Der globale Kampf um Technologieführerschaft zwischen den USA und China ist in vollem Gange. Aus Angst, China könne die USA als technologische Supermacht ablösen, betreibt die US-Administration eine „selektive Abkopplung“ der beiden Märkte, die zu einer wirtschaftlichen und technologischen Entflechtung („Decoupling“) führen könnte. Neben der verordneten Diversifizierung von Lieferketten, Zöllen, Boykotten und Ausfuhrbeschränkungen wird der Technologietransfer durch effiziente Investitionskontrollen des gestärkten „Committee on Foreign Investments in the United States“ (CFIUS) beschränkt.
Trumps „Techno-Nationalismus“ zeigt Wirkung: seit 2017 ging der Anteil chinesischer Investitionen und Beteiligungen in den USA signifikant zurück. Neben der rückwirkenden Überprüfung der Übernahme von Musical.ly durch ByteDance hat CFIUS auch chinesische Übernahmen von Qualcomm oder Grinder blockiert. Auch China verfolgt unter seinem Präsidenten Xi Jinping eine nationalistische Agenda und strebt mit seiner industriepolitischen Strategie „Made in China 2025“ nach technologischer Autonomie.
Rückbesinnung auf Verbündete
Was würde sich nach einem Regierungswechsel in den USA ändern? Auch die Demokraten geißeln den chinesischen „Innovations-Merkantilismus“. So hatte bereits die Obama-Administration bei der Kuka-Übernahme 2016 in Deutschland interveniert. Die „strategische Rivalität“ zwischen den Supermächten ist partei-übergreifender Konsens, dies zeigt sich in landesweiten Umfragen. Ein möglicher Präsident Joe Biden würde neben höheren Investitionen in Forschung und Entwicklung wohl jedoch stärker auf den Schulterschluss mit Verbündeten setzen, um die Verhandlungsposition gegenüber China zu stärken. Ein solcher Ansatz findet sich bereits in der im Oktober 2020 veröffentlichten „National Strategy for Critical and Emerging Technologies“. Da eine Zusammenarbeit mit Verbündeten auch immer an Erwartungen geknüpft ist, sollten sich Deutschland und Europa, ähnlich wie bei dem 2-Prozent-Ziel der Nato, auf deutliche Worte aus Washington zum Umgang mit China einstellen.
Zentrales Konfliktfeld ist die Halbleiterindustrie
Um sich in dieser Gemengelage selbstbewusst zu positionieren, müssen Deutschland und Europa eine Mischung aus kluger Industriepolitik, Diversifizierung von Lieferketten und technologischer Souveränität entwickeln. Zentrales Konfliktfeld ist hier die stark umkämpfte Halbleiterindustrie. Während es im Bereich der Software und der dazugehörigen Dienste möglich ist, eigenständige „Tech-Regime“ zu entwickeln (wie in China z.B. mit Baidu, WeChat, etc.), sind nationale Alleingänge im Bereich der Elektronik aufgrund der immensen Investitionskosten äußerst schwierig. So gibt es bei der Herstellung von Halbleitern, wie Prozessoren in Handys, eine enorme Konzentration auf sehr wenige Hersteller. Halbleiter in den allerneuesten Technologien stellen überhaupt nur die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) und Samsung her. Egal ob Qualcomm-Handyprozessor, NVIDIA-KI-Beschleuniger oder die Recheneinheit aktueller Spielekonsolen: All diese Firmen lassen ihre Halbleiter bei TSMC fertigen.
Aber nicht nur in der Auftragsfertigung gibt es enorme Abhängigkeiten. Alle großen Hersteller der Werkzeuge, die zum Entwurf solcher komplexen Halbleiterprodukte benötigt werden, stammen aus den USA. Die zur Fertigung notwendigen Maschinen zum Großteil auch, wobei es mit dem niederländischen ASML einen europäischen Hersteller gibt, der das Monopol auf die Herstellung so genannter EUV-Belichter hat – ohne diese komplexen Maschinen ist eine Produktion in modernsten Technologien nicht möglich.
Wenn man nun bedenkt, dass China wiederum der größte Abnehmer für Halbleiterprodukte ist und die USA Inhaber der wichtigsten Patentrechte sind, so sind die wechselseitigen Abhängigkeiten komplett. Jede Weltregion ist aktuell in der Lage, die hocheffiziente Wertschöpfungskette der Halbleiterherstellung durch Eingriffe empfindlich zu stören, vielleicht sogar zum Stillstand zu bringen. Kein alleinstehender Akteur ist wiederum in der Lage, alle dafür notwendigen Komponenten kurz oder mittelfristig selbst zu realisieren. Zu hoch ist der notwendige Kapitaleinsatz, zu wichtig ist langjähriges Erfahrungswissen und zu komplex ist die Umsetzung der hochkomplexen Fertigung. Gleichwohl gibt es in China und den USA enorme Anstrengungen, dies perspektivisch zu erreichen.
Lieferketten und Souveränität
Vor diesem Hintergrund ist Vorsicht vor Entflechtung geboten. Da nationale Alleingänge im Bereich der Halbleiter wegen fehlender Autarkie kurzfristig keine Option darstellen, muss eine deutsche/europäische Industriepolitik von einer Diversifizierung von Lieferketten und dem Ansatz einer technologischen Souveränität flankiert sein. Wo eine industrielle Fertigung nicht wirtschaftlich ist, sollten einseitige Abhängigkeiten reduziert und eine technologische Anschlussfähigkeit sichergestellt werden.
So gibt es in der Welt der Halbleiter Alternativen zum Einsatz „hoch-performanter Chips“ aus einzelnen Bezugsquellen. Diese komplexen Chips, deren Innenleben oft im Verborgenen bleibt, können durch einzelne, kleinere Chips geringerer Komplexität nachgebildet werden. Nicht nur können diese häufig aus unterschiedlichen Quellen (u.a. aus Europa) bezogen werden. Aufgrund des besseren Verständnisses für das Gesamtsystem bieten diese Systeme auch einen besseren Schutz gegen Manipulation und eine insgesamt höhere Vertrauenswürdigkeit. Um solche Alternativen entwickeln zu können, ist ein tiefes Verständnis der einzelnen Bereiche der Halbleitertechnik, vom Entwurf über die Fertigung bis hin zur Prüfung erforderlich. Die BMBF Leitinitiative „Vertrauenswürdige Elektronik“ ist ein gelungenes Beispiel, wie technologische Souveränität durch die Sicherstellung von Kompetenz- und Know-how-Aufbau im Bereich der Mikroelektronik gefördert werden kann.
Der Preis der Ohnmacht
Auch unter einem möglichen Präsident Biden wird es kein Zurück zur „Welt von Gestern“ geben. Um selbstbewusst auf amerikanische Forderungen im Konflikt mit China reagieren zu können, werden Deutschland und Europa investieren müssen. Aufbau und Implementierung der genannten Prozesse sind nicht immer effizient, außerdem sind sie teuer und zeitaufwendig. Die Alternative aber wäre der Preis der Ohnmacht: eine Zukunft mit zwei konkurrierenden technologischen Systemen und Europa als abhängigem Dritten.
Oliver Ziegler ist ehemaliger Wirtschaftsreferent der US-Botschaft in Berlin. Gemeinsam mit den Mitautoren des Beitrags, Johannes Rittner und Eike Spitzner, arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Innovation und Technik (iit), zugehörig zur VDI/VDE Innovation + Technik GmbH.