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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Was gegen Mobilitätsungerechtigkeit getan werden kann

David Duran, Leiter der Forschungsgruppe Mobility Justice an der Technischen Universität München und Projektverantwortlicher bei MCube
David Duran, Leiter der Forschungsgruppe Mobility Justice an der Technischen Universität München und Projektverantwortlicher bei MCube Foto: MCube

Vor allem in städtischen Randgebieten herrscht Transportarmut, zeigt ein für München entwickelter Mobilitätsatlas. Doch schon kleine Veränderungen im öffentlichen Raum können die soziale Teilhabe und Lebensqualität erhöhen.

von David Duran

veröffentlicht am 19.02.2024

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In unserer Zeit erleben wir bahnbrechende technologische Entwicklungen, die von Künstlicher Intelligenz über medizinische Innovationen bis hin zu Neuerungen in der Mobilität, wie autonomes Fahren und Sharing-Dienste, reichen. Diese Fortschritte bergen das Potenzial, unseren Alltag grundlegend zu verändern. Doch in den Debatten um diese Fortschritte liegt der Fokus oft einseitig auf den technischen Aspekten, während das Potenzial, diese Innovationen von Beginn an sozial gerecht zu gestalten, weniger Beachtung findet. Es stellt sich die Frage, wie wir Technologien so entwickeln können, dass sie gesellschaftliche Auswirkungen von Anfang an berücksichtigen.

Die technologische Wende macht die Auseinandersetzung mit Mobilitätsgerechtigkeit dringlicher denn je. Was definiert „gerechte“ Verkehrsplanung? Wie können Mobilitätsangebote gestaltet werden, damit sie für alle zugänglich sind, unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel? Der vom Bundesforschungsministerium geförderte Zukunftscluster MCube an der TU München stellt diese Frage ins Zentrum seiner Aktivitäten. Ziel ist es, Mobilitätskonzepte zu entwickeln, die jedem zugutekommen und individuelle Freiheiten fördern.

Soziale Teilhabe als Planungsgrundlage

Die Debatte über Mobilität und Gerechtigkeit wirft eine entscheidende Frage auf: Warum ist soziale Teilhabe in der Verkehrsplanung so wichtig? Trotz wachsender Anerkennung von Mobilitätsgerechtigkeit und der Einbeziehung benachteiligter Gruppen in sozialwissenschaftlichen Feldern, mangelt es an deren Präsenz in der praktischen Planung. In städtischen Richtlinien bleiben diese Konzepte oft nur leere Versprechen.

Eine gerechte Verkehrsplanung muss die Bedürfnisse aller Gesellschaftsmitglieder berücksichtigen – von Kindern, die besonders Schutz brauchen, über ältere Menschen mit limitierter Mobilität bis zu Personen mit Behinderungen oder Sprachbarrieren. Dies erfordert einen Ansatz, der über neue Technologien hinausgeht und die Bedürfnisse aller Nutzer in den Mittelpunkt stellt, um nicht nur die Mobilität, sondern auch die Lebensqualität für jeden zu verbessern.

Im MCube Projekt Mobilitätsgerechtigkeit in Metropolregionen (MGeM) arbeiten wir intensiv an der Aufdeckung und Umsetzung von Mobilitätsungerechtigkeit. In enger Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung, dem Department of Social Sciences and Technology der Technischen Universität München (TUM) und dem Beratungsbüro Experience Consulting (eco) zielen wir darauf ab, Mobilitätsgerechtigkeit nicht nur theoretisch zu erforschen, sondern auch praktische Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, die das Leben in der Metropolregion München für alle verbessern. Im Kontext des MGeM-Projekts verfolgen wir zwei Strategien zur Förderung der Mobilitätsgerechtigkeit:

Mobilitätsgerechtigkeitsatlas: Einblick in Münchens Ungleichheiten

Wir haben einen Mobilitätsgerechtigkeitsatlas entwickelt, ein geodatenbasiertes Instrument, das Ungleichheiten in Münchens Mobilitätsangebot aufdeckt. Der Atlas nutzt städtische Daten und Umfrageergebnisse, um zu zeigen, wie unterschiedlich der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln und grundlegenden Dienstleistungen für diverse Bevölkerungsgruppen ist, darunter Ältere, Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund. Die Ergebnisse verdeutlichen besonders die Transportarmut in Randgebieten im Gegensatz zu den gut angebundenen Zentralbereichen. Solche Erkenntnisse sind essenziell für Entscheidungsträger, Mobilitätsaktivisten und die Öffentlichkeit, um gerechtere Mobilitätskonzepte zu entwickeln.

Die bloße Identifizierung von Ungerechtigkeiten ist nur der erste Schritt; wir setzen auch konkrete Verbesserungsmaßnahmen um. Unser Pilotprojekt findet am Piusplatz statt, einem Quartier, eingebettet zwischen genossenschaftlichem Wohnungsbau aus den 1920er-Jahren und dem modernen, kreativen Flair des benachbarten Werksviertels, zeichnet sich durch eine facettenreiche soziale und kulturelle Vielfalt aus – von älteren Bewohner*innen und Menschen, die konkret von Armut betroffen sind bis hin zum urbanen Hipster.

In der Anfangsphase des Projekts sammelten wir durch Dialogformate wie Pop-up-Aktionen und Spaziergänge Einblicke in die Bedürfnisse der Anwohner. Daraus entwickelten wir Maßnahmen wie zusätzliche Sitzgelegenheiten und Sportangebote, die die soziale Teilhabe und Lebensqualität vor Ort erheblich steigern. Wir haben erkannt, dass selbst kleine Änderungen im öffentlichen Raum einen großen Einfluss auf die soziale Teilhabe und Lebensqualität haben können. So zeigten Rückmeldungen wie der Wunsch nach einem Fußballtor oder mehr Sitzbänken, wie bedeutend diese Veränderungen für die Gemeinschaft sind.

Zukunft gemeinsam gestalten

Das Projekt unterstreicht nachdrücklich, wie wichtig es ist, Mobilitätsungleichheiten auf politischer Ebene zu adressieren. Mit unserem Mobilitätsgerechtigkeitsatlas und Projekten wie dem am Piusplatz haben wir deutlich gemacht, wo es an gerechter Mobilität mangelt und wie zielgerichtete Maßnahmen diese Lücken schließen können. Dieser Aufruf richtet sich insbesondere an politische Entscheidungsträger*innen, die gewonnenen Einsichten für die Schaffung einer inklusiven Mobilität zu nutzen und sicherzustellen, dass technologischer Fortschritt Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit geht.

Um nun echte Veränderung in der Breite zu ermöglichen, müssen diese Erkenntnisse skaliert werden. Der digitale Mobilitäts(un)gerechtigkeitsatlas wird auf 20 weitere Städte ausgeweitet und konkrete, kleine Verbesserungen in einem offenen Instrumentenkasten für Stadtplaner*innen und Nachbarschaften zur Verfügung gestellt werden. Von der Lowtech-Variante der Nachbarschaftsbänke bis hin zum digitalen Planungstool für geteilte Nachbarschaftsmobilität. Die technologischen Voraussetzungen haben wir, wir müssen sie nur konsequent auf die wirklichen sozialen Herausforderungen ausgerichtet anwenden. Dann kann es etwas werden mit der Mobilitätswende.

Co-Autorenschaft: Jessica Le Bris von der Experience Consulting GmbH und MCube Managing Director Oliver May-Beckmann. Am 22. Februar wird der Mobilitätsgerechtigkeitsatlas bei den MCube Speaker Series im Deutschen Verkehrszentrum in München vorgestellt. 

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