Standpunkte Wie das Sondervermögen für mehr Sicherheit sorgen kann

Deutschland braucht Tempo – im Interesse seiner Wirtschaft und dem Erreichen der Klimaziele sowie zur Wahrung seiner Sicherheit. Die Modernisierung der essenziellen Infrastruktur ist daher zentral. Die 500 Milliarden Euro Sondervermögen allein werden nicht reichen. Es gibt erprobte Methoden, mit denen die Verwaltung wichtige Projekte deutlich schneller realisieren kann.
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Jetzt kostenfrei testenSicherheitsexperten fordern regelmäßig, dass Deutschland in der Lage sein muss, im Verteidigungsfall als militärische Drehscheibe zu funktionieren – mit intakten Straßen, Brücken und Schienen sowie mit robusten Energie- und Kommunikationsnetzen, die Resilienz ermöglichen.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Ein Viertel der Autobahnbrücken ist marode. Mehr als 17.000 Kilometer Eisenbahnstrecke gelten als sanierungsbedürftig. Und selbst bei kritischen Projekten vergeht zu viel Zeit zwischen der Diagnose „dringender Handlungsbedarf“ und der tatsächlichen Umsetzung. Das Sondervermögen Infrastruktur eröffnet nun die historische Chance, diesen Investitionsrückstand gezielt aufzuholen. Aber das Geld allein wird nicht reichen. Investitionen auf dem Papier bringen keine Brücken, Schienen oder Sicherheit.
Es geht um die entscheidenden Projekte
Nicht jedes Bauvorhaben muss beschleunigt realisiert werden. Aber bei Vorhaben der essenziellen Infrastruktur – also überall dort, wo Sicherheit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Dekarbonisierung auf dem Spiel stehen – muss die öffentliche Hand in der Lage sein, kurzfristig Ergebnisse zu schaffen. Die methodischen Grundlagen sind vorhanden – in Leitfäden, Gutachten und Pilotprojekten liegt viel erprobtes Wissen bereit. Was fehlt, ist die Anwendung.
Das geltende Planungs-, Vergabe- und Baurecht erlaubt schon heute schnellere Verfahren, flexiblere Modelle und frühzeitige Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Der Ruf nach immer neuen Gesetzen verkennt aber die eigentliche Herausforderung: Die Verwaltung arbeitet mit Praxishinweisen, die auf Standardprojekte zugeschnitten sind – nicht auf strategische Vorhaben unter Zeitdruck. Die Gesetzgebung ist hier klar. Es gilt, das benötigte Handlungswissen zu erwerben und einzusetzen.
1. Governance: Projektmodus statt Linienstruktur
Kritische Projekte brauchen klare Verantwortung, definierte Ziele, schnelle Entscheidungen. In der Verwaltung ist derzeit die Linienstruktur vorherrschend – mit geteilten Zuständigkeiten, fehlenden Weisungsrechten, langen Abstimmungswegen. Für sicherheitsrelevante Infrastruktur bedarf es hier einer Beschleunigung.
Stattdessen braucht es eine Projektorganisationsstruktur: mit projektbezogener Leitung, transparenter Zielhierarchie, abgesichertem Risikomanagement und echtem Projektcontrolling. Der Bund hat etwa in dem Leitfaden Großprojekte bereits den Rahmen für Projektorganisationsstrukturen beschrieben – jetzt sind Bund, Länder und Kommunen gefragt, ihn auf zentrale Vorhaben anzuwenden.
2. Planung beschleunigen – mit digitalen Mitteln
Online-Konsultationen, Video-Erörterungen, genehmigungsfreie bauvorbereitende Maßnahmen, private Projektmanager als Verwaltungshelfer: All das ist längst möglich – wird aber zu selten genutzt. Künstliche Intelligenz kann zusätzlich Verfahren beschleunigen, indem sie Unterlagen prüft, Einwendungen vorsortiert und Beteiligungsbedarfe identifiziert. In sicherheitsrelevanten Fällen muss gelten: Was möglich ist, wird gemacht – ohne den Menschen als letzte Kontrollinstanz zu ersetzen.
3. Baukompetenz früher einbinden
Die klassische Trennung von Planung und Bau verhindert, dass das Know-how der Bauwirtschaft in den Prozess einfließt – mit der Folge von Zeitverlusten, Nachträgen und suboptimaler Logistik. Dabei gibt es längst funktionierende Alternativen: funktionale Leistungsbeschreibungen, Zwei-Phasen-Modelle oder Allianzverträge.
Wer Projekte wirklich beschleunigen will, muss Bauunternehmen früher an den Tisch holen. Das ist vergaberechtlich zulässig und wirtschaftlich sinnvoll – besonders bei komplexen oder systemrelevanten Vorhaben.
4. Generalunternehmer ermöglichen – wo es sinnvoll ist
Die gewerkeweise Vergabe ist kein Dogma – schon gar nicht bei strategischer Infrastruktur. Dort, wo Nachhaltigkeit, Zeitdruck oder Betrieb komplex ineinandergreifen, kann eine Generalunternehmervergabe Zeit, Geld und Kapazitäten sparen. Sie ist auch für mittelständische Anbieter zugänglich – sofern die Vergabeziele klug formuliert und Konsortien zugelassen sind.
5. Vergabeverfahren effizient aufsetzen
Die lange Dauer von Vergaben – teilweise Monate oder Jahre – ist meist auf interne Abstimmung, unklare Rollen und fehlende Planung zurückzuführen. Dabei lassen sich selbst komplexe Verhandlungsverfahren in drei bis vier Monaten erfolgreich abschließen. Voraussetzung: Projektmanagement, Klarheit, Terminverbindlichkeit.
6. Partnerschaftliche Verträge stärken
Wenn alle Beteiligten dasselbe Ziel verfolgen – etwa die rechtzeitige Inbetriebnahme eines Krankenhauses, einer Schule oder eines Schienennetzes – sollten auch die Verträge dieses gemeinsame Ziel abbilden. Dazu gehören: Informationspflichten, Anreize für Qualität und Tempo (etwa durch Beschleunigungsprämien) und Mechanismen zur Streitvermeidung. Auch das ist längst erprobt – muss sich in der Umsetzung aber noch durchsetzen.
Neue Governance muss zur Regel werden
Das Sondervermögen ist eine historische Chance. Es darf nicht an Prozessen scheitern, die für andere Zeiten gemacht wurden. Was heute noch als „Ausnahmeprojekt“ gilt, muss bei Vorhaben der essenziellen Infrastruktur zur Regel werden: neue Governance, neues Beschaffungsdenken, neues Umsetzungstempo.
Die rechtlichen Grundlagen liegen vor. Jetzt kommt es auf die handelnden Stellen an – in Bund, Ländern und Kommunen. Hier wäre es vorteilhaft, wenn aus dem Linienmodus in den Projektmodus gewechselt würde. Damit aus dem Sondervermögen ein echter Sicherheitsgewinn werden kann.
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