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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Stadt und Land gleichermaßen in den Blick nehmen

Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages
Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages Foto: Kreis Ostholstein

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag einen Ausbau- und Modernisierungspakt für den ÖPNV angekündigt, der zwischen Bund, Ländern und Kommunen zur Verbesserung des ÖPNV geschlossen werden soll. Verkehr und Mobilität müssen dabei raumübergreifend betrachtet werden. Auch den ländlichen Räumen muss deshalb die Beachtung zukommen, die ihrem Stellenwert entspricht.

von Reinhard Sager

veröffentlicht am 30.11.2023

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Eine Verkehrswende, deren Bestandteil der Ausbau- und Modernisierungspakt sein muss, wird nicht funktionieren, wenn dieser nur durch die Großstadtbrille betrachtet wird. Viele der neuen Mobilitätsalternativen, die wir aus Großstädten kennen – wie Carsharing, Fahrrad- oder Rollerverleihsysteme etc. – gibt es in der Fläche kaum. Mangels Nachfragedichte tragen sich die Geschäftsmodelle von vornherein nicht.

In Deutschland leben mehr als die Hälfte der Menschen in den ländlichen Räumen. Dort wird nahezu die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Die Ausgangs- und Randbedingungen unterscheiden sich zwischen Stadt und Land. Und sie bedürfen deshalb auch unterschiedlicher und spezifischer Lösungen, um mehr alltagstaugliche Mobilitätsalternativen zu schaffen.

Vielfach fehlen alltagstaugliche Mobilitätsalternativen, sodass auf dem Land für viele Menschen das Auto das wichtigste Verkehrsmittel ist und wohl auch bleiben wird. Es muss daher bei allen Überlegungen mitgedacht und ebenfalls weiterentwickelt werden. Denn: Auch ein regelmäßiger und verdichteter Linienverkehr ist meist nur auf Hauptachsen darstellbar – ein fein verästeltes System wie im städtischen Bereich würde jeden finanziellen Rahmen sprengen.

Durch die geringere Bevölkerungsdichte und disperse Siedlungsstrukturen lässt sich die Verkehrsnachfrage für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nicht in gleicher Weise bündeln wie im verdichteten Raum. Es wird daher ein intelligenter Mix aus verschiedenen Mobilitätsformen nötig sein.

On-Demand-Verkehr kein Selbstläufer

Mit der Feinerschließung der Fläche und einem verdichteten ÖPNV-Netz ist es in den ländlichen Räumen bekanntlich vielfach nicht sehr weit her. Die letzte Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) hat mit dem „Linienbedarfsverkehr“ als ÖPNV-integriertem On-Demand-Verkehr eine neue Verkehrsform eingeführt, die hier aber wichtige hilfreiche Beiträge zur Verbesserung der Mobilität verspricht. Die verschiedenen Modellprojekte und die Erfahrungen mit Rufbussystemen machen hier Hoffnung.

Ein Selbstläufer ist das allerdings nicht. Mit der Anpassung des rechtlichen Rahmens ist nur der erste Schritt getan. Die neue Verkehrsform muss nun auch finanziell unterlegt werden. Der Bund fördert „Modellprojekte im ÖPNV“ als Leuchtturmprojekte. Das ist gut, reicht aber nicht aus.

Diese Modellprojekte zeigen auf, was möglich ist. Sie verdeutlichen zugleich aber auch die erheblichen Finanzierungsbedarfe, die erforderlich sind, wenn diese Leuchtturmprojekte nicht Einzelprojekte bleiben sollen, sondern verstetigt und in die Fläche getragen werden sollen.

Radverkehr nicht vergessen

Wenn man über den Ausbau und die Modernisierung der Angebote im Verkehrsbereich spricht, muss man auch den Radverkehr mit einbeziehen, der mehr und mehr und mehr Bedeutung erlangt. Um diesen in der Fläche zu stärken, brauchen wir durchgängige und sichere Radwegenetze – innerorts und außerorts.

Das Sonderprogramm „Stadt und Land“ des Bundes leistet hier wichtige Beiträge zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur in den Kommunen. Andererseits werden wir auch mit zusätzlichen Fördermitteln nicht überall straßenbegleitende Radwege bauen können – allein das Netz der Kreisstraßen ist 92.000 Kilometer lang. Wir brauchen deshalb auch ergänzende Lösungen. Als kommunale Spitzenverbände werben wir ausdrücklich dafür, zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für Radfahrende mit der Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) auch „Schutzstreifen außerorts“ zu ermöglichen.

In Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz sind solche Markierungslösungen bereits seit Jahren gebräuchlich und akzeptiert. Wir wollen den kommunalen Instrumentenkasten erweitern, um einen besseren Schutz für Radfahrende zu ermöglichen. Die Alternative zum Schutzstreifen ist nicht der ausgebaute Radweg – die Alternative ist: keinerlei Verbesserungen für den Radverkehr.

Alle Augen blicken auf den Ausbau- und Modernisierungspakt

Wir setzen insgesamt große Hoffnungen in den im Koalitionsvertrag angekündigten Ausbau- und Modernisierungspakt für den ÖPNV, der zwischen Bund, Ländern und Kommunen zur Verbesserung des ÖPNV geschlossen werden soll. Er muss auch eine finanzielle Unterlegung der On-Demand-Verkehre in den ländlichen Räumen beinhalten.

Selbstverständlich wollen wir uns dabei als Kommunen keinesfalls aus der Verantwortung stehlen. Wir haben vielmehr in der Vergangenheit erhebliche Beiträge zum Wohle des ÖPNV geleistet und werden das auch in Zukunft tun: Die kommunalen Eigenbeiträge zum ÖPNV sind in den vergangenen Jahren sehr dynamisch und stetig gestiegen – von rund drei Milliarden Euro im Jahr 2017 auf knapp 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2021. Das ist ein Anstieg um 36 Prozent. Bei den Landkreisen, die für den ÖPNV in der Fläche verantwortlich sind, sind die Eigenanteile sogar um 62 Prozent aufgewachsen.

2022 haben wir es mit weiteren Kostensteigerungen infolge der Energiekrise und der Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu tun. Und auch danach sind im bestehenden System weitere hohe Ausgabezuwächse zu erwarten, ohne dass nur ein Cent zusätzlich in Weiterentwicklungen und Angebotserweiterungen wie On-Demand-Verkehre oder ähnliches gesteckt werden könnte.

Gleichzeitig hat sich die Haushaltslage der Kommunen drastisch verschärft, und die Finanzen der Kommunen sind zudem bereits jetzt durch vielfältige andere Aufgaben und Herausforderungen angespannt (Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, Energiewende).

Dreh- und Angelpunkt Finanzierung

Nach der aktuellen Haushaltsprognose der kommunalen Spitzenverbände wird das kommunale Defizit im Jahr 2023 rund 6,4 Milliarden Euro betragen und in den Folgejahren auf jährlich nahezu 10 Milliarden Euro anwachsen. Insofern verschärft sich bei allen kommunalen Aufgaben die Prioritäten- und Ausgabenkonkurrenz.

Die erfolgte Erhöhung der Regionalisierungsmittel um eine Milliarde Euro zur Sicherung des Bestandsangebots und die Erhöhung der Dynamisierungsrate auf drei Prozent kommen dabei in den Kommunen kaum an; die Mittel fließen nahezu ausschließlich in den SPNV, der von den Ländern organisiert wird. Und auch die Mittel für das Deutschlandticket führen nicht zu einer Erhöhung der verfügbaren Mittel. Im Gegenteil: Die Tarifdeckelung durch das Deutschlandticket deckelt gleichzeitig die Möglichkeit, durch Fahrgeldeinnahmen zu Erlösen zu kommen.

Für uns war deshalb immer klar, dass wir einen Dreiklang brauchen: zuerst die finanzielle Absicherung des Bestandsverkehrs. Dann die Stärkung und der Ausbau des ÖPNV auch in der Fläche. Und schließlich das Nachdenken über Tarifmaßnahmen. Mit dem Deutschlandticket ist es anders gekommen, und die Reihenfolge wurde umgedreht. Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Kommunen die finanziellen Lasten und Risiken des Deutschlandtickets nicht übernehmen können.

Wir erwarten daher von Bund und Ländern eine Ausfinanzierung des Deutschlandtickets – von den Ländern durch einen gesetzlichen Anwendungsbefehl, der die Länder zum Ausgleich gegenüber den Kommunen verpflichtet (Konnexität), und vom Bund eine Nachschusspflicht – oder andere, die Ausfinanzierung sichernde Maßnahmen – auch für 2024 und die Folgejahre, da auch die Länder das Ausfallrisiko nicht allein tragen wollen.

Der Deutsche Landkreistag hofft, dass es darauf aufbauend dann bei dem von der Bundesregierung angekündigten Ausbau- und Modernisierungspakt zeitnah zu einer belastbaren Lösung für die grundlegenden und drängenden Finanzierungsfragen kommt. Anders wird sich das Versprechen des Deutschlandtickets nicht einlösen lassen.

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