Am Sonntag wurde im TV-Duell zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz auch das Thema Eisenbahn für immerhin eine Minute angesprochen. Als Scholz sich gegen eine Trennung von Netz und Betrieb starkmachte, ging ihm einiges durcheinander. Zum einen deutete er an, dass „alle, die Eisenbahn in Deutschland machen“, gegen diese Trennung seien. In dieser Drastik ist das natürlich Unsinn, immerhin vertreten wir als Die Güterbahnen 56 Prozent des Marktes im Schienengüterverkehr und unterstützen eine Trennung – viele andere in der Branche tun das ebenfalls.
Zum anderen sprach er davon, dass die Union „das Ding auseinanderhauen“ wolle – „das Ding“ meint in diesem Kontext den integrierten DB-Konzern. Wenn es um Reformen bei der Deutschen Bahn geht, kämpft eine Seite rhetorisch mit härteren Bandagen. Wörter wie „auseinanderhauen“ oder auch „zerschlagen“ tauchen gern bei jenen auf, die sich gegen jede Reform beim DB-Konzern zur Wehr setzen.
Doch nähern wir uns dem Begriff „Zerschlagung“ einmal über seine reine Grundbedeutung: Er beschreibt die vollständige oder gewaltsame Auflösung, Trennung oder Vernichtung eines bestehenden Systems, Gebildes oder Zustands. In materieller Hinsicht kann man Glas, Keramik oder Holzscheite zerschlagen. Träume können zerschlagen werden, Schmugglerringe, die Mafia und ja, auch die Kritische Theorie mit ihrem berühmten Vertreter Michel Foucault spricht über die Zerschlagung bestehender Denk- oder Herrschaftssysteme und meint die Notwendigkeit, festgefahrene Ordnungen zu durchbrechen oder radikal zu reformieren.
Der Begriff soll im Kopf Radikalität erzeugen
Was der Begriff im Kopf erzeugen soll, ist Radikalität. Ist es das, was Befürworter:innen von Reformen beim DB-Konzern sind – Radikale? Wir haben uns einmal die gängigsten Argumente der Reformgegner:innen angeschaut und möchten eine Lanze brechen: für Austausch und gegen pauschale Ablehnung von Reformen. Und ganz wichtig: für rhetorische Abrüstung.
1. „Es gibt in Europa keine Positivbeispiele ohne integrierten Konzern. Die Privatisierung der Schieneninfrastruktur in Großbritannien hat das große Chaos auf der Schiene erst ausgelöst.“
Beides nicht korrekt: In Ländern mit mehr Wettbewerb auf der Schiene sind die Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis für Kund:innen besser als in Ländern, in denen (nahezu) allein die staatlichen integrierten Bahnunternehmen den Schienenverkehr repräsentieren. In Ländern, in denen integrierte Unternehmen als Erfolgsgeschichte herangezogen werden, wie der Schweiz und Österreich, gibt es aber eine deutlich bessere Governance. Der Staat sorgt hier mit besserer Steuerung und darüber hinaus mit mehr Mitteln für einen besseren Zustand der Schieneninfrastruktur.
Das Beispiel Großbritannien ist zudem für die deutsche Diskussion nahezu irrelevant. Dort wurde die Schieneninfrastruktur privatisiert. Anschließend konnte man zuschauen, wie das verantwortliche Unternehmen Railtrack praktisch alle Klischees erfüllte, wenn man gewinnorientiert mit Infrastruktur umgeht. Nachdem jedoch Fehler eingestanden wurden, entwickelte man das System weiter: zu einer unabhängigen und gemeinnützigen Infrastrukturgesellschaft, heute die Network Rail. Nicht die Trennung von Netz und Betrieb war das Problem, sondern die Privatisierung.
Eine solche Privatisierung hat in Deutschland niemand gefordert, als Verband lehnen wir sie explizit ab und sie ist nach Artikel 87 e des Grundgesetzes sogar untersagt. Wir fordern, die bisherige Aktiengesellschaft DB InfraGO AG in eine bundeseigene GmbH zu überführen, also aus dem gewinnorientierten DB-Konzern herauszulösen. Diese soll sich dann gemeinwohlorientiert der staatlichen Aufgabe der Schieneninfrastruktur widmen – effizient, gewinnfrei und unabhängig von der Einflussnahme des DB-Konzerns.
2. „Nicht der integrierte Konzern ist das Problem, sondern dass der Bund zu wenig Geld bereitstellt. Mehr Geld beseitigt die Probleme beim Konzern.“
Es stimmt, dass der Bund andere Verkehrsmittel viel stärker als die Schiene unterstützt und seine finanziellen Verpflichtungen unter anderem aus der Bahnreform nicht eingehalten hat. Hier besteht auch weiterhin Nachholbedarf.
