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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Die Zeit ist reif für ein Zusammenwachsen von Elektromobilität und Energiespeicherung

Herbert Diess, Verwaltungsratsvorsitzender von The Mobility House
Herbert Diess, Verwaltungsratsvorsitzender von The Mobility House Foto: imago/Boris Roessle

Setzt die Politik den richtigen Rahmen, könnte sich Deutschlands Autoindustrie in einem entscheidenden Technologiefeld vorne positionieren und gleichzeitig die Energiewende kostengünstig und effizient beschleunigen. Die Zauberformel heißt bidirektionales Laden.

von Herbert Diess

veröffentlicht am 06.08.2024

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Immer mehr Elektroautos sind für den Einsatz als mobile Stromspeicher ausgelegt und die notwendige Technologie für das bidirektionale Laden ist am Markt verfügbar. Werden jetzt die richtigen Rahmenbedingungen für eine intelligente Kopplung von Elektromobilität und Energiespeicherung geschaffen, könnte sich Deutschlands Autoindustrie in einem entscheidenden Technologiefeld vorne positionieren und die Energiewende sehr kostengünstig und effizient beschleunigen. Bidirektionales Laden heißt die Zauberformel. Die Flotte alle E-Fahrzeuge ist schon heute der größte verfügbare Stromspeicher Deutschlands – und auch hierzulande werden die E-Fahrzeuge immer mehr werden.

Fakt ist: Auf die Batterie entfallen 40 Prozent der Kosten für ein Elektrofahrzeug. Dabei ist diese für den täglichen Gebrauch völlig überdimensioniert. Die möglichen Reichweiten heutiger E-Autos liegen bei bis zu 500 Kilometern, im Schnitt werden aber nur 30 Kilometer am Tag zurückgelegt. Wie alle Pkw werden auch E-Autos durchschnittlich eine Stunde am Tag bewegt. Die entscheidende Voraussetzung, um diese nicht genutzte Speicherkapazität auszuschöpfen, ist das bidirektionale Laden. Hierbei wird der Energieaustausch in zwei Richtungen ermöglicht: in die Batterie, aber auch wieder zurück.

Wird der Strom aus der Fahrzeugbatterie in das Gebäude zurückgeführt (Vehicle-to-Home), kann, insbesondere in Verbindung mit einer Photovoltaikanlage, die Eigenversorgung deutlich gestärkt werden. Doch erst, wenn das Elektrofahrzeug seine gespeicherte Energie über die Wallbox in das Verteilnetz zurückspeist (Vehicle-to-Grid) wird es zum Teil des energiewirtschaftlichen Gesamtsystems. Dann kann jedes einzelne Fahrzeug einen Beitrag zur Netzstabilisierung leisten. Dies wird aufgrund des steigenden Einsatzes erneuerbaren Energien im deutschen Strommix immer entscheidender.

Denn im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken ist die Energieproduktion aus Sonne oder Wind deutlich volatiler. Im Juni 2024 stammten rund 68 Prozent des produzierten Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Quellen, davon fast 24 Prozent aus Solarenergie. Und dieser Anteil wird in den nächsten Jahren noch deutlich anwachsen. Würden E-Autos im großen Stil als Zwischenspeicher für erneuerbare Energien genutzt, ließen sich selbst Engpässe im Übertragungsnetz – wie auf der berüchtigten Nord-Süd-Trasse für Windenergie – vermeiden und die Kosten für den weiteren Netzausbau könnten deutlich reduziert werden.

E-Autos könnten emissionsfrei und kostenlos unterwegs sein

Für Verbraucher kann das bidirektionale Laden zur echten Wunderformel werden. Nämlich wenn sie den Strom aus erneuerbaren Energien nutzen, sobald er im Überfluss vorhanden ist, und ihn zurück ans Netz geben, sobald der Bedarf wieder hoch ist. Angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland bereits heute rund 1.000 Stunden mit negativen Strompreisen gibt, scheint die Vision, mit Elektroautos nicht nur emissionsfrei, sondern auch kostenlos unterwegs zu sein, durchaus realisierbar.

Damit relativieren sich auch die Anschaffungskosten für E-Autos – ein weiterer Anreiz für den Umstieg auf die Elektromobilität. Dass V2G technisch funktioniert, wurde in Pilotprojekten von The Mobility House zusammen mit Netzbetreibern und Autobauern bereits mehrfach bewiesen. Immer mehr Autohersteller bringen zudem bidirektionale Fahrzeuge auf den Markt und entsprechende Ladeboxen werden bereits angeboten. Die Erfahrung von The Mobility House aus acht Jahren im Umgang mit Autobatterien zeigen, dass die Batterien bei entsprechend sorgfältiger Ladetechnik diese Zusatzbelastung gut verkraften.

In Frankreich wird V2G noch in diesem Jahr zur Realität

Der Startschuss einer neuen Energiewelt ohne Emissionen und ohne Kosten fällt noch in diesem Jahr. Die Renault-Tochter Mobilize bietet zusammen mit The Mobility House das erste kommerzielle V2G-Angebot in Frankreich an. Die Elektroautobatterien des neuen Renault 5 werden aktiv an den Energiemärkten vermarktet, um ihren Wert als mobile Speicher im Energiesystem zu maximieren. Renault-Kunden verdienen künftig Geld mit ihrem Elektroauto, wenn sie es gerade nicht zum Fahren benutzen – und verringern gleichzeitig den CO2-Ausstoß.

Auch die Bunderegierung hat diese Vorteile erkannt und bereits Schritte unternommen, um die Potenziale des bidirektionalen Ladens auszuschöpfen. So wurde mit dem Gesetz zur Modernisierung der Stromsteuer die Rückspeisung vom Auto ins Haus (V2H) deutlich vereinfacht. Das ist ein erstes klares Signal für mobile Speicherlösungen. Allerdings gibt es bei der Regelung zur Rückspeisung ins Netz (V2G) noch Optimierungsbedarf, damit Nutzer von Elektroautos nicht als Stromanbieter gelten und keine zusätzlichen bürokratischen Hürden überwinden müssen. Strom, der in der Autobatterie zwischengespeichert und wieder ins Netz eingespeist wird, sollte von allen Abgaben und Gebühren befreit werden. Denn derzeit behindert in Deutschland vor allem die Doppelbelastung durch zweifaches Netzentgelt den wirtschaftlich sinnvollen Einsatz von V2G.

Die Politik kann helfen, die regulatorischen Rahmenbedingungen für ein Zusammenwachsen von Elektromobilität und Energiespeicherung im großen Stil zu schaffen. Eine intelligente Sektorenkopplung kann sowohl die Marktdurchdringung der Elektromobilität als auch die Integration erneuerbarer Energien zu geringeren Gesamtkosten deutlich beschleunigen. Deutschland könnte an dieser Stelle einmal eine Pionierrolle einnehmen, schließlich geht es um zwei deutsche Schlüsselbranchen: die deutsche Automobilindustrie und die vielen Marktakteure in der erneuerbaren Energien-Branche, die in den letzten Jahren bereits hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen haben. Jetzt ist es an der Zeit, Deutschland nachhaltig im Wachstumsfeld Dekarbonisierung zu positionieren.

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