Am 14. Juli 2021 hat die Europäische Kommission das sogenannte Fit-for-55-Paket zur Klimapolitik veröffentlicht. Es bildet mit 14 Rechtsvorschlägen und drei nicht-rechtlichen Maßnahmen den bislang größten Block unter den Initiativen, die im Rahmen des sogenannten EU Green Deals im Dezember 2019 angekündigt worden waren. Ziel ist es, die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu senken und den Übergang zur EU-weiten Klimaneutralität 2050 einzuleiten.
Wie der europäische Weg zur Klimaneutralität genau aussehen soll, wird in den jetzt laufenden Verhandlungen im Rat und im Parlament festgelegt. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben in ihren Sondierungsgesprächen bereits vereinbart, dass sie die Vorschläge der Kommission „unterstützen“ wollen. In der Tat sind im Klimaschutz viele nationale Entscheidungen nur in einem europäischen Kontext denkbar. Im Verkehrsbereich reicht die Liste vom Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor über den Aufbau der elektrischen Ladeinfrastruktur bis hin zur Preissetzung für CO2-Emissionen im Verkehr.
Doch wie könnte eine deutsche Position aussehen, die den Klimaschutz im Verkehrssektor stärkt? Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Wenn Deutschland seine nationalen Klimaziele im Verkehrssektor erreichen will, muss unterstützen auch heißen, die Vorschläge der EU-Kommission an einigen Stellen zu verschärfen.
CO2-Einsparziele weiter anheben
Bei den CO2-Flottengrenzwerten für Pkw geht die von der Kommission vorgeschlagene Anhebung des Zielwerts für 2030 noch nicht weit genug. Anstatt einer Emissionsverminderung von 55 Prozent ab 2021 sollte sich die Bundesregierung für ambitioniertere Zielwerte bis zu 75 Prozent einsetzen. Im Jahr 2035 kommt der endgültige Ausstieg aus der Verbrennertechnologie. Das ist gut für die Planungs- und Investitionssicherheit in der Industrie und macht nationale Alleingänge überflüssig.
Das Ausstiegsdatum von 2035 darf keinesfalls verzögert und sollte wenn möglich auch schon vorverlegt werden, auch im Hinblick auf die ambitionierteren deutschen Klimapläne (Klimaneutralität schon 2045 und eine Emissionsverminderung von 65 Prozent im Jahr 2030). Deshalb sollten die Flottengrenzwerte auch schon vor dem Jahr 2030 verschärft werden, mit einem Wert für 2025 und einem möglichst jahresscharfen Zielpfad ab 2026.
Ladeinfrastruktur mit mehr Leistung und größerer Dichte
In der vorgeschlagenen Verordnung über alternative Kraftstoffinfrastruktur (AFIR) wird für die öffentliche Ladeinfrastruktur eine installierte Ladeleistung von mindestens 1 Kilowatt pro registriertem Batterie-Pkw und 0,66 Kilowatt pro Plug-in-Hybrid vorgeschrieben. Dies klingt auf Basis einfacher Schätzungen zwar plausibel; in der Hochlaufphase der Elektromobilität ist es jedoch sinnvoll, zunächst höhere installierte Leistungen vorzusehen, auch weil die Auslastung mit der wachsenden Flotte ansteigt und damit das Risiko, Investitionen in den Sand zu setzen, gering ist.
Der Vorschlag schreibt zeitlich ansteigende Mindestdichten und -leistungen für die Ladeinfrastruktur im transeuropäischen Transportnetz (TEN-T) vor, abhängig von der Fahrzeugart (Pkw versus Lkw) und dem Kern- bzw. Gesamtnetz. Bei Pkw muss hier laut Vorschlag lediglich die Hälfte der installierten Leistung in der Form von Schnellladern mit mindestens 150 Kilowatt vorliegen; dies sollte stattdessen vollständig der Fall sein. Auch die Mindestleistung der Ladepunkte sollte höher sein.
Die Mindestladedichte für Pkw auf dem TEN-T-Netz ab 2030 kann geschätzt durchschnittlich nur alle zwei Kilometer ein Elektrofahrzeug mit Energie versorgen, dies dafür aber auch in den entlegensten Regionen. Dort mag das fürs Erste reichen; für die dichteren Kernregionen hingegen sicher nicht. Deshalb sollten in der geplanten Revision nach einigen Jahren vor allem auch die Verkehrsdichten berücksichtigt werden.
