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Digitalisierung & KI

Standpunkte Den Dämon der Modernisierung entzaubern

Foto: Sopra Steria Consulting (Bernd Baptist)

Die Verwaltung hat einen erheblichen Modernisierungs- und Digitalisierungsbedarf, bei deren Umsetzung die Verantwortlichen sich schwer tun, meint Bernd Baptist von Sopra Steria Consulting. Der wichtigste Hebel sei deshalb nicht die Technik, sondern der Mensch.

von Bernd Baptist

veröffentlicht am 23.09.2019

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Für Babys ist es einer der ersten Briefe, die sie in ihrem Leben bekommen: Die Steuer-ID vom Bundeszentralamt für Steuern einige Tage nach der Geburt. Und das, obwohl mit den Einwohnermeldeämtern kommunale Behörden die Anmeldung der Neugeborenen entgegennehmen. So gut klappt das digitale Zusammenspiel von Behörden über verschiedene Ebenen hinweg jedoch längst nicht immer. Für das Kindergeld, das meist von den Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlt wird, müssen Eltern schon wieder Formulare wälzen und Papier verschicken.

Das Kindergeld ist nur ein Beispiel, an dem sich der erhebliche Modernisierungs- und Digitalisierungsbedarf in der Verwaltung zeigt. Gleichzeitig tun sich Behörden oft schwer mit der Umsetzung. Wie ein Dämon kreist die Unsicherheit in den Köpfen und sorgt dafür, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Modernisierung ablehnend gegenüberstehen. Die Angst vor einem Sicherheits- und Kontrollverlust treibt sie um. „Die Akte auf dem Schreibtisch habe ich unter Kontrolle“, ist ein weit verbreitetes Gefühl. Digital in Dokumenten und Programmen zu arbeiten, die an einem anderen Ort in einem Rechenzentrum laufen, ist für viele eine irritierende Vorstellung.

Von der Modernisierung profitieren vor allem die Mitarbeiter

Höchste Zeit, den Dämon zu entzaubern. Denn es sind nicht nur Bürgerinnen und Bürger, die von digitaler Modernisierung profitieren. Es sind vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst! Sie müssen weniger Zeit mit umfangreichen Formularen zubringen. Wenn KI-Assistenten sie bei simplen Prüfungen entlasten, können sie sich ganz auf die schwierigen Abwägungsfragen bei Entscheidungen mit Ermessensspielraum konzentrieren. Sie haben mehr Zeit für die Beratung von Menschen, können auf Lebenssituationen eingehen und nach alternativen Lösungen suchen. Modernisierung schafft Freiräume für die Dinge, die Menschen besser können als Maschinen.

Ängste vor Fremdbestimmung sind verständlich, aber vielfach unbegründet. Die Verwaltung ist souverän und geschützt durch Gesetze. Änderungen bei den Kompetenzen entstehen durch Gesetzesänderungen – nicht durch neue Technologien. Fremdbestimmt wird derjenige, der sich der Modernisierung verweigert und sich von technologischen Entwicklungen überholen lässt. Wer sich öffnet und mit ihnen auseinandersetzt, kann sie verstehen und gestalten.

Der wichtigste Hebel ist nicht die Technik, sondern der Mensch

Der wichtigste Hebel, um die Modernisierung der Verwaltung zu entdämonisieren, ist daher nicht die Technik, sondern der Mensch. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen einen aktiven Part, sollten ihre Ideen und Vorstellungen für eine innovative und attraktive Verwaltung einbringen können. Führungskräfte, IT-Experten und Berater können die Modernisierung nicht alleine umsetzen. Sie gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu entwickeln, ist ein Muss, um sie nachhaltig, sinnstiftend und effizient zu gestalten. Dann bleibt Modernisierung auch kein bloßes Buzzword, sondern kommt tatsächlich im Denken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an.

Mit dem digitalen Personalausweis, der eine zuverlässige digitale Authentifizierung ermöglicht, ist eine wichtige Grundlage für innovative Bürgerdienste geschaffen, mit dem gemeinsamen Bund-Länder-Portal als zentraler Datendrehscheibe befindet sich eine weitere im Aufbau. Diese technischen Möglichkeiten gilt es nun für Innovationen zu nutzen. Neben einer langfristigen Digitalisierungsstrategie brauchen Behörden dazu auch eine kontinuierliche Beobachtung und geeignete Benchmarks. Nur so lässt sich feststellen, wo es noch hapert, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch mehr Unterstützung brauchen. Nur so lassen sich aber auch Erfolgsgeschichten belegen: Was gut klappt, wo die digitale Verarbeitung von Rechnungen oder Akten Gestaltungsfreiräume eröffnet hat!

Kinderleicht zum Kindergeld – wo Modernisierung funktioniert

An einer solchen Erfolgsstory arbeitet zum Beispiel die Stadt Hamburg gerade. Eltern müssen dort nach der Geburt nur noch ein einziges Formular ausfüllen und bekommen neben Geburtsurkunden und Steuer-ID automatisch auch den Kindergeldbescheid. „Kinderleicht zum Kindergeld“ hat schon mehrere Preise gewonnen. Im nächsten Schritt soll der Prozess voll digital ablaufen, ganz ohne Papier. Das reduziert den Aufwand für Eltern wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden. Hier zeigt sich, wie der Dämon entzaubert werden kann. 

Bernd Baptist leitet den Bereich „Public Sector“ bei der Management- und Technologieberatung Sopra Steria Consulting. Der Diplom-Physiker und Digitalisierungsexperte berät mit seinem Team Verwaltungen und öffentliche Einrichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. 

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