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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Geschichten aus Absurdistan

Alexander Junge, Vorstand für Elektromobilität bei Aral
Alexander Junge, Vorstand für Elektromobilität bei Aral Foto: Aral

Die deutsche Wirtschaft erstickt an überbordender Bürokratie. 146 Milliarden Euro ziehen Gesetze, Verordnungen, Papierformulare, Berichtspflichten und endlos lange Antragsverfahren den Unternehmen Jahr für Jahr aus der Tasche, so eine aktuelle Studie des Ifo-Instituts. Die neue Bundesregierung muss Tempo machen und die unsinnigen Hürden beim Ausbau der Ladeinfrastruktur aus dem Weg räumen.

von Alexander Junge

veröffentlicht am 13.03.2025

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Deutschland hat gewählt, und die nächste Bundesregierung steht vor gewaltigen Aufgaben. Neben den vielen internationalen Herausforderungen stellt sich hierzulande auch die Frage, wie Deutschland bei den Themen Mobilität und Klimaschutz schneller und effizienter vorankommt als bisher. Das abrupte Aus der Förderung für Elektroautos im Dezember 2023 hat der Verkehrswende geschadet. Viele Kunden warten jetzt auf sinkende Fahrzeugpreise, neue Modelle und klare Weichenstellungen der Politik für den Verkehrssektor.

Die Position von Aral ist klar: Wir brauchen beides – ein breites, zunehmend emissionsärmeres Kraftstoffangebot und gleichzeitig einen weiteren Ausbau der Elektromobilität. Zwar hat die Bundesregierung das Ziel von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 revidiert, aber auch die geplanten 13,8 Millionen Fahrzeuge sind eine ambitionierte Zahl – und die Autos wollen irgendwo geladen werden. Die Ladeanbieter gehen in Vorleistung und haben das Netz in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut. Übrigens auch ohne planwirtschaftliche Instrumente wie die im vergangenen Jahr viel diskutierte und letztlich nicht verabschiedete Versorgungsauflage an Tankstellen.

Reichweitenangst ist nur noch ein Fall für die Märchensammlung der Brüder Grimm. Die ultraschnelle Ladeinfrastruktur wächst weiter, bis in die entlegensten Regionen unseres Landes. Wir bei Aral pulse haben inzwischen rund 3400 Ladepunkte mit einer Leistung von bis zu 400 Kilowatt (kW) an fast 500 Standorten am Netz und bauen weiter aus, sowohl in städtischen als auch ländlichen Gebieten. Auch unser Netz fürs Lkw-Laden wächst weiter, aktuell haben wir 26 Standorte in Deutschland.

Lärmschutzgutachten an einer sechsspurigen Autobahn

Was wir dabei im Zusammenspiel mit den zuständigen Behörden erleben, sind allerdings Geschichten aus Absurdistan. Ein paar Beispiele:

  • Für die Errichtung von Ladesäulen auf einem Aral-Autohof an der A 9 wurde ein Lärmschutzgutachten gefordert, obwohl die Ladesäulen direkt an einer sechsspurigen Autobahn stehen. Auf der anderen Seite sind sie von Wald umgeben.
  • Auf einem Tankstellengelände machten die Behörden einen tieferen Aushub zur Bedingung, um Beschädigungen an eventuell darunterliegenden Ruinen auszuschließen – auch wenn die Fundamente von Ladesäulen und Trafos nur minimal ins Erdreich kommen. Bemerkenswert auch: Als diese Tankstelle drei Jahre zuvor inklusive unterirdischer Kraftstofftanks komplett neu gebaut wurde, gab es keine solchen Vorgaben.
  • Ein Bezirksamt einer deutschen Großstadt forderte Zugversuche und Wurzelspülungen an Bäumen auf einem anderen Tankstellengelände sowie den Nachweis von Fahrradstellplätzen und ein Schallschutzgutachten, bevor Ladeinfrastruktur genehmigt wurde.
  • In einer Gemeinde in Baden-Württemberg verlangte die zuständige Baubehörde die Begrünung des Dachs der Trafostation, obwohl die Fläche nur rund vier mal fünf Meter beträgt.
  • In einer Stadt in Nordrhein-Westfalen zog sich der Genehmigungsprozess für ultraschnelle Ladesäulen an der A 40 über fast drei Jahre hin, von den ersten Abstimmungen im November 2020 bis zur endgültigen Genehmigung im August 2023. Und wir könnten noch viel mehr Beispiele aufzählen.

Wir könnten schon rund 1000 Ladepunkte mehr am Netz haben, wenn Genehmigungs- und Netzanschlussprozesse schneller und einfacher wären und die Behörden und Netzbetreiber den Fuß nicht auf die Bremse, sondern aufs Gas- beziehungsweise Strompedal setzen würden.

Unsere zentrale Forderung sind einheitliche Baugenehmigungsregelungen für Trafostationen in allen deutschen Bundesländern. Trafos sind notwendig für die Errichtung von ultraschnellen Ladesäulen und müssen daher von der Genehmigungspflicht befreit werden. Nur Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gehen erste Schritte in diese Richtung. Der deutsche Föderalismus lässt grüßen.