Bei Lkw wird eine Mindestdichte der Infrastruktur nicht nur für Elektrofahrzeuge vorgegeben, sondern auch für Wasserstoff. Wie bei den Innovationsclustern des Bundesverkehrsministeriums sollte stattdessen der Ansatz verfolgt werden, dass die Elektro-Ladeinfrastruktur für Lkw schon jetzt aufgebaut wird, während sich Wasserstoff- und Oberleitungs-Lkw vor einer endgültigen Entscheidung noch in praxisnahen Innovationskorridoren bewähren müssen.
Klare Linie für CO2- und Energiepreise
Im Verkehrsteil der Richtlinie über erneuerbare Energie (RED III) wird die Treibhausgasquote als zentrales Instrument etabliert. Die Quote schreibt Mineralölunternehmen vor, wie viel Treibhausgasemissionen sie pro verkaufter Energiemenge einsparen müssen. Dadurch wird die Richtlinie zu einem Instrument nicht nur der Energiepolitik, sondern auch der Klimapolitik; und sie überlappt mit dem neuen Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr (ETS II), das ab 2026 eingeführt werden soll. Aus deutscher Sicht ist es besonders wichtig zu klären, ob das europaweite ETS II in der vorgeschlagenen Konstellation einen dem deutschen Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) vergleichbaren CO2-Preis bewirken würde, bevor das BEHG durch das ETS II abgelöst wird.
Für die Energiebesteuerungs-Richtlinie schlägt die Kommission vor, dass die Mitgliedsstaaten zwar höhere Steuern als die in der Richtlinie festgelegten Mindestsätze erheben können, die Steuersätze für verschiedene Kraftstoffe müssen jedoch die gleiche Rangfolge haben wie ihre Mindestwerte in der Richtlinie. Diesel würde damit pro Energieeinheit gleich besteuert werden wie Benzin, was das Ende des Dieselprivilegs bedeuten würde. Dies sollte die Bundesregierung unterstützen. Eine eigene nationale Regelung wäre dann auch in diesem Fall nicht mehr notwendig.
Breiter Instrumentenmix mit sozialem Ausgleich
Fit for 55 enthält einige weitere Vorschläge, die für den Verkehrssektor relevant sind, etwa zu Kraftstoffen, zum Flugverkehr und zur Schifffahrt. Bei Kraftstoffen im Flugverkehr liegt der vorgegebene Mindestanteil an E-Fuels mit 0,7 Prozent ab 2030 deutlich unter dem in Deutschland schon vorgesehenen Wert von 0,5 Prozent ab 2026, ein Prozent ab 2028 und zwei Prozent ab 2030. Es wäre anzuraten, den Anteil auch auf EU-Ebene anzuheben, zum Beispiel auf die in Deutschland festgelegten Werte.
Zu erwähnen ist vor allem noch, dass jeder Mitgliedsstaat einen sozialen Klimaplan erstellen soll. Ziel ist es, Haushalte und Kleinstunternehmen finanziell zu unterstützen, die von höheren Preisen für klimaschädliche Mobilität besonders betroffen wären, etwa weil sie in ländlichen Gebieten angesiedelt sind und keine Alternative zum Pkw haben. Die EU wird dies mit einem Fonds unterstützen, der die Ausgaben bis zur Hälfte abdecken soll. Dieser Ansatz für sozialen Ausgleich ist unverzichtbar, um Gerechtigkeit in der Transformation zu gewährleisten und damit auch die Akzeptanz in Wirtschaft und Gesellschaft zu sichern.
Alles in allem wird die Bundesregierung ihre nationalen Klimaschutzziele nur erreichen können, wenn sie sich für ein wirksames Fit-for-55-Paket einsetzt und auch bereit ist, über die Vorschläge der EU-Kommission hinauszugehen. Dabei hängt die Wirksamkeit vor allem davon ab, ob es gelingt, aus den vielen verschiedenen Instrumenten und Maßnahmen ein stimmiges Gesamtpaket zu schnüren – auf europäischer und auf nationaler Ebene. Im Klimaschutz gibt es kein Allheilmittel, schon gar nicht im Verkehrssektor, der stärker als andere von Entscheidungen auf der Nachfrageseite abhängt. Umso wichtiger ist es für Deutschland, die Verhandlungen auf europäischer Ebene mitzugestalten und mit dem Programm einer neuen Bundesregierung zusammenzuführen.
Ausführlichere Informationen zum Fit-for-55-Paket und seiner Bedeutung für den Verkehrssektor mit 27 Empfehlungen für die neue Bundesregierung bietet Agora Verkehrswende im Hintergrundpapier „Fit for 55 für Verkehrs-Profis “.