Die Produktivitätskennzahlen und die Entwicklung der Verschuldung der DB AG zeigen jedoch, dass mehr staatliches Geld kein verkehrliches Wachstum der Schiene garantiert. Immer mehr Geld in ein ineffizientes System zu schleusen, beseitigt die Ineffizienz nicht. Geld allein bietet dem Eigentümer keine stärkere Kontrolle, wenn der Konzern sich der politischen Steuerung immer wieder entzieht. Konzernintern ist die Steuerung der völlig unterschiedlichen Aufgaben „Infrastruktur“ und „Verkehrsangebote“ vermengt, auch das trägt zum Problem fehlender Kontrolle bei und ließe sich durch eine saubere Trennung angehen.
Als Verband raten wir von Entweder-Oder-Lösungen ab, die nur mehr Geld oder nur Reformen beim DB-Konzern im Sinn haben. Es wird beides brauchen, wenn wir die komplexen Probleme bei der Schiene lösen wollen – einfache Antworten sind selten die richtigen.
3. „Eine Reform ist notwendig, aber jetzt ist nicht die Zeit dafür! Umstrukturierungen stören die Umsetzung der Netzsanierung und legen das Unternehmen lahm.“
Ein Argument so alt wie die Idee einer Reform selbst. Wenn „jetzt nicht die Zeit ist“, wäre die Alternative, so weiterzumachen wie bisher. Durch eine Reform und Organisationsmodernisierung mag Aufwand entstehen, doch ihre Unterlassung verursacht noch größere Schäden und zieht die Probleme, wie bereits seit Jahren, immer weiter in die Länge. Verändern müssen sich bei der Schieneninfrastruktur Ziele, Strategien und Prozesse – das geht auch „unter dem rollenden Rad“: Sodass während der Umwandlung Betrieb sowie Sanierung und Ausbau von Netz und Bahnhöfen ohne Abstriche weiterlaufen können.
Wenn sich das Argument „jetzt nicht!“ schon immer durchgesetzt hätte, hätten wir noch immer eine Eisenbahn-Verwaltung aus der Kaiserzeit.
4. „Die mit der DB InfraGO AG begonnene Reform muss erst einmal ins Laufen kommen und dann weiterentwickelt werden.“
Achtung, Nebelkerze! Es gibt überhaupt keine „begonnene Reform“, da es weder ein gesetzlich noch durch Beschluss des Bundestages festgelegtes Ziel einer Reform gibt. Auch eine Eigentümerstrategie des Bundes fehlt noch immer. Was passiert ist: Es wurden kleine Satzungsänderungen vorgenommen, in denen nicht numerisch bezifferte „weiche“ Ziele formuliert wurden, die jedoch keinerlei Bindung oder externer Überprüfung unterliegen. Ein Handschlag, der diese Ziele besiegelt, wäre nicht weniger verbindlich gewesen.
Es haben sich mit der 2022 angekündigten Verschmelzung der zwei DB-Aktiengesellschaften für Netz und Bahnhöfe zur DB InfraGO AG auch keine spürbaren Veränderungen ergeben: Die Qualität der Schieneninfrastruktur und die Produktivität sinken ungebremst weiter.
5. „Der Konzern muss wegen des arbeitsplatzsichernden konzerninternen Arbeitsmarkts erhalten bleiben, der eine Weiterbeschäftigung auch beim Verlust eines bisherigen Arbeitsplatzes sichert.“
Auch hier werden Ängste geschürt, die einer praktischen Überprüfung nicht standhalten: Es gibt in der Branche praktisch kein Risiko eines Arbeitsplatzverlusts aufgrund von etwaigen Personalabbau-Maßnahmen – der Fachkräftemangel ist viel zu groß, Eisenbahnverkehrsunternehmen suchen permanent gut ausgebildetes Personal. Grundsätzlich ist beim politisch erwünschten Wachstum des Schienenverkehrs sogar mit zusätzlichem Personalbedarf zu rechnen.
Als Verband möchten wir die Gegner:innen von Reformen bei der Deutschen Bahn ermutigen, mit uns ins Gespräch zu kommen und die Diskussion nicht durch brachiale Rhetorik zu vergiften. Als Branche können wir nur etwas bewegen, wenn wir gemeinsam für Verbesserungen eintreten. Eine wäre für uns, dass das Wort „Zerschlagung“ in der Mottenkiste verschwindet.