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Standpunkte Handel und Investitionen sichern unseren Wohlstand

Horst Löchel, Professor für Volkswirtschaftslehre sowie Ko-Vorsitzender des Sino-German Centers an der Frankfurt School of Finance & Management
Horst Löchel, Professor für Volkswirtschaftslehre sowie Ko-Vorsitzender des Sino-German Centers an der Frankfurt School of Finance & Management Foto: promo

Rund eine Million Arbeitsplätze hängen in Deutschland am Export nach China und mehr als 5500 deutsche Unternehmen sind dort tätig. Für die deutsche Autoindustrie ist der größte Markt der Welt überlebenswichtig und China braucht die Direktinvestitionen. Eine Win-Win-Situation.

von Horst Löchel

veröffentlicht am 31.05.2023

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Das Thema einer zu großen wirtschaftlichen Abhängigkeit von China steht spätestens seit der Covid19-Pandemie und des damit verbundenen Zusammenbruchs der globalen Lieferketten ganz oben auf der Agenda der öffentlichen Debatte. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine, der zu einer Energiekrise in Deutschland führte und von China nicht kritisiert wurde, hat die China-Kritik weiter befeuert.

Hinzu kommt ein grundsätzlicher Kurswechsel der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik hin zu einer sogenannten „wertegeleiteten Politik“ und dem präferierten Handel mit „Wertepartnern“. Immerhin geht es mittlerweile nicht mehr um eine „Entkopplung“ von China, wie noch vor ein paar Monaten, sondern um sogenanntes De-Risking, also die Reduktion von China-Risiken durch wirtschaftliche Diversifikation.

Das ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, da eine Entkopplung von China katastrophale Folgen für die Weltwirtschaft und Deutschland hätte. Nicht nur spielt China eine zentrale Rolle in den globalen Lieferketten, China ist auch seit sieben Jahren ununterbrochen der größte Handelspartner Deutschlands.

Rund eine Million Arbeitsplätze hängen in Deutschland an den Exporten nach China und mehr als 5500 deutsche Unternehmen sind in China tätig. Deutsche Autokonzerne wie VW, BMW und Mercedes erzielen dort mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes und andere Unternehmen wie Infineon, Covestro und Adidas folgen ihnen auf dem Fuß. Auch darf die positive Wirkung preiswerter chinesischer Importe nach Deutschland für Verbraucher und Unternehmen nicht unterschätzt werden. Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass die Inflation in unserem Land nicht noch höher ausfällt, als sie schon ist. 

Wirtschaftlicher Austausch bedeutet Abhängigkeit

Ob nun Entkopplung oder Risikoabbau – so oder so wird eine Reduktion wirtschaftlicher Abhängigkeit von China mit substanziellen Wohlstandsverlusten in unserem Land einhergehen. Weder Verbraucher noch Unternehmen waren oder sind gezwungen, chinesische Produkte zu kaufen oder deutsche Produkte in China zu verkaufen. Sie tun es freiwillig, weil es ihrer wirtschaftlichen Situation nützt. Tatsächlich sichert die sogenannte Abhängigkeit von China unseren Wohlstand.

Wirtschaftlicher Austausch bedeutet immer Abhängigkeit, nicht einseitige, sondern wechselseitige. Wie Deutschland von China abhängt, hängt China von Deutschland ab. Beispielsweise exportiert China aktuell fast doppelt so viele Güter nach Deutschland wie umgekehrt: deutsche Import- und chinesische Exportabhängigkeit.

Ähnliches gilt für Direktinvestitionen von deutschen Unternehmen in China, die mit neuen Investitionen von elf Milliarden Euro im Jahr 2022 ein Rekordhoch erreicht haben. China braucht diese Investitionen, um seine Industrie weiter zu modernisieren und deutsche Unternehmen nutzen den Standort China, um zu expandieren. Eine klassische Win-win-Situation.

Sich aus China zurückzuziehen, würde bedeuten, sich von der Innovationskraft Chinas und vom internationalen Wettbewerb abzuschneiden, mit fatalen Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die jüngsten Entwicklungen auf dem chinesischen Automobilmarkt, dem größten der Welt, sind ein gutes Beispiel.

