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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Keine Sonderstellung für das Auto

Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW
Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW Foto: DIW

Heute veröffentlicht der Sachverständigenrat für Umweltfragen ein Gutachten, das sich der Mobilitätswende in den Städten widmet. Wie der coronabedingte Fahrrad-Boom verstetigt und Shared-Mobility-Angebote differenziert werden sollten, erklärt Claudia Kemfert, die Mitglied des Sachverständigenrates ist.

von Claudia Kemfert

veröffentlicht am 14.05.2020

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Die Corona-Pandemie hat massive Auswirkungen auf den städtischen Verkehr. Während sich die einen über die Pop-up-Radwege freuen, die in Berlin-Kreuzberg eingerichtet werden, befürchten die anderen, dass sich der ÖPNV von dem Verlust an Fahrgästen und Einnahmen nicht mehr erholen wird. In der Politik steht allerdings weiter das Auto im Mittelpunkt. Trotz der verheerenden Bilanz des Vorgängermodells im Jahr 2009 wird zunehmend konkret über eine Abwrackprämie 2.0 diskutiert. Dabei sind sich die Expertinnen und Experten einig, dass mehr Autos das bestehende Verkehrsproblem gerade in den Städten nicht lösen können.

Ein Befund wird gegenwärtig durch die Pandemie bestätigt: Mobilität bedeutet (auch) Bewegung. Aktive Mobilität ist gesundheitsfördernd und trägt zu nachhaltigen städtischen Strukturen bei. Gerade in den Städten kann die Alltagsmobilität so verändert werden, dass die Lebensqualität der Menschen im Mittelpunkt steht. Kurze Wege, gut ausgebaute Rad- und Fußwegestrecken, eng getaktete Bahnen und Elektrobusse ermöglichen eine neue Art von Verkehr, der umweltschonend, zügig, gesund und stressarm ist. Welche Ansätze für den Stadtverkehr deshalb vielversprechend sein können, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einem Kapitel seines heute veröffentlichten Umweltgutachtens 2020 untersucht.

Das Momentum des neuen Fahrrad-Booms verstetigen

Eine Mobilitätswende, das heißt die Verlagerung auf den öffentlichen Personennahverkehr sowie Fuß- und Radverkehr, kann aber mehr: den Energie- und Flächenbedarf senken, die Luftqualität verbessern, die Lärmbelastung reduzieren und zum Klimaschutz beitragen. Um den Verkehr zu verlagern, sollte der Umweltverbund attraktiver werden: Die Infrastruktur muss ausgebaut und seine Qualität verbessert werden. Das Momentum, das durch die Zunahme des Fahrradverkehrs entstanden ist, muss verstetigt werden.

Dafür bedarf es neuer Radwege und Abstellmöglichkeiten. Damit sie nicht nur in Form von Absperrbaken und Flatterbändern erfolgen, sondern langfristig bleiben, müssen die Behörden mehr Fachpersonal bekommen und die Mittel für den Infrastrukturausbau langfristig und planbar zur Verfügung stehen.

Auch wenn er gegenwärtig zu den Verlierern der Corona-Pandemie gehört, darf der ÖPNV nicht aus dem Blick geraten. Um den ÖPNV zu einem echten Rückgrat des Stadtverkehrs auszubauen, sind gewaltige Mittel erforderlich. Diese Kosten explodieren jetzt zusätzlich durch den Wegfall der Fahrgasteinnahmen. Hier ist die Politik gefordert, schnell Abhilfe zu schaffen.

Eine streckenabhängige Pkw-Maut sollte Brennstoffsteuern ersetzen

Langfristig muss der ÖPNV es ermöglichen, bezahlbar und mit überschaubarem Aufwand die Wege des täglichen Lebens zurückzulegen – das gilt ohne Abstriche auch für Ältere, Kinder und Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Dafür muss er erheblich ausgebaut und verbessert werden, indem seine Kapazität deutlich erhöht wird und durchgehende Wegeketten ermöglicht werden. Kurzfristig müssten jetzt die gesetzlichen Vorgaben so geändert werden, dass Bundesmittel nicht nur für Neuinvestitionen, sondern stärker auch für Erhaltung und Betrieb verwendet werden können.

Außerdem sollte mittelfristig eine streckenabhängige Pkw-Maut dazu beitragen, Brennstoffsteuern zu ersetzen, die künftig durch die Umstellung auf Elektromobilität wegfallen. Mit einer Pkw-Maut, die die tatsächlich gefahrene Strecke umweltgerecht bepreist, kann eine hohe ökologische Lenkungswirkung erzielt werden.

Die Parkraumbewirtschaftung muss zum Steuerungsinstrument werden

Aber auch wenn die Infrastruktur des Umweltverbundes ausgebaut wird, führt kein Weg daran vorbei, dass gleichzeitig der motorisierte Individualverkehr verringert werden muss. Eine Mobilitätswende kann nicht nur durch sogenannte Pull- sondern muss auch durch Push-Instrumente erfolgen. Dafür muss das Auto auf seine bisherige Sonderstellung verzichten. Wer in der Stadt parken will, sollte deshalb zukünftig auf einen angemessenen Preis für die Flächennutzung bezahlen.

Die Parkraumbewirtschaftung muss zu einem Instrument werden, mit dem der Verkehr auch gesteuert werden kann. Dazu ist es erforderlich, die rechtlichen Vorgaben des Straßenverkehrsrechts zu ändern. Die gerade verabschiedete StVO-Novelle springt deshalb zu kurz. Ziel von straßenverkehrsrechtlichen Festsetzungen muss auch der Klima- und Umweltschutz werden, und den Kommunen müssen neue Steuerungsmöglichkeiten eröffnet werden.

Shared-Mobility-Angebote differenziert bewerten

Große Aufmerksamkeit erfuhren in den letzten Jahren Mobilitätsangebote der Shared Mobility, vom stationslosen Carsharing bis zum E-Scooter-Verleih. Die Umweltauswirkungen dieser Angebote sind differenziert zu bewerten. Sie fallen jedenfalls dann negativ aus, wenn sie mehrheitlich den Umweltverbund ersetzen. Dass der Umweltverbund gerade in Krisenzeiten das Rückgrat der städtischen Mobilität ist, bestätigte sich auch an der Shared Mobility: Während öffentlich finanziertes Bikesharing als Alternative zum ÖPNV sogar noch ausgebaut wurde, zogen sich beispielsweise zahlreiche wettbewerbsorientierte E-Scooter-Anbieter vom Markt zurück.

Kommunen müssen Angebote stärker selbst steuern

Für die Zeit nach der Pandemie gilt aus ökologischer Sicht: Sharing-Angebote sollten die Fortbewegung in der Stadt jenseits des Autos erleichtern, dürfen den Umweltverbund dazu jedoch nicht verdrängen. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es künftig einer stärkeren Steuerung der Angebote durch die Kommunen und Vorgaben für Mobilitätsdaten.

Ein attraktiver Stadtverkehr im Umweltverbund aus ÖPNV sowie Fuß- und Radverkehr käme der Mehrheit der Bevölkerung zugute. Knapp 80 Prozent der Menschen in Deutschland leben in Groß- und Mittelstädten, definiert als solche mit mindestens 15.000 EinwohnerInnen. In den Städten ist ein Trend zu weniger motorisiertem Individualverkehr erkennbar. Damit dieser zaghafte Wandel schneller vorangeht, braucht es jetzt die richtigen politischen Weichenstellungen.

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