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Standpunkte Europa braucht eine Political-Tech-Strategie

Josef Lentsch, Gründer des Political Tech Summit
Josef Lentsch, Gründer des Political Tech Summit Foto: Sebastian Philipp

Angesichts der jüngsten Angriffe von Tech-Milliardären wie Musk und Zuckerberg auf europäische Werte ist es wichtiger denn je, dass wir unsere eigenen technologischen Lösungen für politischen Prozesse entwickeln, schreibt Josef Lentsch, Gründer des Political Tech Summit. Nur so kann Europa seine demokratische Resilienz sichern.

von Josef Lentsch

veröffentlicht am 23.01.2025

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Technologie ist nicht neutral – sie ist zutiefst politisch und formt unsere demokratische Zukunft. Die digitale Revolution wartet nicht, und wir können es uns nicht länger leisten, nur Zuschauer zu sein. Mit jedem Tag, den wir zögerlich sind, wird Politik technologischer, während unsere digitalen Werkzeuge bestimmen, wie wir miteinander kommunizieren, uns organisieren und Menschen mobilisieren. Besonders deutlich wird dies bei unseren demokratischen Institutionen: Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen stehen vor der schicksalhaften Entscheidung, welche Technologien sie für ihre Mission einsetzen.

Die bittere Realität ist: Autokraten haben längst verstanden, wie sie Technologie für ihre Zwecke nutzen können – sie haben uns in manchen Bereichen um ein Jahrzehnt überholt. Russlands dreiste Einmischung in europäische Wahlen ist ein alarmierendes Beispiel dafür. Vom Bestechen von EU-Parlamentariern bis hin zur Verbreitung von Desinformation über gefälschte Nachrichtenseiten – der Kreml schreckt vor nichts zurück, um unsere Demokratie zu untergraben.

Doch auch für uns Demokraten führt kein Weg an der digitalen Transformation vorbei. Wir müssen dort sein, wo die Menschen sind – und die Menschen sind heute online. Dabei sehen wir uns nicht nur externen Bedrohungen gegenüber, sondern auch dem wachsenden Einfluss von Tech-Giganten wie Elon Musk und Mark Zuckerberg, die unsere demokratischen Werte offen in Frage stellen.

Regulierungsweltmeister sein ist nicht genug

Diese Entwicklung zeigt sich besonders deutlich in der Art und Weise, wie soziale Medien heute demokratische Diskurse prägen. Während Plattformen wie X (ehemals Twitter) oder Facebook ursprünglich als Werkzeuge für mehr demokratische Teilhabe gepriesen wurden, sind sie heute oft Verstärker für Polarisierung und Manipulation. Die Algorithmen dieser Plattformen – optimiert für Engagement statt demokratischen Diskurs – bestimmen zunehmend, welche politischen Botschaften wir sehen und wie wir über Politik denken. Diese Entwicklung können und dürfen wir nicht länger hinnehmen.

Gewiss, Europa hat sich als Regulierungsweltmeister im digitalen Raum etabliert, was für eine wehrhafte Demokratie essentiell ist. Doch das reicht bei weitem nicht aus. Zu oft sind wir bloße Konsumenten statt Gestalter der digitalen Zukunft. Die Rolle des Schiedsrichters allein wird unserer Verantwortung nicht gerecht – wir brauchen dringend einen eigenen „Tech Stack“ im politischen Raum, der unsere demokratischen Werte verkörpert.

Political Tech: Demokratische Innovationen

Zwischen den etablierten Bereichen von Govtech und Civic Tech entfaltet sich nun ein faszinierendes neues Feld: Political Tech. Political Tech fungiert als Bindeglied zwischen Govtech, das auf Verwaltungsdigitalisierung abzielt, und Civic Tech, das Bürger digital ermächtigt. Es umfasst digitale Technologien, die politische Organisationen wie Parteien, Verbände oder Gewerkschaften bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen – von Social-Media-Monitoring und Customer Relationship Management (CRM) über Mobilisierungssoftware bis hin zu E-Voting.

