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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Hyperschallbahn – Europanetz für 7.200 km/h?

Andreas Scholz, Planungsingenieur in der Zentrale DB Netz der Deutschen Bahn und Buchautor
Andreas Scholz, Planungsingenieur in der Zentrale DB Netz der Deutschen Bahn und Buchautor Foto: privat

Seit vielen Jahrzehnten existiert die Vision eines Vacuum Tube Trains, der von London nach New York weniger als eine Stunde benötigt. Eine Umsetzung dieser Idee für ein Europanetz und interkontinentale Linien wäre mit gewaltigen Herausforderungen, aber auch mit großen Chancen verbunden.

von Andreas Scholz

veröffentlicht am 08.05.2023

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In weniger als einer Stunde von London nach New York oder in zwanzig Minuten von Mailand nach Paris? Ein neues Verkehrssystem befindet sich bereits seit vielen Jahrzehnten als Vacuum Tube Train in Diskussion, ist jedoch noch phantasiebehaftet und ohne Realisierungsperspektive. Welchen Anforderungen müsste dieses System gerecht werden, falls es in Europa und weltweit in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts in Betrieb geht?

Ein entscheidendes Kriterium ist die Erreichbarkeit der Hyperschallgeschwindigkeit, das heißt der mehr als fünffachen Schallgeschwindigkeit, wenn die Reisezeitvision erfüllt werden soll.

Eine nach diesem Kriterium benannte Hyperschallbahn wird hinsichtlich der maximalen Geschwindigkeit, der Verkehrsentfernungen und Systemparameter ein Vielfaches der Dimensionen des Hyperloop erreichen müssen. Denn die seit zehn Jahren in Diskussion und Entwicklung befindlichen Hyperloop-Projekte werden maximal „nur“ für die einfache Schallgeschwindigkeit und für eher regionale Distanzen bei geringer Beförderungskapazität ausgelegt.

Konzeption in europäischen und globalen Dimensionen

Mit ihrem Geschwindigkeitsvorteil hat die Hyperschallbahn das Potenzial, den Luftverkehr abzulösen. Die Verlagerung des Luftverkehrs auf ein Hyperschallbahn-Liniennetz zur Verbindung europäischer Metropolen erzeugt massive Verkehrsströme – Voraussetzung für eine hohe Angebotsdichte, wirtschaftlichen Betrieb und damit für umfassende Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Luftverkehr. Das Liniennetz wird ergänzt durch Verbindungen mit anderen Kontinenten einschließlich der Querung des Atlantiks. Die maximale Verkehrsstrombündelung erfordert Züge mit aus heutiger Sicht äußerst hoher Sitzplatzkapazität.

Wesentlich ist die Auswahl der Stationen im Liniennetz – zu wenige Stationen können das Nachfragepotenzial nicht vollständig erschließen, zu viele Stationen mit geringeren Abständen zueinander beeinträchtigen die Entfaltung der technischen Systemvorteile der Hyperschallbahn.

Ein optimiertes Standortkonzept muss die angemessene Einbindung von Staaten und Regionen in das Netz der Hyperschallbahn im Blick haben, erforderlichenfalls mit Unterstützung durch ergänzende lokale Zubringersysteme, bestehend unter anderem aus regionalen Hyperloop-Verbindungen.  

Für die Fahrdynamik der Hyperschallbahn ist die Beschleunigung eine entscheidende Kenngröße. Es muss abgewogen werden zwischen den Anforderungen an die Reisezeit und an das Wohlbefinden der Passagiere während der Fahrt, die von Beschleunigungs- und Bremsphasen dominiert wird. Für weitere Betrachtungen kann eine Längsbeschleunigung ähnlich einer schnellen Pkw-Anfahrt bei maximal nahezu sechsfacher Schallgeschwindigkeit beziehungsweise 7.200 km/h angenommen werden.

Das Geschwindigkeitsniveau erfordert Züge, die mit Magnetschwebeantrieb durch evakuierte Röhren fahren. Magnetschwebe- und Vakuumtechnik bilden ein energetisches Verbundsystem. Je reiner das Vakuum ist, desto weniger Leistung benötigt die Magnetschwebetechnik und umgekehrt.

Die Fahrdynamik und die kostenbedingt notwendige bauliche Bündelung erzwingen eine Trassierung der Linien in überregionalen Dimensionen mit Mindest-Bogenradien von mehreren hundert Kilometern. Die Linien müssen daher weitestgehend unteririsch und häufig unter Wasser trassiert werden.

Immense Herausforderungen, aber auch große Chancen

Die Hyperschnellbahn erfordert in ihrer Dimension und technischen Komplexität eine Planung der Linien und Systemparameter nach weltweit einheitlichen Prämissen, um kontinentale oder nationale Suboptimierungen auszuschließen. Notwendig ist auch ein gemeinschaftliches Vorgehen der beteiligten Staaten bei der umfangreichen Finanzierung des Baus und zur Energieversorgung des Betriebs der Hyperschallbahn.

Als besondere Herausforderung erweist sich die Dimensionierung der Hyperschallbahn. Das komplizierte unterirdische System kann während seiner technischen Nutzungsdauer kaum baulich erweitert werden und muss bereits mit seiner Errichtung für die erforderliche Kapazität in ferner Zukunft ausgelegt werden. Diese Anforderung setzt neue Maßstäbe an die Fähigkeit zur Prognose der perspektivischen Verkehrsnachfrage und der wirtschaftlichen Systemauslegung.

Die Hyperschallbahn kann die europäische Integration befördern. Das Liniennetz zwischen den Metropolen gestattet ein Angebot, das bezüglich der Fahrzeit und Zugfolge mit dem heutigen Nahverkehr in einem Ballungsraum vergleichbar ist. Die Metropolen bilden de facto ein Netzwerk von Subzentren in einer „Agglomeration Europa“. Eine Hyperschallbahn dient auch der Vertiefung der Globalisierung. Weltweit werden Tagesreisen zwischen Mega-Cities möglich. Gerade Europa mit seiner hohen interkontinentalen Verkehrsnachfrage könnte davon profitieren.

Ein Europanetz der Hyperschallbahn mit ergänzenden interkontinentalen Linien verändert den Modal Split am kontinentalen und globalen Verkehrsmarkt gravierend. Der Luftverkehr verliert seine führende Position im interkontinentalen Verkehr und die internationalen Flughäfen Europas büßen etwa die Hälfte ihres Passagieraufkommens ein. Dieser Transformationsprozess zugunsten der Hyperschallbahn bietet zugleich die Chance für eine langfristige Reduzierung des Klimarisikos beim Luftverkehr im Langstreckenbereich.

Andreas Scholz ist Planungsingenieur in der Zentrale DB Netz der Deutschen Bahn. Im März erschien sein Buch zum Thema. 

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