Standpunkte Neue Norm ermöglicht sichere Mitnahme von E-Scootern

E-Scooter sind ein fester Bestandteil der Mobilitätslandschaft. Bei der Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln ziehen Verkehrsbetriebe zunehmend die Notbremse und verbieten deren Mitnahme in Bus und Bahn. Dabei kann eine überarbeitete Norm die Sicherheit von Lithium-Ionen-Batterien weiter erhöhen und den Individualverkehr stärken.
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Jetzt kostenfrei testenLaut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) rollten 2023 rund 990.000 E-Scooter über deutsche Straßen – knapp 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders bemerkenswert: Während die Anzahl der Leih-E-Scooter um neun Prozent auf etwa 210.000 stieg, verzeichneten private E-Scooter einen Zuwachs von 37 Prozent auf 780.000 Fahrzeuge.
E-Scooter stellen für viele Menschen eine Alternative zum eigenen Pkw dar. Das Potenzial der Mikromobilität oder Shared Mobility ist groß und der Trend ungebrochen. Die steigende Beliebtheit spiegelt sich auch in den Nutzerzahlen wider: Rund 11,25 Millionen Menschen nutzten 2023 E-Scooter in Deutschland. Prognosen für 2029 gehen davon aus, dass die Zahl der Nutzer von E-Scooter-Sharingdiensten 12,8 Millionen erreichen wird.
Private E-Scooter als „Handgepäck“ in Bus und Bahn
Gerade im Kontext der Verkehrswende spielen E-Scooter eine zentrale Rolle. Sie können als Zubringer oder Abbringer zum ÖPNV dienen und die erste beziehungsweise letzte Meile zwischen Haltestelle und Zielort überbrücken – ein Konzept, das als intermodale Mobilität bezeichnet wird. Immer mehr Kommunen fördern diese Entwicklung mit Maßnahmen wie speziellen Abstellflächen an Bahnhöfen oder der Integration von Leihroller-Angeboten in ÖPNV-Apps. Die Möglichkeit, private E-Scooter als „Handgepäck“ im ÖPNV mitzunehmen, erhöht deren Attraktivität enorm.
Studien der Deutschen Energie-Agentur (Dena) belegen, dass Sharingdienste mit E-Scootern ein integraler Bestandteil eines zukunftsfähigen Mobilitätskonzepts sein können. Auch zeigt das Forschungsprojekt „NahMikro“ der Technischen Hochschule Wildau, wie solche Angebote erfolgreich am Stadtrand eingesetzt wurden, um den ÖPNV zu ergänzen und attraktiver zu machen. Das gilt vor allem, wenn Städte eine fahrrad-, fußgänger- und scooterfreundliche Infrastruktur schaffen, die den Umstieg vom Pkw auf den E-Scooter für die kurze Strecke zur Haltestelle erleichtert.
Die positiven Effekte dieser Kombination hat auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bereits 2019 festgestellt: „Das passt sehr gut zu uns: Wir bieten nicht nur eine Fahrt mit U-Bahn, Tram-Bahn, Bus von einer Haltestelle zu anderen an, sondern wir bieten Mobilität von Haustür zu Haustür an.“ Voraussetzung dafür ist jedoch, dass E-Scooter in öffentlichen Verkehrsmitteln mitgenommen werden können.
Mitnahmeverbot durch Regelungslücke bei Batteriesicherheit
Doch genau hier entstanden im Jahr 2024 erhebliche Hürden für die Nutzung von E-Scootern: Verkehrsunternehmen in München, Frankfurt, Köln und Leipzig verboten die Mitnahme von E-Scootern in ihren Verkehrsmitteln. Sie folgten der Empfehlung des VDV, der eine „Regelungslücke bei den Sicherheitsstandards der mechanischen Festigkeit von Batterien in E-Scootern“ sah. Auslöser hierfür waren Vorfälle wie Brände und Explosionen von E-Scootern mit Lithium-Ionen-Batterien im ÖPNV in London, Barcelona und Madrid.
Die ÖPNV-Betriebe haben sich bei ihrem Vorgehen an der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung von 2019 orientiert. Sie verweist auf die Norm EN 15194 aus dem Jahr 2018 – einen Standard für E-Fahrräder (Pedelecs) –, die hinsichtlich der Anforderungen an die Batteriesicherheit nicht umfassend genug war.
Bereits zum damaligen Zeitpunkt existierte die europäische Norm EN 50604-1 aus dem Jahr 2016, die Anforderungen an Lithium-Ionen-Batterien beim Einsatz in Elektrokleinstfahrzeugen beschreibt. Die aktuelle Überarbeitung der EN 50604 sorgt künftig für noch mehr Sicherheit und berücksichtigt die technischen Entwicklungen und Praxiserfahrungen der vergangenen Jahre.