Die Landesregierungen sollten die Landesbauordnungen schnellstmöglich anpassen, der Terminus technicus lautet „Verfahrensfreiheit für Trafostationen und weitere Nebenanlagen“. Die Bundesregierung hat das bereits 2022 im Masterplan Ladeinfrastruktur II von den Ländern gefordert – passiert ist bislang fast nichts. Wir haben unzählige Gespräche mit der Politik geführt, bis hin zur Ministerebene. Alle Politiker geben uns inhaltlich Recht. Allein die Umsetzung lässt auf sich warten.

Baugenehmigungen in Papierform

Mit den Landesbauordnungen allein ist es aber nicht getan: Die Verfahren für Baugenehmigungen und Netzanschlüsse sind im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz teilweise noch in Papierform und müssen dringend standardisiert und digitalisiert werden. Das Beispiel A 40 zeigt: Auch die Dauer der Antragsverfahren ist durchaus unterschiedlich und keineswegs verbindlich. Unser Vorschlag ist daher, mit Genehmigungsfiktionen zu arbeiten. Wenn innerhalb von drei Monaten keine Entscheidung getroffen wurde, wird der Bauantrag als genehmigt angesehen.

Hilfreich wären außerdem ein zentrales Online-Portal für Netzanschlussanträge bei den 866 Stromnetzbetreibern in Deutschland, verbindliche Fristen für die Bearbeitung von Netzanschlussanträgen, die Harmonisierung der technischen Anschlussbedingungen und natürlich ein gesetzlich verankerter, vorausschauender Netzausbau, um den steigenden Anforderungen der Elektromobilität insbesondere im Schwerlastverkehr gerecht zu werden.

Konkrete Handlungsfelder für Bürokratieabbau

In den Talkrunden vor der Wahl ist häufig und sehr abstrakt über Bürokratieabbau gesprochen worden. Die Hürden beim Ausbau der Ladeinfrastruktur sind hingegen real und müssen aus unserer Sicht dringend beseitigt werden. Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem in den Ministerial- und Kommunalverwaltungen.

Aral pulse hat Ende des vergangenen Jahres ein Umsetzungsbarometer unter dem Titel „Deutschland im Ladecheck“ veröffentlicht. Darin bewerten wir die Maßnahmen und den Stand der Umsetzung auf einer Skala von rot (noch nicht begonnen) über gelb (in der Umsetzung) bis grün (umgesetzt). Man muss kein Experte sein, um zu erahnen, dass die Ampeln in allen Handlungsfeldern auf Gelb oder Rot stehen.

Die Verzögerungen bei den Mittelspannungsanschlüssen für ultraschnelles Pkw-Laden geben einen Vorgeschmack auf das, was noch kommt: Beim Laden von mehreren Lkw gleichzeitig, sodass 25 Megawatt Leistung oder mehr benötigt werden, müssen wir ans Hochspannungsnetz angebunden werden. Einige Netzbetreiber schätzen, dass dann bis zum tatsächlichen Anschluss zehn Jahre Vorlaufzeit notwendig sein werden. Die Perspektive aufs Lkw-Laden zeigt auch, wie wichtig ein vorausschauender Netzausbau ist.

Gegen Wettbewerbsverzerrungen beim Ausbau

Apropos Lkw-Laden: Die geplante Ausschreibung für E-Lkw-Ladehubs entlang der Autobahnen enthält aus unserer Sicht erhebliche Wettbewerbsverzerrungen und gefährdet bereits geplante und zukünftige privatwirtschaftliche Investitionen. Besonders kritisch sehen wir die verpflichtende Einführung des sogenannten Durchleitungsmodells. Die Möglichkeit für Kunden, ihren eigenen Stromvertrag an der Ladesäule auszuwählen, mag auf den ersten Blick attraktiv erscheinen. Tatsächlich sind die technischen und regulatorischen Anforderungen aber so komplex, dass sich für Endkunden keine realen Vorteile ergeben. Es sei denn, der Staat subventioniert die Ladestrompreise massiv.

Unser Appell an die nächste Bundesregierung lautet, das Ausschreibungskonzept zu überarbeiten und sich stärker am freien Wettbewerb, europäischen Richtlinien, Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und dem Anreiz zum eigenwirtschaftlichen Betrieb von Ladeinfrastruktur auszurichten. Die bisherige Regelung, dass Ladepunktbetreiber das Modell freiwillig anwenden können, sollte unbedingt in der Ausschreibung beibehalten werden.

Wir hoffen sehr, dass sich die neue Bundesregierung der verschiedenen Probleme beim Ausbau der Ladeinfrastruktur annimmt. Deutschland kann es sich nicht leisten, die Verkehrswende aufgrund bürokratischer Hürden und ineffizienter Prozesse zu vertrödeln. Wir müssen gemeinsam die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutschland in der Elektromobilität nicht den Anschluss an andere Industrienationen verliert, sondern seine Vorreiterrolle verteidigt.

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