Einige dieser Tools finden auch in der Zivilgesellschaft oder im öffentlichen Sektor Anwendung, andere sind spezifisch entwickelt. Diese innovative Kraft zielt darauf ab, politische Prozesse nicht nur effizienter, sondern vor allem inklusiver zu gestalten. In Europa sprießen bereits hunderte vielversprechende Political-Tech-Start-ups aus dem Boden. Doch ihr Potential bleibt oft ungenutzt – gefangen in der Fragmentierung nationaler und ideologischer Grenzen.

Was diese mutigen Innovatoren wirklich brauchen, ist ein starker gemeinsamer Markt, der grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen demokratischen Kräften ermöglicht. Sie brauchen dringend mehr Kapital, denn Political Tech ist keine Nische, sondern eine unverzichtbare Investition in unsere demokratische Zukunft. Inspiration liefern Programme wie der „Politechathon“ in Baden-Württemberg – doch wir brauchen viel mehr solcher Brutkästen für demokratische Innovation. Der Zugang zu Daten muss vereinfacht werden, ohne dabei unsere hohen Standards beim Datenschutz zu opfern. Vor allem aber müssen wir ein pulsierendes europäisches Ökosystem schaffen, in dem Unternehmen, politische Organisationen und Zivilgesellschaft gemeinsam Innovationen vorantreiben.

Europa steht an einem Scheideweg: Wir haben die einmalige Chance, mit Political Tech nicht nur technologisch, sondern vor allem demokratisch Vorreiter zu werden. Diese Technologien können unsere politischen Prozesse transparenter, partizipativer und effizienter machen. Sie können Bürgerinnen und Bürgern echte Mitbestimmung ermöglichen, Hass und Desinformation wirksam bekämpfen und unsere Wahlen noch sicherer gestalten.

Politik braucht neue technische Lösungen

Angesichts der jüngsten Angriffe von Tech-Milliardären wie Musk und Zuckerberg auf europäische Werte und Regulierungen ist es wichtiger denn je, dass wir unsere eigenen technologischen Lösungen entwickeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere demokratischen Prozesse von den Launen und Interessen einiger weniger Tech-Magnaten abhängig werden.

Der Handlungsauftrag ist klar: Europa muss jetzt – nicht morgen, nicht nächstes Jahr – bei Political Tech einen Pfad einschlagen, der unsere fundamentalen Werte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität widerspiegelt. Genau wie wir zu Beginn festgestellt haben: Das Technische ist und bleibt politisch – und unsere Politik braucht dringend neue technische Lösungen. Wer die Technologie kontrolliert, kontrolliert die Zukunft unserer Demokratie. Lassen wir nicht zu, dass andere diese Kontrolle übernehmen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt!

Die Entwicklung eigener technologischer Lösungen ist dabei nicht nur eine Frage der digitalen Souveränität, sondern auch der demokratischen Resilienz. Wir müssen verstehen, dass die Werkzeuge, die wir für unsere politischen Prozesse nutzen, unsere demokratische Kultur prägen. Wenn wir zulassen, dass diese Werkzeuge von Akteuren entwickelt und kontrolliert werden, die unsere demokratischen Werte nicht teilen, schwächen wir damit langfristig auch unsere demokratischen Institutionen.

Deshalb brauchen wir jetzt eine konzertierte Aktion aller demokratischen Kräfte in Europa. Politiker, Unternehmer, Zivilgesellschaft und Bürger müssen gemeinsam eine Vision für die technologische Zukunft unserer Demokratie entwickeln und umsetzen.

Josef Lentsch ist Gründer und CEO von Europas erstem Political Tech Summit, der am 25. Januar in Berlin stattfindet. Der Unternehmer und Autor hat unter anderem die Parteiakademie der österreichischen liberalen Partei Neos geleitet.

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