenen Parlamentswahlen in einer unsicheren politischen Situation. Spätestens zu den Haushaltsabstimmung im Herbst könnte es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern kommen. Niemand kann daher vorhersagen, inwieweit die Verkehrspolitik von dieser neuartigen politischen Situation betroffen sein wird – und was mit dem Pass-Rail passiert.