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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Warum wir es uns nicht leisten können, keinen Hyperloop zu haben

Lucienne Krosse, Hyperloop-Expertin beim Europäischen Innovations- und Technologieinstitut EIT InnoEnergy
Lucienne Krosse, Hyperloop-Expertin beim Europäischen Innovations- und Technologieinstitut EIT InnoEnergy

Der Ausbau des Schienennetzes zur Verdreifachung des Güterverkehrs ist teuer und dauert lange. Würde man stattdessen Hyperloop-Röhren entlang von Autobahnen bauen, ließen sich Genehmigungsverfahren beschleunigen und günstigere Bau- und Betriebskosten realisieren. Das wirtschaftliche Potenzial ist gewaltig.

von Lucienne Krosse

veröffentlicht am 15.01.2024

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Aktuellen Prognosen zufolge wird sich der Personenverkehr in Europa bis zum Jahr 2050 verdoppeln, der Güterverkehr sogar verdreifachen. Gleichzeitig sollen bis dahin die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen um 90 Prozent sinken. Der Schienenverkehr, so der breite politische Konsens, muss dabei eine zentrale Rolle spielen.

Doch wie kann das in der Praxis funktionieren?

Beispiel Gütertransport: Im Jahr 2021 wurden rund 72 Prozent der Beförderungsleistung innerhalb Deutschlands auf der Straße, meist per Lkw, erbracht. Mit jeweils großem Abstand folgen die Bahn, mit 18,7 Prozent, und der Wasserverkehr mit 6,9 Prozent. 

Die einzige Möglichkeit, um die Kapazität des Schienennetzes signifikant zu steigern, liegt in einem massiven Ausbau. Allerdings dauerte es in Deutschland zuletzt im Schnitt 23 Jahre, eine neue (Teil-) Strecke von mehr als 30 Kilometern fertigzustellen. Rund 14 Jahre entfielen dabei auf die Genehmigungsverfahren. Hinzukommt, dass sich allein für die Bahn ein Investitionsbedarf von 88 Milliarden Euro bis 2027 aufgetürmt hat. 

Die Frage muss also lauten: Wie kann es schnell und kostengünstig gelingen, zusätzliche, klimafreundliche Transportkapazitäten zu schaffen?

Die logische Antwort auf diese Herausforderungen ist die Einführung eines neuen Modus für den Hochgeschwindigkeitsverkehr. Einer, der dazu beiträgt, den emissionsintensiven Individual- und Flugverkehr zu reduzieren und gleichzeitig massive Kapazitäten für den Güterzugverkehr freischaufelt. 

Kurzum, wir brauchen den Hyperloop! 

Hyperloop schafft massive Kapazität für Güterverkehr auf der Schiene 

Anders als oftmals angenommen, ist der Hyperloop gerade für den Personenverkehr von mittleren und langen Strecken ab rund 100 Kilometern sinnvoll.

Dank der Magnetschwebetechnik bewegen sich die Hyperloopkapseln in Vakuumröhren ohne nennenswerten Widerstand. Das minimiert Energieaufwand und Emissionen und ermöglicht es gleichzeitig, die Kapseln sehr schnell zu beschleunigen und wieder abzubremsen. Dadurch, und weil sich die Hyperloopkapseln (virtuell) miteinander koppeln lassen, werden vergleichbare Passagierkapazitäten wie im Hochgeschwindigkeitszugverkehr erreicht – bei viel höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten von 400 bis 500 km/h.

Noch wichtiger im Sinne der Dekarbonisierung ist folgende stark vereinfachte Rechnung: Weil ein ICE aufgrund seines langen Bremswegs rund neun Kilometer Strecke benötigt, ein Güterzug hingegen nur drei, entsteht für jeden nicht mehr benötigten ICE Platz für drei zusätzliche Güterzüge. Und jeder Güterzug wiederum nimmt durchschnittlich 52 Lkw von der Straße. 

Weniger Kosten, schnellere Fertigstellung

Damit dies rasch und wirtschaftlich gelingen kann, ist Folgendes entscheidend: Die oberirdischen Hyperloop-Röhren müssen gerade im dichtbesiedelten Europa vorwiegend entlang existierender Bundesverkehrswege mit bestehenden Wegerechten gebaut werden – meist entlang von Autobahnen. Die Anbindung an die Innenstädte erfolgt dann über Kreuzungspunkte mit dem öffentlichen Nahverkehr außerhalb der Zentren.

Auf diese Weise lassen sich nicht nur Genehmigungsprozesse radikal straffen. Es entfallen auch erhebliche Kosten und Zeitaufwand für den Landerwerb. So rücken Realisierungszeiten von rund fünf Jahren für Hyperloop-Projekte in den Bereich des Möglichen.

