Ob Dauerbeschallung durch Durchfahrtsverkehr oder plötzliches Aufheulen von Motorrädern und Sportwagen – Straßenverkehrslärm nervt und macht krank. Trotz Milliardenkosten für die Allgemeinheit sind von politischer Seite kaum mehr als Lippenbekenntnisse zu vernehmen. Für einen wirksamen Schutz müssen sowohl dauerhafte Lärmbelastung als auch Störungen durch sogenannte Lärmspitzen adressiert werden. Neben Einzelmaßnahmen ist jedoch ein grundsätzlich anderes Rechtsverständnis für den Schutz vor Lärm erforderlich.
Nach Luftverschmutzung ist Lärm die zweitgrößte umweltbedingte Ursache für Gesundheitsprobleme. Der Straßenverkehr ist die Hauptlärmquelle. Deutschlandweit sind mindestens 16 Millionen Menschen einem regelmäßigen Lärmpegel aus dem Straßenverkehr von über 55 Dezibel (dB(A)) ausgesetzt. Zur Einordnung: Die Weltgesundheitsorganisation spricht bereits ab einem Wert von 53 Dezibel von einem ernsten Gesundheitsrisiko.
Eine Umfrage des Umweltbundesamts (UBA) zeigt, dass sich 75 Prozent der Menschen in Deutschland durch den Straßenverkehrslärm belästigt fühlen. Besonders störend für das menschliche Gehör sind Lärmspitzen, die insbesondere von Motorrädern und Sport-Pkw verursacht werden. Dies kommt nicht nur in Innenstädten vor, sondern gerade auch in landschaftlich reizvollen Regionen, in denen Anwohnende und Gäste Ruhe und Entspannung suchen. Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Folge sind gemeinhin bekannt, doch auch das Risiko für Depressionen und Angststörungen kann durch Straßenverkehrslärm zunehmen. Die daraus folgenden Gesundheitskosten betrugen im Jahr 2016 laut UBA 1,77 Milliarden Euro.
Krachmacher: Gibt es ein Dezibel-Gate?
Während beim Großteil der Fahrzeuge Lärm quasi als Nebenprodukt der Mobilitätsfunktion entsteht, hat sich der „Sound“ bei Sport-Pkw und Motorrädern längst zu einem Verkaufsargument entwickelt. Bei der Typzulassung werden die Geräuschemissionen zwar geprüft, doch das Messverfahren ist löchrig. Es wird ein eng definiertes Fahr-Szenario gemessen – dazu dürfen sogar eingebaute Auspuffklappen geschlossen bleiben. Werden diese beim Fahren auf der Straße geöffnet, verursacht das Fahrzeug in der Praxis extreme Lärmspitzen.
Eigentlich legen die bestehenden Rechtsgrundlagen fest, dass die Geräuschemissionen unter typischen Straßenfahrbedingungen nicht wesentlich vom Prüfergebnis abweichen dürfen. Dennoch haben Messungen im Auftrag des UBA ergeben, dass Fahrzeuge auf der Straße hunderte Male lauter sein können als auf der Teststrecke. Dies könnte verhindert werden, indem ein absoluter Dezibel-Höchstwert festgelegt wird, der unabhängig vom Fahrprofil nicht überschritten werden darf.
Hersteller dürfen keine Abschalteinrichtungen zur Optimierung der offiziellen Tests einsetzen, ähnlich, wie das auch im Bereich der Abgasreinigung gilt. Lärmmessungen zeigen jedoch, dass laute Fahrzeuge, sobald sie unter den Bedingungen der offiziellen Tests unterwegs sind, wie durch Zauberhand leiser werden – aus Sicht der DUH ein Hinweis auf eine Abschalteinrichtung.
Zeit für eine Lärmpause
Neben der mittelfristig wirkenden Änderung der Zulassungsbedingungen und dem Ausschluss unzulässiger Abschalteinrichtungen sind kurzfristig wirksame Maßnahmen erforderlich, um Betroffene zu entlasten. Anwohnende beliebter Motorradstrecken sind in der Saison oft extremen Lärmsituationen ausgesetzt. Die DUH setzt sich daher zusammen mit dem Bundesverband gegen Motorradlärm und dem VAGM e.V. für mehr Schutz vor Motorradlärm ein.