Der Markt für Elektroautos wird von chinesischen Anbietern, insbesondere BYD mit einem Marktanteil von fast 40 Prozent im ersten Quartal 2023, dominiert. Andere chinesische Anbieter, wie Nio und Xpeng, sind ebenfalls auf dem Sprung. Unter den zehn größten Anbietern von Elektrofahrzeugen in China gibt es nur noch zwei ausländische: Tesla mit einem Marktanteil von gut zehn Prozent und VW mit marginalen zwei Prozent.

China zweitgrößter Weltexporteur von Autos

Chinesischen Verhältnisse zeichnen sich auch im globalen Automobilmarkt ab. Der Anteil chinesischer Anbieter für Elektrofahrzeuge stieg im letzten Jahr auf fast 30 Prozent weltweit, während der Anteil deutscher Unternehmen auf vier Prozente schrumpfte. Anbietern wie GM und Nissan geht es ähnlich.

Es ist für den Industriestandort Deutschland ein beunruhigendes Zeichen, dass China kürzlich Deutschland als zweitgrößten Weltexporteur von Autos abgelöst hat. Wettbewerbsfähigkeit sieht anders aus. Das gilt übrigens für Deutschland insgesamt. Japan, ein Land, das seit Jahrzehnten mit niedrigen Wachstumsraten auffällt, hat im letzten Jahr Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst. Wenn das kein Alarmsignal ist, was dann?

Es ist eine betriebswirtschaftliche Binsenweisheit, dass Diversifikation ratsam ist, um Klumpenrisiken zu vermeiden. Nur ist das oft leichter gesagt als getan. Beispielsweise wird der deutschen Automobilindustrie empfohlen, mehr Autos in Indien zu produzieren und zu verkaufen. Immerhin hat das Land in der Bevölkerungszahl China gerade überholt.

Das Problem ist aber, dass Indien, trotz der großen Bevölkerung, nach wie vor nur über eine relativ kleine, kaufkräftige Mittelschicht verfügt, die in China aber rund eine halbe Milliarde Menschen ausmacht. Der Markt bestimmt die Geschäfte und den kann man sich nicht immer aussuchen – trotz der bekannten China-Risiken wie ein militärischer Konflikt um Taiwan oder Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren in der Xinjiang Provinz.

Marktchancen und geopolitischen Risiken abwägen

Jedes Unternehmen muss für sich abschätzen, wie es die Balance zwischen Marktchancen und geopolitischen Risiken bewertet. So oder so stehen deutsche Unternehmen mit ihrer Strategie, weiter auf China zu setzen, nicht allein. Unternehmen aus anderen Staaten, insbesondere auch aus den USA, folgen der gleichen Strategie und entkoppeln sich nicht von China trotz aller geopolitischen Spannungen. Ziehen sich deutsche Unternehmen zurück, werden andere nachstoßen.  

Wir müssen in einer Welt agieren, wie sie ist, nicht in einer, wie wir sie gerne hätten. Das gilt nicht nur für China, sondern auch für Geschäfte beispielsweise mit Ländern aus dem Nahen Osten, vor denen sich China in Sachen Menschenrechte und Frieden sicherlich nicht zu verstecken braucht.

Im Übrigen ist es entgegen aller Unkenrufe keineswegs blauäugig anzunehmen, dass internationaler Handel den Frieden und die Zivilgesellschaft fördert. Vom Konzept des ‚kapitalistischen Friedens‘ wissen wir, dass bewaffnete Konflikte umso unwahrscheinlicher werden, je enger die Handelsziehungen zwischen zwei Staaten sind. Der Überfall Russlands auf die Ukraine widerlegt diese Perspektive nicht, denn Russland und die Ukraine hatten nur einen geringen gemeinsamen Handel.

Darüber hinaus trägt Handel zu einem höheren Wohlstand der inländischen Bevölkerung bei, und Wohlstand ist und bleibt die Voraussetzung für das Erstarken einer Zivilgesellschaft. In China ist es vor allem die gut ausgebildete und international bewanderte Mittelklasse, die über den Tellerrand der eigenen Autokratie hinausblickt. Die Proteste gegen die strikte Covid-Politik und der unmittelbare Rückzug der chinesischen Führung, kann hierfür als Beispiel dienen.

Die deutsche Industrie hat keinen Grund, sich für ihre Geschäfte in und mit China zu rechtfertigen. Sie sichert wirtschaftlichen Wohlstand und trägt zur geopolitischen Stabilität bei.

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