Digitale Lernsysteme brechen zusammen, Schulclouds ächzen unter dem Ansturm, mancher Unterricht wird per Videokonferenz versucht, Kopierer leisten Überstunden, Schülerinnen und Schüler sind überfordert oder werden gar abgehängt und viele Eltern sind frustriert: So sieht vielerorts der aktuelle Schulalltag aus. Es rächt sich gerade bitter, dass die Schulen noch lange nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind. Das hat viele Gründe:
1. Unser Schulsystem ist chronisch unterfinanziert: Das Ziel, sieben Prozent des BIP in Bildung zu investieren – wie 2008 von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten ausgerufen – ist noch lange nicht erreicht; vor allem, weil der Bund nur zehn Prozent der Bildungslasten trägt.
2. Der Digitalpakt Schule, aus dem nur sehr zögerlich Mittel abgerufen werden, wurde über viele Jahre angekündigt statt umgesetzt. Die Folge: Viele Schulträger haben ihre eigenen digitalen Investitionen zurückgehalten und gewartet, so dass jetzt nachgeholt und nicht in die Zukunft investiert wird.
3. Viele Kommunen sind als Schulträger nicht in der Lage, ihre Schulen auskömmlich und zukunftsfähig zu finanzieren. Über gute Bildungschancen entscheidet neben dem Elternhaus auch die Postleitzahl, zwei untragbare Zustände.
Verfolgt man dieser Tage die bildungspolitische Debatte, reibt man sich verwundert die Augen. Vermeintlich sind sich alle einig darüber, dass wir den digitalen Entwicklungsschub an den Schulen jetzt nutzen und verstetigen sollten. Selbst die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion erklärte vor kurzem an dieser Stelle, warum es jetzt eines digitalen Bildungsgipfels bedürfe und dass Bund und Länder gemeinsam anpacken müssten. Nur, digitale Sabbaticals für Lehrkräfte oder Ferienprogramme behandeln lediglich Symptome, das Problem liegt wesentlich tiefer: Der deutsche Bildungsföderalismus ist nicht krisenfest.
Die Bildungsministerin taucht schulpolitisch unter
Von einer Partei, die seit 15 Jahren die Regierung führt und ebenso lange die Bildungsministerin stellt, darf und muss man mehr erwarten als warme Worte und Gipfelforderungen. Man möchte rufen: „Ihr habt es in der Hand!“. Doch Bildungsministerin Anja Karliczek schafft es nur mit Mühe, den verabredeten Digitalpakt aufs Gleis zu setzen und taucht danach schulpolitisch unter. Sie muss von der SPD über den Koalitionsausschuss dazu getrieben werden, bedürftige Kinder und Jugendliche mit Endgeräten zu versorgen, damit diese am digitalen Homeschooling teilhaben können, sofern die Schulen das überhaupt stemmen, und nicht noch weiter abgehängt werden.
Es ist wie bei des Kaisers neuen Kleidern; die Blöße ist offensichtlich, nur darüber reden mag niemand: Wir brauchen endlich einen modernen Bildungsföderalismus! Aus dem KooperationsVERbot muss ein KooperationsGEbot werden. Solange das nicht passiert, bleibt ein Appell wie der von Nadine Schön für eine gemeinsame Kraftanstrengungen von Bund und Ländern hohles Getöse. Ist es doch vor allem die Union, die sich dieser Veränderung seit Jahren konsequent und hartnäckig verweigert. Sie blockiert jeglichen Fortschritt bei der Bund-Länder-Kooperation in der Bildung.
Der Digitalpakt darf keine befristete Ausnahme bleiben
Es geht nicht darum, den Ländern ihre Kultushoheit streitig oder eine einheitliche Schulpolitik aus Berlin zu machen, im Gegenteil: Jedes Bundesland weiß am besten, wie die Situation vor Ort ist und was dort gebraucht wird. Aber es geht darum, dass der Bund Angebote machen darf, die die einzelnen Länder annehmen können, oder eben auch nicht. Der Digitalpakt darf hier keine befristete Ausnahme bleiben.
Mit Kooperation auf Augenhöhe könnten große Schritte zu mehr Bildungsgerechtigkeit unternommen werden. Ich möchte hier nur die Stichworte Ganztagsausbau, Inklusion, Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Quartieren oder mehr Schulsozialarbeit nennen. Und daneben würde sich der erhoffte Digitalisierungsschub verwirklichen und ausbauen lassen, doch das passiert nicht von selbst und auch nicht ohne Geld. Das neue Konjunkturprogramm geht hier erste Schritte in die richtige Richtung, aber dann muss es auch weitergehen. Bildung hat mal wieder keine Priorität und wirkt neben den anderen Punkten schon fast mickrig. Mittel für die Schulsanierung fehlen, die gerade ärmeren Kommunen sehr helfen würden. Mit Unterstützung des Bundes sollten nun ebenfalls
· alle Schulen eine digitale Grundausstattung (unabhängig vom Digitalpakt) bekommen. Hierbei sind die unterschiedlichen Bedürfnisse von Schulen, Lehrkräften und Schüler*innen zu beachten.
· eine Bundeszentrale für digitale und Medienbildung gegründet werden, um Lehrkräften Orientierung und niederschwelligen Zugang zu bieten. Es gibt sehr viele und sehr gute Materialien, die leider nicht allzu bekannt sind. Wir wollen diese Angebote bündeln und ihnen mehr Reichweite verschaffen.
· der Digitalpakt Schule für die aktuelle Krisensituation flexibilisiert werden, damit Schulen jetzt schnell und unbürokratisch handeln können, wo der Bedarf gerade am größten ist. Dass der Bund sich jetzt endlich auch für die IT-Administration zuständig fühlt, begrüße ich. Es geht daneben aber auch noch darum, die digitale Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schüler*innen sicherzustellen, Schulclouds aufzurüsten, Modelle für die Kombination von Präsenz- und digitalem Unterricht zu implementieren oder Lernmanagementsysteme zu etablieren. In einem zweiten Schritt muss der Digitalpakt verstetigt werden.
· mithilfe der Bildungsforschung die Erfahrungen und Ansätze des digitalen Fernunterricht evaluiert werden, um erfolgreiche und innovative Ansätze sowie Defizite bei der technischen und personellen Ausstattung an Schulen gezielt weiterentwickeln, beziehungsweise ausgleichen zu können.
Also, liebe Union: In der Regierung ist Anpacken glaubwürdiger als Appelle. Wir stehen für die Gestaltung eines modernen Bildungsföderalismus zur Verfügung, also für Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen auf Augenhöhe. Für mehr Chancengerechtigkeit und einen nachhaltigen Digitalisierungsboost für unsere Schulen. Dann unterstreiche auch ich gerne Ihren Appell: „Die Chance ist da. Nutzen wir sie zum Neustart.“
Margit Stumpp ist Mitglied der Bundestagsfraktion der Grünen. Sie ist Sprecherin für Bildungspolitik, Medienpolitik und Expertin für digitale Infrastruktur.