Im Moment konferieren die Verkehrsminister:innen der deutschen Bundesländer. Auf der Tagesordnung stehen wichtige Themen: Können wir das Klima und die Menschen durch eine Begrenzung auf Tempo 30 schützen? Wie gehen wir mit Mobilitätsdaten um – strategisch, rechtlich, technisch und wirtschaftlich? Ist Mobilität mit dem Klimaschutz vereinbar, wenn die Straßen immer voller, lauter und stickiger werden? Wie können sich Radfahrer:innen und Fußgänger:innen sicher durch unsere Städte bewegen?
Dies sind nur einige der Fragen, die im Kontext der Verkehrswende gestellt werden. In der dazugehörigen gesellschaftlichen Debatte hagelt es Vorwürfe von Hardlinern aller Seiten: Die Fahrrad-, Fußgänger- und Klimaschutzlobby will am liebsten alle Autos aus den Städten verbannen. Ihre Argumente lauten: Verkehrsinfarkt, Luftverschmutzung und die vielen Verkehrstoten auf deutschen Straßen.
Die Autolobby hält mit Arbeitsplätzen, Wirtschaftskraft und Millionen von Menschen dagegen, die nicht an ihrem Ziel ankommen, weil der ÖPNV den Individualverkehr nicht ersetzen könne. Jede der Gruppen verfolgt dabei ihre eigenen Ziele. Ganz vergessen werden oft die Pendler:innen – hier mangelt es an attraktiven Angeboten für eine sinnvolle Kombination aus individual- und öffentlichem Verkehr wie zu Beispiel ausreichend gut angeschlossene Park & Ride-Anlagen.
Die Autos haben uns die Straßen gestohlen
Fakt ist: Die Autos haben uns die Straßen gestohlen. Wir müssen sie zurückerobern. Aber heißt das, dass wir Kraftfahrzeuge ganz aus den Städten verbannen sollten? Nein, das müssen wir nicht unbedingt. Denn es gibt eine Antwort auf die oben genannten Fragen und Argumente.
Lasst uns die Verkehrssysteme in den Städten digitalisieren. Eine intelligente und adaptive Verkehrssteuerung durch Digitalisierung bedeutet, dass wir den urbanen Verkehr so regulieren, dass alle gewinnen: der öffentliche Verkehr, Autofahrer:innen, Fahrradfahrer:innen sowie alle, die auf andere Weise mikromobil oder per pedes unterwegs sind. Hauptgewinner aber wird die Umwelt sein. Denn eine intelligente Verkehrssteuerung bedeutet: Weniger Staus, weniger Ausstoß von CO2 und NO2, saubere Stadtluft und mehr Sicherheit auf unseren Straßen für alle Verkehrsteilnehmer:innen.
Smarte Ampeln steuern Verkehr bedarfsgerecht
Wie das funktionieren kann, sehen wir am Beispiel Wiesbaden. Dort sorgt seit kurzem ein intelligentes Verkehrssystem für geregeltere Verkehrsflüsse und weniger Emissionen. Damit gehört die hessische Landeshauptstadt bald nicht mehr zu den 70 deutschen Städten, die wegen regelmäßiger Überschreitung des Stickstoffdioxid-Grenzwertes mit Dieselfahrverboten und anderen Strafmaßnahmen rechnen müssen. Und auch den 3. Platz am Treppchen der staureichsten Städte Deutschlands will Wiesbaden möglichst bald abgeben.
In Wiesbaden messen nun 50 Umwelt- oder Wettersensoren und etwa 400 Kameras Schadstoffe wie Stickoxid und Feinstaub sowie Wetterdaten, Verkehrsdichte und -typen: Wärmebildkameras an den Ampeln erkennen, ob ein Auto, Bus, Fahrrad oder Fußgänger auf Grün wartet. Stehen dort zum Beispiel Kinder, kann eine der 227 smarten Ampeln anhand dieser Daten selbständig die Grünphase verlängern, damit die Gruppe die Straße sicher überqueren kann.
Das intelligente Verkehrsmanagementsystem hat mein Unternehmen Yunex Traffic in Zusammenarbeit mit der Stadt Wiesbaden aufgebaut. Künstliche Intelligenz (KI) führt in der Verkehrszentrale der Stadt alle Daten und Systeme zusammen. So werden je nach Ort, Situation, Lage, Tageszeit, Wetter oder Umweltbelastung unterschiedliche Bedürfnisse beachtet und der Verkehr entsprechend gesteuert.
Der priorisierte ÖPNV muss immer schneller sein
Verkehrsleitsysteme wie in Wiesbaden können während der Rushhour den Autoverkehr, aber zum Unterrichtsende oder zu Zeiten, wenn Eltern ihre Kinder aus der Kita abholen, den Fußverkehr bevorzugt behandeln. Auch ÖPNV, Polizei oder Krankenwagen können priorisiert werden. Aus der Leitzentrale heraus werden dynamische Verkehrszeichen gesteuert, die Empfehlungen zu Geschwindigkeit und Straßennutzung geben. Das Resultat? Weniger Stau und geringere Emissionen im Stadtverkehr. Jede:r erreicht das eigene Ziel sicherer, schneller und gesünder. Die Lebensqualität in der Stadt steigt. Alle profitieren.
Fakt ist aber auch: Ganz ohne eine Verlagerung vom Individualverkehr zu mehr Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wird es nicht funktionieren. Unsere Straßen sind überlastet. Weiterhin alle Strecken mit dem Auto zurückzulegen – das wird nicht gehen. Die Lösung muss also ein schneller, zuverlässiger ÖPNV sein. In der Stadt darf sich die Frage „Öffi oder Auto“ nicht mehr stellen, weil der priorisierte ÖPNV immer schneller sein wird. Ohne Parkplatzsuche, ohne Stress, ohne schlechtes Gewissen.
Wenn wir unsere Städte digitalisieren, können wir urbanes Leben nachhaltig, freiheitlich, innovativ und lebenswert für alle gestalten. Niemand fährt weiterhin seinen ganz eigenen Ego-Trip, sondern das Ich wird zum Wir. Das Ego-System wandelt sich zum Eco-System.