Geringere Gesamtkosten als Hochgeschwindigkeitszüge 

Dementsprechend sind die Baukosten (CAPEX) für Hyperloopstrecken vergleichbar mit denen für Hochgeschwindigkeitszugtrassen – zwischen 25 und 30 Millionen Euro pro Kilometer. Allerdings verschiebt sich das Kostenverhältnis zugunsten des Hyperloop, je mehr Brücken und Tunnel auf der Strecke benötigt werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Hyperloop „schlank“ unterwegs ist, also mit vergleichsweise engen Tunneln und kleineren Brücken auskommt.  

Wegen seines hohen Automatisierungsgrads, des geringen Energieaufwands und des minimalen mechanischen Verschleißes sind überdies weitaus niedrigere Betriebskosten realistisch.

Auch deshalb lassen sich Hyperloop-Projekte nicht nur ohne Subventionen privat finanzieren, sondern dies auch rentabel, mit kurzen Amortisationszeiten.

Schnell rentabel – ohne Subventionen

Ein Rechenbeispiel: Die Autobahnverbindung zwischen den Flughäfen Wien und Bratislava ist chronisch überlastet. Für den Bau einer 74 Kilometer langen Doppelröhre entlang der Autobahn würden pro Kilometer nach aktuellen Berechnungen von EIT InnoEnergy rund 27,5 Millionen Euro anfallen. Die gesamten Investitionen beliefen sich auf gut 3,6 Milliarden Euro, die jährlichen Betriebskosten auf rund 180 Millionen Euro.

Selbst mit einer moderaten durchschnittlichen Auslastung von nur 30 Prozent und Ticketpreisen von zehn Euro wären die Investitionen schon nach rund zehn Jahren wieder reingeholt.

Erhebliche Fortschritte bei europäischen Hyperloopunternehmen

Auch die jüngsten Fortschritte insbesondere bei europäischen Hyperloopunternehmen geben Anlass zur Hoffnung. So haben sich bereits im Februar mehrheitlich Firmen aus Europa zum weltweit ersten Hyperloop-Verband zusammengeschlossen, um gemeinsame Standards zu erarbeiten. Zudem konnten mehrere Unternehmen, darunter Hardt, Zeleros und Nevomo, zuletzt Millionenfinanzierungen einsammeln, um ihre Technik weiterzuentwickeln und eigene Teststrecken zu bauen. Dennoch muss bis zur Kommerzialisierung noch eine Menge passieren. 

Ehemalige Transrapidstrecke als Hyperloop-Kompetenzzentrum?

Der Flaschenhals schlechthin, um das „Betriebssystem“ zur Marktreife zu bringen, sind geeignete, ausreichend lange Teststrecken. Sollen in absehbarer Zeit auch Personen per Hyperloop transportiert werden, muss dieser nicht nur sämtliche Betriebszustände bei voller Geschwindigkeit sicher beherrschen – wie Kurvenfahrten oder Spurwechsel. Er muss auch für alle Extremsituationen gewappnet sein, darunter Notbremsungen und Evakuierungen im Katastrophenfall. 

Den notwendigen Vertrauensvorschuss muss sich der Hyperloop erst noch verdienen. Hierbei könnte uns ein Umstand mit tragischem Hintergrund zugutekommen. Infolge des Transrapidunglücks von 2006 liegt die ehemalige Teststrecke im niedersächsischen Lathen seit vielen Jahren brach. Mit einer Länge von 32 Kilometern, einem weltweit wohl einzigartigen Streckenprofil und bestehender Infrastruktur bietet Lathen perfekte Ausgangsbedingungen für ein globales Hyperloop-Kompetenzzentrum. Den politischen Willen und die notwendigen Mittel vorausgesetzt.

Ein globaler Markt von bis zu 1,18 Billionen – pro Jahr!

Das ist auch aus einem anderen Grund entscheidend. Bislang tüfteln die kommerziellen Hyperloopentwickler an teils sehr unterschiedlichen Systemen. Damit ein industrielles „Ökosystem“ entstehen kann, müssen diese jedoch kompatibel sein. Zulieferer wie Thyssen, Siemens und Alstom brauchen klare und einheitliche Standards. 

Das wirtschaftliche Potenzial von Hyperloop ist gewaltig. Aktuelle Schätzungen gehen bis 2050 von einem möglichen deutschen Gesamtnetz von 10.000 Kilometern aus. In Europa kämen weitere 50.000 Kilometer hinzu, dazu weltweit nochmal über 100.000. Dementsprechend läge das globale Umsatzpotential bei bis zu 1,18 Billionen Euro – pro Jahr. 

Die damit verbundenen Chancen sollten sich Deutschland und Europa nicht entgehen lassen! 

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