Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht die Hausaufaufgabe: Eine Blockchain-Strategie muss her. Im September soll die Strategie vorliegen.
Sicherlich wird im Bundesfinanzministerium an der Bewertung der Möglichkeiten und ganz sicherlich auch der Risiken von Blockchain-gestützten Kryptowährungen gearbeitet. Bitcoin, Libra & Co sollten aber nicht den Blick auf alltagstaugliche Einsatzbereiche von Distributed Ledgers blockieren.
Für die weitere Ideenfindung hat die Bundesregierung das Konsultationsverfahren gewählt. Jedes Ressort soll seine Innovationen unter Artikel 65 des Grundgesetzes für sich finden. Wie steht es da um die Innovationsfähigkeit? Welche konkreten, weiteren Einsatzbereiche zeichnen sich für die „neue“ Technologie ab?
Kreativität und Amtsstuben als Gegenpole?
Oft herrscht das Stereotyp vor, dass sich Innovation, Kreativität und Ideenfindung auf der einen Seite und Verwaltung beziehungsweise „deutsche Amtsstuben“ auf der anderen Seite wie unvereinbare Gegenpole verhalten. Diese Meinung existiert gerade auch im Bereich Blockchain: Die Blockchain hat in weiten Teilen den Ruf, innovativ, modern, zuweilen sogar hip oder subversiv zu sein. Eine schnelle, effektive Einführung einer solchen neuen Technologie wird in Deutschland, wenn überhaupt, zumeist nur der freien Wirtschaft zugetraut.
Unterscheidet sich hier die freie Wirtschaft wirklich von der öffentlichen Verwaltung? Womöglich. Die Verwaltung hat aber auch einen Startnachteil. Sie kann schlecht mit dem Kundenbedarf argumentieren. Bürgerinnen und Bürger meckern vielleicht gerne über „das Amt“ und die dort vermuteten Schimmel. Einen Volksaufstand oder zumindest eine Protestwahl für eine bessere digitale Verwaltung droht aber nicht. Also erleben wir, dass ja in den Behörden mehr gewollt werden würde, wenn mehr Stellen für IT-Fachkräfte da wären, und dass mehr gekonnt werden könnte, wenn die Haushaltsmittel nicht so knapp wären. Aber aufgepasst: Oftmals fehlt es an der Motivation und am Umsetzungswillen, nicht an Möglichkeiten oder Mitteln – Eigenschaften, die, so könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, nur noch den USA oder China hinsichtlich Technologieimplementierung zugetraut werden.
Erfolgreiche Blockchain-Innovationen im Asylprozess
Dass Ideenfindung und Innovation aber gerade auch in der Verwaltung (und sogar außerhalb der USA bzw. China) funktionieren können, zeigt zum Beispiel das Projekt „Blockchain zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Asylprozess“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Das Projekt überzeugte dieses Jahr auch die Jury des eGovernment-Wettbewerbs. Mit einer Blockchain wird die behördenübergreifende Kommunikation im Asylprozess unterstützt. Verfahrensdauern können mit der praktischen Lösung deutlich reduziert werden.
Wie Motivation und Umsetzungswille ineinandergreifen können, lässt sich auch von weiteren Blockchain-Projekten der Verwaltung lernen. Die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat die Software TruBudget (kurz für Trusted Budget Expenditure) auf Basis von Blockchain entwickelt, mit der geberfinanzierte Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit besser verwaltet werden können. In Brasilien, Burkina Faso und demnächst auch in Äthiopien und Georgien wird die Software der KfW zur Zufriedenheit aller Beteiligten bereits genutzt bzw. ist der Einsatz geplant. Blockchain schafft hier Transparenz und Vertrauen, wie die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitgestellten Mittel verwendet werden.
Dokumentenaustausch in der Binnenschifffahrt
Mit diesen guten Erfahrungen zur
Blockchain „Made in Germany“ kann zukünftig auch eine bessere Koordination der
internationalen Geldgeber erreicht werden. Immerhin werden, zum Beispiel im Rahmen der
finanziellen Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten jährlich auch hohe
zweistellige Milliardenbeträge europäischer Geldgeber investiert.
Ebenfalls aktuell: Das Bundesverkehrsministerium fördert seit Beginn dieses Monats das Forschungsvorhaben SINLOG in der Binnenschifffahrt. Daten und Dokumente sollen besser zwischen allen Beteiligten ausgetauscht werden. Reeder, Frachtführer, Häfen und Auftraggeber werden digital miteinander vernetzt und über eine Blockchain miteinander abgesichert. Verkehrspolitisch soll die Binnenschifffahrt stärker Straße und Schiene entlasten.
Bedenken wegen eines möglichen Kontrollverlusts
Und auch in der Modernisierung der umfangreichen Kfz-Datenbanken und -Register können die Einsatzmöglichkeiten der Distributed Ledger Technologie betrachtet werden. Verbindliche Daten der Hersteller könnten zum Schutz der Verbraucher und Fahrzeughalter in digitalen Fahrzeugdokumenten zusammengeführt werden.
Diese Diskussionen sind jeweils auch Beispiele für die eigene Innovationsfähigkeit der Verwaltung. Aber keine Diskussion ohne „aber“. Wenn der Einsatz von Blockchain in der Verwaltung betrachtet wird, kommen schnell auch viele Bedenken auf. Allein die höhere Transparenz zu den Daten in der Blockchain lässt einen Kontrollverlust in den Verwaltungsprozessen befürchten. Bedeutet der Verlust einer staatlichen Datenhoheit in der Blockchain am Ende ein anarchisches „Keine Macht für Niemand“?
Blockchain braucht Change
Wenn bei einem „normalen“ IT-Projekt die Faustformel bereits nach Change Management im Verhältnis von 1:1 zum technischen Projektteil verlangt, kann bei einem Blockchain-Projekt sicherlich der Faktor 2 für Maßnahmen angesetzt werden, um die Akzeptanz der späteren Nutzer zu sichern. Und hier werden alle gutgemeinten Piloten und Machbarkeitsstudien aufpassen müssen. Es wäre ein Konstruktionsfehler, der eine tragfähige und nachhaltige Verwaltungsmodernisierung letztendlich verhindert, wenn diese Aufgabe nicht in der Projektkalkulation eingepreist wird.
Hier kommen die klassischen Organisationsentwickler ins Spiel: Sie müssen die berechtigten und unberechtigten Zweifel am Neuen erkennen und Lernprozesse unterstützen. Blockchain braucht Change – in den Köpfen und in der Organisation, um den Nutzen entfalten zu können. Denn ohne „Blockchange“ würde TruBudget nicht im Finanzministerium in Ouagadougou in Burkina Faso funktionieren und auch SINLOG wird im Verlauf des Forschungsvorhabens auf Information und Kommunikation bei den Reedern, Binnenschiffern und in den Häfen zwischen Hamburg und Passau setzen.
Alexander Schmid ist Partner bei BearingPoint und leitet im Auftrag von Behörden Projekte zur Verwaltungsmodernisierung.