Standpunkte Die Digitalministerin müsste KI-Ministerin sein

Dass Deutschland ein Digitalministerium bekommt, scheint ausgemacht. Wenn es die richtigen Prioritäten setzt, wird es ein KI-Ministerium sein, findet Agnes Heftberger, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland.
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Jetzt kostenfrei testenNun aber wirklich: Klappt es mit den Koalitionsverhandlungen, bekommt Deutschland möglicherweise ein eigenständiges Digitalministerium. Doch so alt wie die Debatte wirkt inzwischen auch der Begriff. Er spiegelt die Diskussionen der Vergangenheit wider. Er steht für eine Ambition, die längst verwirklicht sein sollte: Dass Deutschland digital vorne mitspielt, in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Bildung. Indes: Seit 50 Jahren wurde in Deutschland keine IT-Firma mehr gegründet, die es zu globaler Bedeutung gebracht hat – ja, SAP ist tatsächlich schon 53 Jahre alt!
Doch gerade tut sich eine zweite Chance auf: Nach der digitalen Transformation ist vor der KI-Transformation. Laut einer aktuellen Bitkom-Umfrage, sagen acht von zehn Unternehmen, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie sein wird. Allerdings sieht auch knapp die Hälfte die Gefahr, dass Deutschland die KI-Revolution verschläft. Länder wie die USA oder China sind mit Hochgeschwindigkeit unterwegs. Sie haben KI als Schlüsseltechnologie für Wohlstand und Sicherheit identifiziert und konzentrieren sich entsprechend stark auf diesen Bereich. Wenn Deutschland (und Europa) mithalten wollen, müssen wir bei KI in dieser Legislatur „All-In“ gehen. „KI oder nicht KI“ wird zur Schlüsselfrage für die Zukunft unseres Landes.
Klare Prioritäten und maximale Umsetzungsorientierung
Im Management ist klar: Fokussierung ist die Mutter aller Lösungen. Erfolgreiche Manager:innen identifizieren die wichtigsten Chancen und priorisieren diese radikal. Deshalb wird ein erfolgreiches Digitalministerium faktisch ein KI-Ministerium sein. Dafür muss es diese Prioritäten im Blick haben:
- KI-Diffusion: Den wirtschaftlichen Strukturwandel in die Fläche tragen. „Es geht nicht nur darum, bei neuen Technologien führend zu sein, sondern darum, KI in unsere bestehenden Industrien zu integrieren, um an der Spitze zu bleiben.“ Das hat Mario Draghi der EU und den Mitgliedsstaaten in seinem vielbeachteten Report ins Stammbuch geschrieben. Mit anderen Worten: Wir brauchen eine „Diffussionspolitik“, die den wirtschaftlichen Strukturwandel in die Fläche trägt. Der Staat ist hier nur ein Akteur unter vielen, aber er kann wichtige Anreize setzen. Superabschreibungen zum Beispiel können private Investitionen in KI-Technologie mobilisieren. Das erlaubt, die Investitionen über ihren tatsächlichen Kosten abzuschreiben. Zudem kann der Staat als Leitnutzer die Nachfrage nach KI-Lösungen stärken und auch damit unternehmerische Investitionsanreize erhöhen.
- KI-Infrastruktur: Deutschland muss Rechenzentrumsland werden. Rechenzentren sind das Rückgrat der KI-Revolution. Deshalb muss eine Rechenzentrumsstrategie zentraler Pfeiler der Infrastrukturpolitik werden. Dabei geht es nicht um staatliche Förderung. Der Markt ist dynamisch und getrieben von privaten Investitionen. Damit diese auch nach Deutschland fließen, brauchen wir beschleunigte Genehmigungen, grüne Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen und eine gestaltende Politik über alle Ebenen, etwa im Sinne eines bundesweiten Flächenatlas für geeignete Standorte. Und wir brauchen praktikable Regulierung, zum Beispiel im Bereich der Energieeffizienz, damit Rechenzentren aktiv zum Strukturwandel beitragen können.