Ein Aktionsplan soll – am Beispiel des Landkreises Holzminden – für mehr Ruhe sorgen und gleichzeitig den Motorradfahrenden alternative Routen ermöglichen. Im Projektverlauf zeigt sich, wie sehr es bei Projekten dieser Art auf den festen politischen Willen der Entscheidungsträger vor Ort ankommt, die sich gegen den – lauten – Widerstand von Motorradnutzenden behaupten müssen. Einzel- und Pilotprojekte kosten die Beteiligten vor Ort viel Kraft und Nerven. Das kann auf Dauer keine Lösung sein. Eine klare rechtliche Grundlage, die Anwohner vor übermäßigem Lärm schützt, muss gewährleisten, dass ab einer bestimmten Belastung Maßnahmen automatisch umgesetzt werden. Etwa durch Tempolimits, temporäre Straßensperrungen, aber auch Filter wie das Tiroler Modell, welches Fahrzeuge ab einer bestimmten Lautstärke ausschließt.
Lärmschutz wird in Deutschland kleingeschrieben
Generell zeigt sich, dass Betroffene oft im Stich gelassen werden. So besteht beispielsweise kein rechtlicher Anspruch auf Lärmschutz an Bestandsstraßen. Selbst bei einer Überschreitung der Richtwerte sind die Behörden nicht dazu verpflichtet, Lärmschutzmaßnahmen durchzuführen. Rechtlich bindende Grenzwerte gibt es nur beim Neubau oder wesentlichen Änderungen von Verkehrswegen.
Das UBA hat Anfang 2023 einen Gesetzentwurf für ein Lärmschutzgesetz veröffentlicht, das unter anderem einen solchen Rechtsanspruch an Bestandsstraßen vorsieht. Mit diesem Gesetz würde für Lärmgeplagte endlich ein entscheidender Hebel für Lärmschutz geschaffen werden. Nach Aussage des zuständigen Bundesumweltministeriums wird in absehbarer Zeit jedoch nicht über den weiteren Verlauf des Gesetzes entschieden. Auch die jüngst gescheiterte Reform der Straßenverkehrsordnung hatte eine vereinfachte und rechtssichere Umsetzung der einfachsten und kostengünstigsten Lärmschutzmaßnahme – Tempo 30 – nicht aufgegriffen. Im Vergleich zu Tempo 50 wirkt Tempo 30 auf das Ohr wie eine Halbierung des Verkehrsaufkommens. Das Gleiche gilt von Tempo 130 auf 100.
Lichtblick Lärmaktionsplanung
Trotz Schutzlücken in der nationalen Gesetzgebung besteht Potenzial in der EU-Umgebungslärmrichtlinie. In einem Fünf-Jahres-Rhythmus wird die Lärmbelastung der Bevölkerung in Ballungsräumen und entlang stark frequentierter Trassen kartiert. Auf Basis der Lärmkarten werden Lärmaktionspläne mit konkreten Maßnahmen erstellt, zum Beispiel die Sanierung von Fahrbahnbelägen, die Förderung von Rad- und Fußverkehr oder Geschwindigkeitsreduktionen.
Ein von der DUH in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zeigt, dass Kommunen durch die Lärmaktionsplanung eine rechtssichere Möglichkeit haben, tragfähige Gesamtkonzepte sowie weitreichende Tempo 30 Anordnungen umzusetzen. Derzeit schöpft die Lärmaktionsplanung ihr volles Potenzial für effektiven Lärmschutz jedoch kaum aus. Die Erstellung der Pläne ist ressourcenintensiv und die Umsetzung der darin festgelegten verkehrsrechtlichen Anordnungen wird in der Praxis teils von den zuständigen Fachbehörden verweigert.
Lärm wie Luft behandeln
Dabei gibt es bereits ein Urteil des VGH Baden-Württemberg, wonach diese an die Festlegungen aus den Lärmaktionsplänen gebunden sind. Um Implementierungslücken zu identifizieren und zu schließen, setzt sich die DUH gemeinsam mit dem ökologischen Verkehrsclub (VCD) für eine Aufwertung der Lärmaktionsplanung und eine vereinfachte Umsetzung wirksamer Maßnahmen ein.
Für den wirksamen Schutz vor Lärm gibt es viel zu tun: So wären weitere Regulierungen sinnvoll, etwa zur Größe von Reifen sowie ökonomische Betrachtungen, die nicht länger nur die Kosten, sondern auch den Nutzen von Maßnahmen bewerten. Forderungen dieser Art gibt es seit Jahren. Getan hat sich aber nicht viel. Daher ist ein grundlegender Paradigmenwechsel überfällig: Lärm muss wie Luftverschmutzung behandelt werden. Wir brauchen verbindliche Grenzwerte, wie es sie in der Luftreinhaltung gibt, die Lärmquellen begrenzen, vor zu hohen Immissionen schützen und deren Einhaltung im Zweifel vor Gericht einklagbar ist.