Ende August ist die EU-Durchführungsverordnung 2022/1426 in Kraft getreten. Sie regelt für Europa, ähnlich wie das deutsche Gesetz zum automatisierten Fahren, den Betrieb von automatisierten Fahrzeugen, die nicht allen verkehrlichen Situationen gewachsen sind, sondern nur in eingeschränkten Szenarien funktionieren. Diese Fahrzeuge werden auch als Fahrzeuge der vierten Automatisierungsstufe (Level 4) bezeichnet.
Sind heute auf unseren Straßen überhaupt nur wenige automatisierte Fahrzeuge im Rahmen von Tests mit Sicherheitsoperatoren unterwegs, so können auf Grundlage der Durchführungsverordnung von Betreibern respektive Herstellern zukünftig jeweils bis zu 1500 Level 4-Fahrzeuge in der ganzen EU eingesetzt werden. Mehrere Betreiber können gleichzeitig in den Mitgliedsstaaten operieren; diese Verordnung ist also ein veritabler Game Changer.
Die Verordnung räumt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit ein, das Inverkehrbringen und die Sicherheit des Betriebs der Fahrzeuge zu regeln. Fahrtenschreiber werden diskutiert und auch die Festlegung von Betriebsgebieten oder Betriebszeiten ähnlich wie das im deutschen Gesetz der Fall ist.
Mehr Sicherheit, weniger Energieverbrauch
Aktuell ist die Debatte um die Durchführungsverordnung vor allem von Fragen der Verkehrssicherheit dominiert. Frankreich hat beispielsweise bereits ein Dekret erlassen, das Anforderungen an eine technische Aufsicht, die im Falle von Zwischenfällen mittels remote-intervention eingreifen kann, festlegt.
Das Thema der Verkehrssicherheit ist sicher der zentrale Punkt bei der Implementierung von Level-4-Fahrzeugen. Niemand würde sich wünschen, dass eine unsichere Technologie in dieser Menge im öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt wird. Den Pfad in eine Zukunft, in der automatisierte Fahrsysteme zum Straßenbild gehören, nur unter diesem Aspekt zu zeichnen, ist allerdings bei Weitem zu kurz gegriffen.
Der Mobilitätssektor befindet sich in einer Umbruchsphase. Das hat vielerlei Gründe, vor allem aber ist klar, dass der Energieaufwand drastisch reduziert werden muss. Faktisch alternativlos, muss also Automatisierung dazu beitragen, dass städtische sowie nationale Ziele im Verkehrs- und Mobilitätsbereich erreicht werden. Ebenso ist evident, dass es Regelungen braucht.
Aktuell ist es die mediale Diskussion um die Wirkungen von Level 4-Fahrzeugen von GM Cruise in San Francisco, die die Relevanz solcher Regelungen aufzeigt. GM Cruise setzt in Form eines Ride-Hailing-Service bislang rund 100 solcher Fahrzeuge ohne Fahrer:innen – sogenannte Robotaxis – ein, beabsichtigt aber, zeitnah auf bis zu 5000 Fahrzeuge zu erweitern.
Vielfach durchgeführte Simulationen zeigen jedoch eindeutig, dass nicht reguliertes und primär individuell genutztes automatisiertes Fahren (also dann, wenn Fahrten nicht zu einem sehr hohen Grad geteilt werden) zu erheblichem Mehrverkehr führt. Bereits in der Vergangenheit konnte man in San Francisco während des weitestgehend ungeregelten Betriebs von Fahrtdiensten wie Uber und Lyft, die zwar mit Fahrern unterwegs sind, aber ebenso einen Ride-Hailing-Service betreiben, einen Anstieg der gefahrenen Kilometer erkennen.
Automatisierung ändert Wertschöpfungsketten
Nicht in der Durchführungsverordnung selbst, sondern in der begleitenden Begründung, legt die Europäische Kommission dar, dass zwar vor allem der Einsatz von automatisierten Fahrzeugen im Sinne von automatisierten Shuttlebussen, letzte Meile-Verkehren oder Robotaxis im Sinne eines Ride-Hailing-Service gefördert werden soll. Wenigstens für den letztgenannten Anwendungsfall sind jedoch hoch kritische verkehrliche Wirkungen in Simulationen nachgewiesen worden. Wir sollten nicht außer Acht lassen, was an diesem entscheidenden Punkt auf dem Spiel steht: Sobald sich Automatisierung im Straßenverkehr durchsetzt, wird sich das Verkehrssystem, die Straßen und auch alle damit verbundenen Wertschöpfungsketten grundlegend wandeln.
Auch wenn der Hype um automatisiertes Fahren nun etwas nachgelassen hat und die Diskussionen über die Wirkungen weniger im Bewusstsein sind, wäre es dreist anzunehmen, dass das nicht der Fall sein wird. Dementsprechend müssen die nächsten Schritte bei der Implementierung von Level-4-Fahrzeugen mit besonderer Sorgfalt vorbereitet werden.
Betriebsgebiete, die ausgewiesen werden, müssen sicher sein. Sie müssen allerdings auch evidenzbasiert so geplant werden, dass automatisierte Fahrzeuge so eingesetzt werden, dass sie den öffentlichen Verkehr wie auch die aktive Mobilität sinnvoll dort ergänzen, wo es Schwächen gibt – beispielsweise in städtischen Randlagen oder im ländlichen Raum. Außerdem sollte klar sein, dass wir über viele nachgelagerte Effekte aktuell nur spekulieren können. Deswegen sollte in jedem Betriebsgebiet nicht nur die Verkehrssicherheit überwacht werden, sondern unter anderem auch die verkehrlichen, räumlichen, Umwelt- und sozioökonomischen Wirkungen.
Zusätzlichen Energiebedarf vermeiden
Automatisierte Fahrzeuge können und müssen ein Baustein eines nachhaltigen Verkehrssystems sein. Dies wird jedoch nicht automatisch passieren. Die Faktenlage hierzu ist eindeutig. Es braucht eine geordnete Einführung und Begleitung sowie eine umfassende Evidenz zu direkten und nachgelagerten Effekten (und ggf. eine entsprechende Adaptierung des Betriebs), um Wirkungen wie einer Erhöhung der zurückgelegten Kilometer sowie einer Ersetzung der Wege im ÖPNV statt einer Ergänzung des ÖPNV entgegenzuwirken und einen Beitrag zur Mobilitätswende zu erreichen.
Am Beginn des 21. Jahrhunderts können wir uns es als Gesellschaft nicht leisten, ein Verkehrsmittel einzuführen, das sicher zu zusätzlichem Energiebedarf führt. Stattdessen sollte automatisierte Mobilität einen zentralen Beitrag für die Mobilitätswende leisten – für ein Mehr an umweltfreundlichen Angeboten, für bessere Zugänglichkeit und an spezifischen Bedarfen von Zielgruppen und räumlichen Dimensionen ausgerichtet. So entsteht dann echter Mehrwert und auch Wertschöpfung.
Co-Autoren dieses Beitrags sind Mathias Mitteregger und Martin Russ (beide AustriaTech)