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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Technik könnte Anschläge wie in Magdeburg oder New Orleans verhindern

Siegfried Brockmann, Geschäftsführer Verkehrssicherheit und Unfallforschung bei der Björn Steiger Stiftung
Siegfried Brockmann, Geschäftsführer Verkehrssicherheit und Unfallforschung bei der Björn Steiger Stiftung Foto: Foto: UDV

Terroranschläge mit Autos könnten verhindert werden. Die Technik dazu ist in modernen Fahrzeugen schon vorhanden. Es braucht den politischen Willen in Berlin und Brüssel. Die Vorschrift gehört in die General Safety Regulation der EU. Über deren Fortschreibung wird gerade diskutiert. Außerdem sollten die Hersteller solche Technik freiwillig schneller anbieten.

von Siegfried Brockmann

veröffentlicht am 07.01.2025

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Jetzt führen wir wieder die mehr oder weniger seriösen Debatten darüber, wie Anschläge mit Autos oder Lkw verhindert werden könnten. Das geht los mit der Suche nach Lücken im Sicherheitskonzept und endet in der Frage nach möglichen Vorzeichen beim Täter oder gar in der Migrationsdebatte. Was diese Beiträge eint: Alles ist schon bei vorherigen Taten gesagt worden, und ziemlich sicher wird sich auch dieses Mal die öffentliche Aufmerksamkeit schnell neuen Themen zuwenden, und es wird sich wieder nichts ändern.

Stattdessen schlage ich vor, mal darüber nachzudenken, ob die Technik verhindern könnte, dass Autos oder Lkw auf Menschen zuhalten. Meine Meinung: Aber sicher könnte sie das! Das hätte einige Vorteile: Erstens werden wir nie durch Absperrungen alles verhindern können. Zweitens hat es Amokfahrten oft und an anderen Stellen gegeben. Gerade erst in London, wo jemand nach einem Diskostreit in Menschen hineingerast ist. Und drittens hat es schon Tote durch medizinische Notfälle gegeben, wie vor einigen Jahren in der Berliner Invalidenstraße. Auch dort haben wir öffentlich breit über die Frage diskutiert, unter welchen Umständen man als Epilepsiepatient fahren darf, statt zu fragen, warum dieser Unfall überhaupt so geschehen konnte.

Sensoren und Kameras in vielen neueren Autos eingebaut

Dabei ist das, was wir brauchen, um das technisch zu verhindern, in vielen neueren Autos schon drin oder könnte drin sein: Radar-/Lidarsensoren und idealerweise zwei Kameras. Dann müsste die Software nur noch auf die entsprechenden Szenarien „angelernt“ und für diese Situationen ausgelegt werden. Und zwar, anders als der schon vorhandene Notbremsassistent, nicht übersteuerbar. Aus meiner Sicht jedenfalls kein Hexenwerk.

Insgesamt müssen wir wegkommen von den vielen individuellen Entscheidungen, die dieser große und gefährliche Gegenstand möglich macht. In jeder Produktionshalle, im Schienen- und Flugverkehr ist es selbstverständlich, das Prozesse so ausgelegt werden, dass individuelle Entscheidungen ihn so wenig wie möglich stören können. Warum lassen wir das beim Kraftfahrzeug zu? Hier kann jeder nach Gusto und Tagesform die Regeln missachten. Warum fordern nicht alle, die für die Vision Zero sind, mehr Eingriffe in die Autonomie?

Denn der Gedanke trägt ja weiter: Warum soll das Auto bei grober Tempoüberschreitung nicht eingebremst werden, warum unterbrechen wir die Zündung nicht, wenn der Fahrer alkoholisiert oder nicht angeschnallt ist? Irgendwie ist das Auto als Träger individueller Freiheitsrechte wohl (noch) unantastbar und kann so lange dann auch im Großen wie auch in den vielen „kleinen“ Aggressionstaten als Waffe eingesetzt werden.

Autohersteller argumentieren widersprüchlich

Kommen wir zur technischen Umsetzbarkeit: Die Hersteller behaupten allen Ernstes, solange Schilder schlecht lesbar und Spuren schlecht erkennbar seien, könne man das nicht machen. Im gleichen Atemzug beklagen sie sich über (angeblich) nicht vorhandene gesetzliche Grundlagen für autonomes Fahren. Wenn die nur da wären, könnte man sofort fahrerlos fahren, mindestens mal Taxi. Ja, liebe Industrie: Wenn das so ist, müsstet ihr ja das oben Geforderte mühelos umsetzen können, dann das wäre ja Voraussetzung für einen sicheren Betrieb. Entweder oder!

Sinnvoller Einwand: Das würde ja kurzfristig nicht helfen, da es nur über Neufahrzeuge auf die Straße kommt. Das ist korrekt, aber auch andere Assistenzsysteme, zuvorderst ESP und Abbiegeassistent, kamen nur langsam. Aber irgendwann, wenn die üblichen Vorschläge im Papierkorb des Vergessens gelandet sind, sind sie in allen Fahrzeugen drin und helfen. In Mietwagen, wie in Magdeburg und New Orleans, geht das übrigens sehr schnell.

Bei den genannten Assistenzsystemen haben wir in der Vergangenheit stets viel Zeit verloren. Immer brauchten wir Jahre, bis sich etwas politisch durchsetzt, und dann brauchen wir noch Jahre der Übergangsfrist für die Industrie. Zumindest Letzteres könnte hier sehr kurz ausfallen, denn die Technik existiert ja schon. Die Debatte muss in Brüssel geführt werden, die Vorschrift gehört in die sogenannte General Safety Regulation. Über deren Fortschreibung wird gerade diskutiert. Ich freue mich dabei über Mitstreiter, gerne auch von Bundesbehörden und Ministerien. Übrigens: Nichts hindert die Hersteller daran, solche Technik freiwillig auch schneller anzubieten.

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