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Standpunkte Berliner Reparaturbonus: Symbolpolitik auf Kosten der Nachhaltigkeit

Tim Seewöster, Geschäftsführer des Start-ups „As good as new“
Tim Seewöster, Geschäftsführer des Start-ups „As good as new“ Foto: As good as new

Berliner:innen können derzeit einen sogenannten Reparaturbonus für ihre kaputten Handys, Laptops oder Waschmaschinen beantragen. Ein ähnliches Konzept gibt es bereits in Sachsen und Thüringen. Obwohl ihn sämtliche Initiativen zu einer längeren Lebensdauer von elektronischen Produkten erst einmal freuen, geht der Bonus für „As good as new“-Chef Tim Seewöster am eigentlichen Problem vorbei. Wie es besser gehen würde, schreibt Seewöster im Standpunkt.

von Tim Seewöster

veröffentlicht am 31.10.2024

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Das sogenannte „Refurbishing“ ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, also die Wiederaufbereitung von elektronischen Geräten. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, „Refurbishing ist das neue Bio“. Denn Elektronik aufzubereiten, begann als Trend, der zunächst nur in Nischen Anklang fand. Heute, mit einer veränderten Preissensibilität und steigendem Verständnis für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen, findet Refurbishing breite Zustimmung.

Die Politik hat das inzwischen erkannt und handelt. Hier begrüßen vor allem die Refurbisher, wie wir von „As good as new“, grundsätzlich jede Initiative, die darauf abzielt, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern und Ressourcen zu schonen. Der kürzlich in Berlin eingeführte Reparaturbonus ist da auf den ersten Blick ein Schritt in die richtige Richtung. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich ein fundamentales Missverständnis darüber, wie wir wirklich zu einer nachhaltigeren Elektronikbranche gelangen können.

Reparaturbonus wird gerade bei Smartphones schnell ausgeschöpft

Mit dem Beschluss, der am 17. September in Kraft trat, zieht Berlin mit Sachsen und Thüringen gleich und bietet in Deutschland einen sogenannten Reparaturbonus an. Mit einem Budget von insgesamt 1,25 Millionen Euro will der Stadtstaat Verbraucher:innen dabei unterstützen, ihre Elektrogeräte zu reparieren. Pro Reparatur – egal ob Waschmaschine, Toaster oder Smartphone – zahlt der Staat die Hälfte der Kosten bis zu einer maximalen Förderung von 200 Euro.

Das klingt erstmal super und erinnert an die Abwrackprämie. Rechnen wir jedoch nach, entpuppt sich die Maßnahme schnell als Tropfen auf dem heißen Stein. So kann das Bundesland mit dem Betrag ungefähr 6.000 bis 12.000 Reparaturen fördern – bei circa 3,6 Millionen Einwohner:innen. Gerade die Reparatur von Smartphones, Tablets oder Laptops kostet dabei schnell mehr als 500 Euro. Lassen die Konsument:innen diese reparieren, wird also schnell die höchstmögliche Summe von 200 Euro ausgezahlt und die Zahl der insgesamt maximal möglichen Reparaturen sinkt rasant.

Die Zahlen zeigen: Der Reparaturbonus ist eher eine öffentlichkeitswirksame Geste der Politik. Zudem gibt es noch einen weiteren, viel größeren Haken. Denn das Instrument kaschiert mit Steuergeldern nur das Symptom eines ganz anderen Problems.

Bonus geht am eigentlichen Problem vorbei

Das eigentliche Hindernis liegt darin, dass viele Produkte sich noch immer nur schwer reparieren lassen. Gerade die großen Unternehmen aus der Unterhaltungselektronik wie Apple oder Samsung erschweren es zunehmend, ihre Geräte zu reparieren – sei es durch proprietäre Bauteile, Software-Beschränkungen oder überhöhte Preise für Ersatzteile. Die Tech-Konzerne sind es, die den aufwändigen und teuren Gang zum Reparaturservice erst nötig machen.

