Transparenz wird immer mehr zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor, sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Einerseits hilft Transparenz dabei, Ineffizienzen zu beseitigen und angesichts einer wirtschaftlich schwierigen Lage noch im Wettbewerb bestehen zu können. Andererseits erfordern neue gesetzliche Richtlinien und Verordnungen wie die Lieferkettensorgfaltspflicht oder die EU-Taxonomie, entsprechende Daten erheben und auswerten zu können. Wie kommen nun die Unternehmen beispielsweise an Daten von Zulieferern?
Hier bieten sich Data Spaces an. Sie ermöglichen eine neue Art, Daten zu teilen und zu handeln – und werden die IT-Welt in ähnlichem Maße verändern, wie Cloud Computing das getan hat.
Und das ist dringend nötig. Denn ohne umfassende, hochwertige Daten und die damit geschaffene Sichtbarkeit können weder Digitalisierung noch Nachhaltigkeit und Klimaschutz funktionieren.Auf der Hannover Messe drängen dieses Jahr Data Spaces wie Catena-X und Manufacturing-X ins Sichtfeld. Das ist ein Vorgeschmack auf das, was wir in diesem Jahr und darüber hinaus noch sehen werden.
Die Chancen von Data Spaces
Was genau ist aber ein Data Space? Es ist eine virtuelle Umgebung, die es ermöglicht, unternehmensübergreifend sicher Daten auszutauschen. Ähnlich wie ein physischer Marktplatz eine Plattform bietet, auf der Käufer und Verkäufer miteinander interagieren können, bietet ein Data Space eine Plattform für verschiedene Unternehmen, um Daten auszutauschen.
Die auf dem Marktplatz gehandelten Daten liegen allerdings nicht zentral vor, sondern verbleiben jeweils bei den Anbietern. Wenn ein Unternehmen beispielsweise Informationen über ein bestimmtes Produkt von einem Lieferanten benötigt, kann es dies schnell und einfach über Datenräume tun. Denn das entscheidende Stichwort ist Peer-to-Peer. Der Besitzer der Daten räumt in Data Spaces Zugriffrechte wie „Lesen“, „Bearbeiten“ und „Kopieren“ ein.
Da Data Spaces als vernetzte Marktplätze fungieren, unterstützen sie die neue Konnektivität der Industrie. Sie ermöglichen Datenübertragungen über Landes- und Firmengrenzen hinweg. Mit resilienten verteilten Systemen und gemeinsamen klaren Spielregeln – und das Ganze so einfach wie ein Telefonanruf. Dadurch können sich Unternehmen die dringend benötigten Daten schnell und sicher beschaffen.
Dieses Prinzip spiegelt sich auch im Namen der unterschiedlichen Initiativen wider: Das „-X“ steht für „Exchange“ und symbolisiert den Austausch von Daten und die Zusammenarbeit in komplexen Lieferketten über verschiedene Branchen hinweg. Es verdeutlicht, wie Unternehmen wichtige Informationen und Ressourcen gemeinsam nutzen können, um ihre Wertschöpfung zu erhöhen, ihre Rentabilität zu steigern und wichtige Einblicke in ihren Betrieb zu erhalten.
Noch sind einige Akteure zögerlich. Sie haben Bauchschmerzen damit, mögliche Geschäftsgeheimnisse zu teilen oder unfairem Wettbewerb ausgesetzt zu sein, wenn andere Unternehmen mit ihren Daten Geld verdienen könnten. Daher ist die Souveränität über die eigenen Daten so wichtig: Wer die Daten erzeugt und anbietet, kann die Zugriffsrechte für jeden Nutzer einzeln einstellen.
Auch eine zeitliche Begrenzung ist möglich. Und ein Preisschild an den Daten sollte die Angst vor einer Gratismentalität nehmen. Ein weiterer motivierender Faktor: Einmal an das Datennetzwerk angedockt, sparen sich teilnehmende Unternehmen den Kauf und den Betrieb von Software sowie den Aufbau von Schnittstellen. Wenn die beteiligten Unternehmen Informationen miteinander teilen, gewinnen somit alle. Und Data Spaces helfen dabei, Daten zu industrialisieren – also sie in ein industriell handelbares Gut zu transformieren.
Data Spaces als Katalysator für die Kreislaufwirtschaft
Mit dem Zugriff auf den souveränen Datenraum gewinnen Unternehmen am Ende der Wertschöpfungskette volle Transparenz über die Rohstoffe, die in ihren Produkten verwendet wurden, und deren Herkunft. Diese Rohstoffe können gezielt wiederaufbereitet und der produzierenden Industrie zur Verfügung gestellt werden. Das senkt den Bedarf an Primärrohstoffen. Allerdings müssen sich für einen maximalen Effekt die Unternehmen über alle Stufen der Wertschöpfung klar sein, wer welche Ressourcen in welchen Prozessen eingesetzt hat.
Anhand von Leichtbauprodukten sehen wir beispielsweise, wie wichtig Transparenz über die verwendeten Materialien ist. Sie basieren auf komplexen Verbundwerkstoffen. Diese sortenrein in die ursprünglichen Grundstoffe zu zerlegen, ist ohne eine solide Datenbasis unmöglich. Bereits in der Produktentwicklung sollten wir daher an ein recyclingfähiges Design denken – und dazu müssen alle an der Wertschöpfungskette Beteiligten ihre Informationen preisgeben.
Diese Transparenz hat einen zweiten Vorteil: Sie ermöglicht beispielsweise verlässliche Nachhaltigkeits- oder Unbedenklichkeits-Zertifizierungen. So können Unternehmen an jeder Stelle der Lieferkette besser informierte Entscheidungen treffen. Aktuell ist es möglich, etwa drei Transparenzstufen zu überblicken. In Zukunft wird sich die Anzahl deutlich erhöhen – potenziell sogar mehr als verdoppeln. So können Unternehmen beispielsweise die CO2-Emissionen einer ganzen Fahrzeugproduktion ermitteln.
Bleiben wir bei Fahrzeugen: Catena-X bietet der Automobilindustrie ein Ökosystem für den Datenaustausch. Über diese Infrastruktur können Unternehmen ihre Informationen über den Zustand von Bauteilen mit Lieferanten und Kunden austauschen. Auf dieser Basis schließlich können sie Teile und Komponenten ordnungsgemäß wiederverwerten.
Welche Praxisanwendungen sehen wir bereits?
In diesem Jahr ist die Betreibergesellschaft Cofinity-X an den Start gegangen. Ihr Ziel: Unter Einhaltung der Catena-X-Standards einen offenen Datenraum aus verteilten, souveränen Datenquellen für die Automobilbranche betreiben. Auf der Hannover Messe werden vier Anwendungsszenarien gezeigt: Es geht um das gemeinsame Verwalten von Geschäftspartnerdaten, durchgängige und zuverlässige Rückverfolgbarkeit von Teilen und Komponenten, Dekarbonisierung der automobilen Wertschöpfungsketten sowie um die Kreislaufwirtschaft für eine umweltschonende Mobilität und Schonung aller Ressourcen.
Mit Manufacturing-X haben Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zudem eine gemeinsame Initiative zur Digitalisierung von Lieferketten und Wertschöpfungsnetzwerken gestartet, die es Unternehmen ermöglicht, Daten branchenübergreifend gemeinsam zu nutzen. Das Ziel ist es, digitale Innovationen für mehr Resilienz, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsstärke zu ermöglichen. Im Datenökosystem von Manufacturing-X können Unternehmen ihre Daten teilen und gemeinsam nutzen, wobei sie weiterhin die Kontrolle über ihre Daten behalten.
Dieses Konzept der Datensouveränität ermöglicht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Akteure in der Wertschöpfungskette und fördert die Bereitschaft, Daten zu teilen. Damit Manufacturing-X bald Fahrt aufnimmt, sollten sich Unternehmen jeder Größe jetzt überlegen, wie sie sich beteiligen können und welche ihrer Backend-Systeme integriert werden sollten – und wie sie sich ins Netzwerk „aufschalten“ können, um Daten bereitzustellen und zu nutzen.
Neben den genannten Projekten und Initiativen sind weitere Vorhaben in vielen Branchen in Arbeit. Den Startschuss haben wir gehört, nun geht es darum, das Rennen anzunehmen. Die Grundlagen sind vorhanden, jetzt benötigt es Mut und Pioniergeist, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Und mit dem offenen Austausch von Daten eine neue Transparenz in Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen.
Adel Al-Saleh ist CEO von T-Systems und Mitglied des Vorstands der Deutschen Telekom.