- KI in der Verwaltung: Einfach mal machen! Außer vielleicht in der Bildung ist der Digitalisierungsdruck nirgends so groß wie in der öffentlichen Verwaltung. In den nächsten Jahren geht rund ein Viertel der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Ruhestand. KI kann zum Weg aus der Demografie-Falle werden. Und den bürokratischen Aufwand verringern: Laut Ifo-Institut wäre die Wirtschaftsleistung um 96 Milliarden Euro pro Jahr höher, würde Deutschland bei der Verwaltungsdigitalisierung auf das Niveau von Dänemark aufschließen. Wir brauchen jetzt eine konsequenten Cloud- und KI- First Strategie eine echte „Ende-zu Ende“-Digitalisierung der Verwaltung. Der wichtigste Erfolgsfaktor? Unbedingter Umsetzungswille statt Gremien-Perfektionismus. Beispiele dafür gibt es schon – etwa bei der Bundesagentur für Arbeit.
- Digitale Souveränität: Standardisierung statt Protektionismus: Wir leben in geopolitisch turbulenten Zeiten. Souveränität ist der politische Leitstern Europas. Das ist legitim und zugleich ein herausfordernder Balance-Akt: Wie operationalisieren wir Souveränität, ohne in Protektionismus zu verfallen? Wie kann Europa die KI-Welle reiten, ohne sich selbst abzuhängen? Wie kann Politik lenken, ohne ordnungspolitische Prinzipien über Bord zu werfen? Die Antwort sind objektive Standards, die Sicherheit und Souveränität implementierbar und objektiv überprüfbar machen. Nicht als Handelsbarrieren, sondern durch transparente Anforderungen an alle Marktakteure mit klar definierten Zielen. Dabei müssen wir nicht bei null anfangen: Im Cloud-Bereich gibt es mit dem European Cybersecurity Certification Scheme (EUCS) und den Cloud Platform Requirements (CPR) des BSI bereits sinnvolle Ansätze, die noch mit Verbindlichkeit ausgestattet werden müssen. Microsoft arbeitet als Technologie-Partner des Projekts Delos genau daran: Eine CPR-konforme Lösung für den gesamten öffentlichen Sektor.
- KI-Qualifizierung: Fachliche Kompetenz und soziale Akzeptanz sichern.
KI-Kompetenzen sind keine „Soft Skills“, sondern strategischer Wettbewerbsfaktor. Wir brauchen nicht weniger als den Aufbau einer „KI-Qualifizierungsinfrastruktur“ als entscheidenden Teil der KI-Diffusions-Politik. Ein Aktionsplan muss fachliche Kompetenz und soziale Akzeptanz in der Breite sichern. Der Bund hat dazu über die Hochschulpolitik und die berufliche Qualifizierung, vor allem über die Programme der Bundesagentur für Arbeit, starke Hebel. Für den flächendeckenden Aufbau von Bildungs- und Weiterbildungsangeboten braucht es die Verzahnung mit den Ländern und die Einbindung von Unternehmen in der betrieblichen Weiterbildung. KI-Bildung ist die Schlüsselqualifikation für Deutschland. Microsoft hat mit vielen Industriepartnern in Deutschland die Allianz für KI-Kompetenz ins Leben gerufen, um eben diese Ambition zu unterstützen.
Quantencomputing zündet den nächsten KI-Turbo
Das Zeitfenster, um bei KI auf die Überholspur zu kommen, ist eng. In den kommenden Jahren wird die Beschleunigung weiter zunehmen: Nach der KI-Revolution ist vor der Quantum-Disruption. Quantencomputing wird hier zum Turbo, weil es die Fähigkeiten von maschinellem Lernen mit vielfach höherer Rechenleistung kombiniert. Im Bereich Quantencomputing hat Deutschland eine sehr gute Ausgangsposition mit einem starken Forschungscluster. Die gute Forschungsposition gilt es zu behaupten und den Transfer in die Anwendung zu unterstützen.
Fakt ist: Die Karten auf den Weltmärkten werden durch KI ganz neu gemischt. Die Politik sollte bei diesem Spiel nicht auf der Zuschauertribüne Platz nehmen. KI ist für Deutschland nicht weniger als eine Jahrhundertchance. Deshalb ist es richtig, Zuständigkeiten und Knowhow zu bündeln. In einem eigenständigen Ministerium. Mit eigenem Budget und einer wirksamen Umsetzungsagentur. Aber unser Anspruch darf sich jetzt nicht darin erschöpfen, Rückstände aus der Vergangenheit abzuarbeiten. Es geht um die Zukunft unserer globalen Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb bin ich der Meinung: Der oder die erste deutsche Digitalministerin sollte gleich KI-Ministerin heißen.
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