Verkehr-Smart-Mobility icon

Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Eisenbahninfrastruktur nicht verzocken, sondern bewahren

Lukas Iffländer, stellvertretender Bundesvorsitzender beim Fahrgastverband Pro Bahn
Lukas Iffländer, stellvertretender Bundesvorsitzender beim Fahrgastverband Pro Bahn Foto: Pro Bahn

Kommunen müssen bei der Entwidmung von Bahnflächen vor sich selbst geschützt werden. Schon heute fehlt Platz, um Züge des wachsenden Eisenbahnverkehrs abzustellen. Deshalb sollten Bahnflächen künftig nur noch für andere Zwecke genutzt werden können, wenn Verkehrsprognosen das erlauben.

von Lukas Iffländer

veröffentlicht am 22.10.2024

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Vorige Woche gaben sich bei einem parlamentarischen Abend zum Thema Personenbahnhöfe Politik, Aufgabenträger und Deutsche Bahn zumindest Mühe. Mühe, so zu wirken, als würden sie die Energie versprühen, das Thema ordentlich anzugehen und Bahnhöfe wieder zu repräsentativen Eingangstoren der Städte zu machen. Dagegen hatte Timm Fuchs vom Deutschen Städte- und Gemeindebund nur ein großes Thema: Bahngrundstücke sollten wieder einfach von ihrer Widmung freigestellt werden können.

Der Verband möchte am liebsten die in jüngster Vergangenheit eingeführte Erschwernisrückgängig machen. Man bekam den Eindruck, alle städtebaulichen Entwicklungsprojekte in Deutschland hingen davon ab. Fuchs meinte zudem, dass es gar keinen Bedarf für die Verschärfung gegeben hätte. Zumindest einer stand stellvertretend für den Schutz der Schiene auf: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Schreider stellte sich klar hinter die mit der Verschärfung umgesetzte Empfehlung der Beschleunigungskommission Schiene.

Und hier muss man sich fragen, warum hatte die Kommission diese Empfehlung ausgesprochen? Die Antwort ist einfach.

Gerade die Städte und Gemeinden haben exzessiv jede Möglichkeit ergriffen, die Bahn loszuwerden. Ein Beispiel: die Steigerwaldbahn zwischen Schweinfurt und Kitzingen. Fast im kompletten Streckenverlauf haben die Gemeinden entlang der Strecke Anträge zur Freistellung gestellt – obwohl es mit der Thüringer Eisenbahn ein Unternehmen gibt, das die Strecke betreiben möchte. Auch in vielen Innenstädten hat man jegliche Flächen schnellstmöglich für andere Zwecke gebucht. Heute fehlen uns diese Flächen.

Im Raum Berlin keine attraktiven Abstellflächen

Die Eisenbahn ist wieder gewachsen, insbesondere im Personenverkehr brauchen wir Abstellflächen in der Nähe der Hauptbahnhöfe. Im Raum Berlin ist die Situation inzwischen so schlimm, dass das schwedische Eisenbahnunternehmen Snälltåget seinen Nachtzug von Stockholm nach Berlin weiter nach Dresden verlängert. Nur dort hat man entsprechende Abstellmöglichkeiten gefunden. Auch im Güterverkehr wären die inzwischen längst abgeräumten Güterbahnhofsareale heute Gold wert, um Flächen für moderne ökologische City-Logistik zu nutzen.

Deswegen darf es auch kein Zurück zum bisherigen Modell geben, sondern man muss nach vorne schauen. Wir brauchen also für den umgesetzten Deutschlandtakt inklusive aller Verlagerungsziele eine Berechnung, wie viele Abstellgleise, Behandlungsanlagen, Rangierbahnhöfe und Terminals gebraucht werden. Nur wenn nachgewiesen werden kann, dass noch genug andere gewidmete und bisher nicht genutzte Flächen im Nahbereich verfügbar sind, um die Ziele zu erfüllen, kann eine Entwidmung in Betracht gezogen werden.

Diese Betrachtung wird immer noch nicht ausreichend vorgenommen. Neben Snälltåget möchte auch Flixtrain im Raum Berlin mehr Züge abstellen, bekommt aber seitens DB InfraGO keine attraktiven Abstellflächen angeboten. Gleichzeitig plant die Deutsche Bahn aber, ehemalige Güterverkehrsflächen entlang des Berliner Außenrings freizustellen. Für den geneigten Fahrgast und eine Politik, die eine Steigerung des Angebots und der Fahrgastzahlen fordert, ist dies unverständlich. Stattdessen müsste die Devise lauten: Oberleitung drüber spannen und zur Abstellung freigeben.

Verkehrsprognose sollte über Reaktivierung entscheiden

Zudem muss es einige Sperrregeln geben: Entwidmungen, die durchgehende Streckenbänder von stillgelegten Strecken zerstören, müssen untersagt bleiben. Wann eine Strecke gar nicht mehr benötigt wird, darf nicht mit Abfragen bei Eisenbahnverkehrs- und Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach deren Bedarf entschieden werden. Stattdessen braucht es eine Verkehrsprognose für eine ordentlich umgesetzte Reaktivierung. Nur wenn das Prognoseergebnis für die Gesamtstrecke unter einen verbindlich festzulegenden Wert fällt, sollte die Strecke freigestellt werden können.

Dies dürfte sicherstellen, dass Strecken wie die Steigerwaldbahn für die Zukunft gesichert bleiben. Gleichzeitig sollte es kein Problem sein, eine sinnvolle Freistellung zu begründen. Denn so ehrlich müssen sogar wir Eisenbahnfans sein: Es gibt Strecken, die auf Dauer kein Potenzial mehr haben. Zum Beispiel, wenn der Tagebau, dem die Strecke diente, stillgelegt ist und die Orte, die noch Personenverkehrspotenzial hatten, weggebaggert wurden. Dagegen gilt es aber, die Kleinode mit viel Potenzial zu schützen.

Lediglich für offensichtliche Freistellungskandidaten sollte es eine Pauschallösung geben. Vor wenigen Jahren gab es beim Eisenbahn-Bundesamt noch ein Entwidmungsverfahren zur Freistellung eines Grundstücks im Bahnhof Eslarn in Bayern. Die zugehörige Strecke war dabei schon Jahre zuvor bis auf ein kurzes Teilstück stillgelegt und freigestellt worden. Hier liegt offensichtlich keine zusammenhängende Verkehrsfläche mehr vor – eine Freistellung kann erfolgen.

Viele stillgelegte Strecken haben großes Potenzial

Ähnlich ist es bei Abschnitten parallel zur Bahn, bei denen bereits mehrere Teilparzellen entwidmet sind und eine zur Entwidmung anstehende Parzelle technisch nicht mehr an das Bahnnetz angeschlossen werden kann. Auch hier sollte eine Pauschalentscheidung auf Basis einer Beweiszeichnung geführt werden können. Generell gilt es, Werte zu bewahren. Das sollte auch Teil einer konservativen Politik sein. Viele stillgelegte Bahnstrecken bergen ein riesiges Potenzial.

Die Schönbuchbahn zwischen Böblingen und Dettenhausen hatte die Bundesbahn etwa 1966 vom Personenverkehr „befreit“, heute ist die Strecke reaktiviert und die Züge verkehren jede Viertelstunde. Die Bundesbahn dachte vor knapp 60 Jahren, die Strecke könne weg – heute wissen wir es besser. Gehen wir also davon aus, dass auch die Mitglieder des Deutschen Städte- und Gemeindebunds die Weisheit nicht mit dem Löffel gefressen haben. Schützen wir daher unser Schienennetz vor kurzsichtigen Freistellungsaktionen.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen