Eine City-Maut könnte der Katalysator für die stockende Verkehrswende sein. Aus klima- und verkehrspolitischen Gründen ist es notwendig und längst überfällig, die Zahl der Autos zu verringern. Nur so sind ein besserer Verkehrsfluss, mehr Verkehrssicherheit sowie eine Reduktion der Schadstoffemissionen und der Treibhausgase zu erreichen. Ein Schlüssel für die Verkehrswende ist die Neuaufteilung des Verkehrsraumes.
Die Beseitigung oder Minderung der negativen Folgen der Massenmotorisierung ist nicht nur eine volkswirtschaftliche Frage der Kostenzuweisung, die Ökonomen sprechen von der „Internalisierung externer Kosten“. Gemäß dem Verursacherprinzip müssen schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit die Kosten für diese Schäden und Belastungen denjenigen aufgebürdet werden, die sie verursacht haben.
Neben einer entfernungs- und schadstoffabhängigen Straßennutzungsgebühr, die gestaffelt die negativen externen Effekte wie Stau, Lärm und Luftschadstoffe internalisiert, ist auch eine adäquate Bepreisung öffentlichen Raums zu Parkzwecken geeignet, die Überlastung von Straßen und Parkflächen zu reduzieren. Nutzungsabhängige Gebühren können dazu beitragen, dass der öffentliche Raum und die öffentliche Infrastruktur nicht einseitig und privilegiert von den privaten Autobesitzer(inne)n in Anspruch genommen werden.
Wer kein Auto hat, zahlt derzeit trotzdem
Wer öffentlichen Raum für private Zwecke nutzt, soll auch dafür zahlen. Derzeit zahlen aber alle, völlig unabhängig von der tatsächlichen Nutzungsintensität. In großen Städten wie Berlin, München oder auch Frankfurt haben 40 bis 50 Prozent der Haushalte gar kein eigenes Auto und belegen damit auch nicht den öffentlichen Straßenrand. Die Straßeninfrastruktur und die öffentlichen Parkplätze sind also keineswegs für alle da.
Eine weitere Gerechtigkeitsdimension geht oft unter: Da weniger begüterte Städter(innen) oft an viel befahrenen Straßen wohnen, sind sie besonders betroffen. So erstaunt es eigentlich nicht, dass sie auch stärker davon profitieren, wenn infolge der Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr der Verkehr nachlässt. Das wurde beispielsweise wenige Jahre nach der Implementierung der Congestion Charge genannten City-Maut in London festgestellt.
Die Einführung einer strecken- und zeitbezogenen Klimaabgabe – also die Erhebung von Abgaben für etwas, was vorher nichts kostete – ist ohne Zweifel eine gewaltige Veränderung des Status quo, es ist eine wahre Herkulesaufgabe. Aus der sozialwissenschaftlichen Mobilitätsforschung wissen wir: Der individuelle Änderungswille im Verhalten hängt nicht nur von materiellen und kognitiven Voraussetzungen, sondern auch stark vom subjektiv wahrgenommenen Handlungspotenzial ab. Wir neigen dazu, unsere alltägliche Bewegung in Routinen einzulagern, um nicht ständig über jeden Schritt nachdenken zu müssen. Das schafft Entlastung im Alltag, ist aber wenig flexibel und äußerst änderungsresistent.
Deshalb wird beispielsweise jede Änderung in der Verkehrsführung oder eine Neuaufteilung von Verkehrsflächen zunächst mit Skepsis betrachtet, denn die bestehenden Routinen müssen überdacht werden, es entsteht Aufwand. Andererseits sind wir durchaus in der Lage, selbst im eingespielten Verkehrsalltag unser Verhalten zu ändern, wenn nach einer gewissen Prüfung und Probierzeit die neue Situation als bewältigbar eingeschätzt wird und ihrerseits wieder in Routinen überführt werden kann. Dies gilt nicht für alle Änderungen und auch nicht zu jeder Zeit. Es ist in jedem Fall ausreichend Zeit nötig, und natürlich müssen tradierte Einstellungen, soziale Erwartungen und die Selbsteinschätzungen der Menschen berücksichtigt werden.
Für durchschnittlichen Verbrenner würden 180 Euro im Monat fällig
Für das Land Berlin wäre beispielsweise der innere S-Bahn Ring als Mautgebiet vorstellbar. Hier sind Alternativen zum privaten Autoverkehr vorhanden. Für ein durchschnittliches Nutzungsprofil mit einem Verbrennerfahrzeug wären etwa 180 Euro pro Monat denkbar, damit wäre dann das Fahren und Parken des Fahrzeugs abgegolten. Ein Preis, der etwas höher als die Monatskarte des Verkehrsverbundes Berlin- Brandenburg (107 Euro) liegt. Ein Tagesticket wäre für 15 Euro zu haben. Beim jetzigen Verkehrsvolumen kämen dann schon mal 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zusammen. Natürlich sind Ausnahmen für Menschen mit Handicaps oder auch mit ganz geringem Einkommen denkbar, die aber dennoch ein Auto benötigen.
Primäres Erfassungs- und Abrechnungsgerät ist das Smartphone, das Zeit und Streckenlänge sowie die Standzeiten messen kann. Parallel sind auch Pauschaltickets möglich. Allerdings ist eine Ermittlung der Streckenlängen und Zeiten erwünscht, um eine hohe Lenkungswirkung für das Verhalten zu erreichen.
Eine City-Maut hat weiterhin den Vorteil, dass die erzielten Einnahmen zur Modernisierung des öffentlichen Verkehrs genutzt werden können. Gemeint ist damit nicht nur der Ausbau von Bussen und Bahnen mit erweitertem Liniennetz und erhöhten Frequenzen, sondern auch die Integration von Tür-zu-Tür-Angeboten rund um die Uhr durch Pooling- und Taxidienste sowie auch der konsequente Ausbau von Fahrradwegen und ihre Verknüpfung zu einem Wegenetz. Einnahmen aus der City-Maut erhöhen schließlich den Spielraum für die Einführung günstiger Zeit- und Sozialtickets.
Wirkung zeigt sich in London, Stockholm, Mailand und Oslo
Nach allen vorliegenden Erfahrungen aus dem Ausland ist bekannt, dass eine Bepreisung der Straßenbenutzung Wirkung zeitigt. So unterschiedlich die City-Maut-Modelle in London, Stockholm, Mailand oder Oslo auch sind, sie haben alle dazu beigetragen, dass die Zahl der Fahrzeuge und der Straßenverkehr tatsächlich abgenommen haben.
Noch gibt es für die City-Maut keine Rechtsgrundlage, aber ein Stadtstaat wie Berlin hat durchaus die Möglichkeit, einen Pilotversuch zu starten und die notwendige rechtliche Grundlage dafür zu schaffen. In einem solchen Experiment können die Technik getestet und die verkehrlichen, aber auch die wirtschaftlichen und sozialen Effekte erfasst werden. Ein Ziel wäre es, die Ergebnisse so an den Bund zurückzuspielen, dass es zu einer Rahmenvereinbarung für eine flächendeckende Einführung dieser nutzungsbezogenen Abgabe kommen könnte. Der Deutsche Städtetag empfiehlt im Übrigen genau diesen Weg. Es braucht nur den Mut, diesen Versuch auch zu starten. Das Möglichkeitsfenster dafür steht weit auf. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Weert Canzler, Andreas Knie: „Die Citymaut. Neuer Freiraum für die Verkehrspolitik im Zeichen des Wandels“. München 2020, oekom-Verlag.