Ein Beispiel aus unserem Alltag als Refurbisher: Um den Aufbau eines modernen iPhones zu verstehen, braucht es Fachkenntnisse. Gelingt es einem Laien noch, den Akku oder das Display eigenständig zu wechseln, kommt es trotzdem zu einer Fehlermeldung. Denn jede Komponente ab der elften Generation ist mit einem Chip versehen, der erkennt, wenn ein Bauteil nicht im originalen Gerät verbaut ist. Diese Praxis verunsichert Verbraucher:innen und drängt sie dazu, teure Reparaturen beim ursprünglichen Hersteller zu beauftragen oder gleich ein neues Gerät zu kaufen. Mit dem neuen iPhone 16 sind die Reparaturpreise für einen Akkutausch im Vergleich zum Vorgängermodell dazu um fast 24 Prozent gestiegen.

Recht auf Reparatur sollte nachgeschärft werden

Um diese und weitere Maßnahmen der Hersteller zu verbieten, hat die EU-Kommission diesen April das Recht auf Reparatur auf den Weg gebracht. Bis 2026 muss es von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgewandelt werden. Dabei liegt der Fokus auf Ersatzteilen, Werkzeugen und Reparaturinformationen, die leichter zugänglich sein müssen.

Hersteller müssen ihre Produkte nach der gesetzlichen Gewährleistungszeit zu angemessenen Preisen und innerhalb angemessener Zeiträume reparieren. Außerdem wird eine Online-Plattform ins Leben gerufen, die Informationen und lokale Anlaufstellen für Reparaturen liefert. Wenn das Recht auf Reparatur also wirklich greift, macht es den Reparaturbonus mehr oder weniger obsolet. Die Betonung liegt hier auf dem Wörtchen „Wenn”. Denn es gibt Schlupflöcher und Grauzonen.

So treffen bei dem Gesetz der Wunsch der EU auf die Patent-, Design- und Markenrechte der Hersteller. Es heißt zum Beispiel sinngemäß in einem Passus: „Hersteller dürfen keine Reparaturen behindern, es sei denn, dies ist durch legitime und objektive Faktoren gerechtfertigt, einschließlich des Schutzes von geistigen Eigentumsrechten.“

Im Klartext werden hier Ersatzteile aus dem Recht auf Reparatur exkludiert, die beispielsweise das Design des Objekts mitbestimmen. Gerade bei Smartphones ist die Grenze zwischen einem Verschleißteil und Design schwer zu definieren. Deshalb sind Rechtsstreitigkeiten hier so gut wie sicher. Falls währenddessen ein neues Modell erscheint und das Bauteil sich dort verändert hat, geht der Prozess von vorne los. Wenn also hier ein Dilemma wie beim Kampf um USB-C als einheitlichen Stecker verhindert werden soll – bei dem sich wieder einmal Apple quer stellte – müssen die Verantwortlichen die Direktive dringend nachschärfen.

Automobilindustrie schon weiter als Elektronikbranche

Stellen Sie sich das Ganze in der Automobilindustrie vor. Hier käme niemand auf die Idee, die Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge gänzlich in die Hand der Verbraucher:innen zu legen, oder nur Original-Ersatzteile von VW, BMW und Co. zuzulassen. Interessant ist der Gedanke, bei jedem Autostart würde die Bordelektronik auf die vermeintliche Wasserpumpe von Bosch oder den Akku eines anderen Herstellers hinweisen.

In der Autoindustrie sind wir glücklicherweise schon weiter. Ein Reparaturbonus kann nur ein kleiner Anreiz für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft sein, die vor allem die Hersteller zu nachhaltigem Verhalten zwingt. Bis dahin bleibt Nachhaltigkeit bei Elektronikprodukten nicht mehr als ein Marketingslogan und der Reparaturbonus bloße Symbolpolitik mit falscher Lenkungswirkung. Obwohl wir das Ziel hinter der Idee begrüßen, gibt es derzeit sicherlich sinnvollere Verwendungsmöglichkeit von Steuergeldern.

Tim Seewöster bildet mit Stefan Groitl die Geschäftsführung von „As good as new“. Mit Stationen bei Payback, Sparwelt und The Reach Group hat er mehr als 20 Jahre Branchen- und Berufserfahrung gesammelt. Seit 2022 hat er sich mit dem Refurbisher dem verantwortungsvollen Umgang mit Elektronik verschrieben. Mit seiner Familie lebt er in Berlin.

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