Norm EN 50604: klare und höhere Sicherheitsanforderungen
Die neue Fassung der Norm EN 50604-1 aus 2016 und 2021 wird noch in diesem Jahr veröffentlicht und adressiert vier zentrale Themenbereiche:
- Mechanische Stabilität: Holprige Straßen, Vibrationen beim Fahren, Stöße beim Abstellen des Fahrzeugs – E-Scooter und ähnliche Fahrzeuge sind im Alltag starken mechanischen Belastungen ausgesetzt. Daher legt die Neufassung der Norm Prüfungen fest, die sicherstellen, dass Batterien mechanisch stabil sind und auch bei Vibrationen oder Stößen nicht beschädigt werden.
- Thermische Beständigkeit: Hohe Umgebungstemperaturen, etwa durch direkte Sonneneinstrahlung, stellen eine zusätzliche Belastung dar. Prüfungen zur thermischen Stabilität sollen gewährleisten, dass Batterien auch unter solchen Bedingungen sicher bleiben und sich nicht entzünden oder verformen.
- Elektrische Sicherheit: Im Alltag zählen Fehlfunktionen und die Verwendung falscher Ladegeräte zu den häufigsten Brandursachen. Die Norm schreibt daher ein Batteriemanagementsystem (BMS) vor, das die Batterie während des Ladens und im Betrieb überwacht und das Brandrisiko minimiert (Tiefentladungsschutz).
- Sicherheit bei Unfällen: Durch die Simulation von Stößen, Stürzen und Wasserkontakt wird sichergestellt, dass Batterien auch unter Extrembedingungen keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen und zum Beispiel keine schädlichen Substanzen freisetzen.
Diese umfassenden Anforderungen gehen deutlich über die bisherigen Standards hinaus und orientieren sich an internationalen Sicherheitsnormen wie IEC 62133, die Anforderungen und Tests für die Sicherheit von Lithium-Ionen-Batterien in tragbaren elektronischen Geräten festlegt.
Mit diesen hohen Sicherheitsstandards gehen Normungsorganisationen wie die DKE diese Herausforderungen vorbereitend auf nationaler Ebene an. Kritische Vorfälle gab und gibt es weltweit, sodass der Bedarf nach mehr Sicherheit allein kein rein nationales Thema ist. Die Norm DIN EN 50604-1 wird daher als europäische Norm international vorgelegt und kann zum globalen Standard für die Sicherheit von Lithium-Ionen-Batterien in Elektrokleinstfahrzeugen werden.
Hersteller erhalten so einheitliche Anforderungen und stehen dann in der Verantwortung, ihre Fahrzeuge an die neuen Vorgaben anzupassen und deren Erfüllung verbindlich nachzuweisen. Damit wird ein wichtiger Grundstein gelegt, damit künftig auch wieder E-Scooter in U-Bahn, Bus und Bahn wieder bedenkenlos mitgenommen werden können.
Normen gewährleisten Sicherheit, ermöglichen eine nahtlose intermodale Mobilität und komplementieren die Verkehrswende. Neben verbesserten Sicherheitsstandards für Batterien soll künftig auch eine neue E-Scooter-Regulierung folgen. So plant das Bundesministerium für Verkehr eine neue Verordnung, welche die Regeln für E-Scooter nochmals nachschärfen soll und sie denen für den Radverkehr weitgehend angleicht. Auf diese Weise könnte die Integration von E-Scootern in den bestehenden Verkehrsmix weiter vorangetrieben werden.
Normung als Wegbereiter für nachhaltige Mobilität
Die überarbeitete Norm für Lithium-Ionen-Batterien ist ein wichtiger Baustein für die Zukunft urbaner Mobilität. Sie zeigt exemplarisch, wie technische Standards und Regulierung Hand in Hand gehen müssen, um Innovationen zu ermöglichen und gleichzeitig Sicherheit zu gewährleisten.
Die Entwicklung zeigt: Die Zukunft der urbanen Mobilität liegt nicht in einzelnen Verkehrsmitteln, sondern in ihrer ganzheitlichen Nutzung. E-Scooter können dabei eine Schlüsselrolle spielen – vorausgesetzt, die Sicherheitsstandards halten mit dem rasanten Wachstum Schritt. Die neue Batterienorm könnte genau diese Balance zwischen Innovation und Sicherheit herstellen und damit den Weg für eine intermodale Mobilität ebnen.
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