Viele Menschen in Deutschland begegnen dem Thema Videoüberwachung eher mit Misstrauen, insbesondere wenn diese Technologie in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz (KI) eingesetzt wird. Ob Bürgerrechtsgruppen, politische Entscheidungsträger oder Bürgerinnen und Bürgern – es gibt viele besorgte Stimmen, die eine Verletzung der Privatsphäre und die Verfestigung von Vorurteilen durch den Missbrauch der Videotechnologie fürchten. Einige argumentieren sogar, dass eine unkontrollierte Videoüberwachung die Demokratie bedroht.
Es braucht klare Regel für Videoüberwachung
Als Geschäftsführer eines der größten europäischen Unternehmen für Videoüberwachungssoftware kenne ich diese Bedenken nicht nur, ich teile sie. Videoüberwachung ist ein mächtiges Werkzeug. Aus diesem Grund braucht unsere Branche Regeln. Eine klare und verlässliche Regulierung ist unerlässlich, um langfristig Vertrauen in die Videoüberwachungstechnologie zu schaffen.
Die Videotechnologie entwickelt sich in rasantem Tempo weiter. In Verbindung mit KI werden innovative Anwendungen möglich, die über den reinen Sicherheitsaspekt hinausgehen. Das zeigt der Einsatz von Videotechnologie im Gesundheitswesen. Überwachungskameras werden dort schon lange zum Schutz von Patienten, Personal und Gebäuden eingesetzt und dokumentieren Vorfälle in diesen Einrichtungen. Heutzutage können KI-gestützte Videoüberwachungssysteme zusätzlich auch Stürze in Krankenhausabteilungen erkennen und so schnelle Reaktionszeiten ermöglichen, die möglicherweise Leben retten.
In Städten werden Videos zur Überwachung des Verkehrs und zur Ergreifung von Raserinnen und Rasern eingesetzt. Durch die Analyse von Verkehrsmustern und Fußgängerströmen können Stadtverwaltungen die Infrastruktur optimieren, ihre Planung verbessern und Staus reduzieren.
Obwohl diese Fortschritte der Gesellschaft nutzen, werfen sie auch berechtigte Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der bürgerlichen Freiheiten auf. Der flächendeckende Einsatz von Überwachungskameras in Verbindung mit KI-Funktionen betrifft die Autonomie des Einzelnen, besonders, wenn Behörden Zugriff auf diese Bilder haben.
Ohne angemessene Kontrollen und sorgfältige Abwägungen besteht die Gefahr, dass innovative Videotechnologie mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Dabei sollte Technologie den Interessen der Menschen dienen und sie nicht untergraben. Um die Vorteile der Videotechnologie zu nutzen, müssen wir ein Gleichgewicht zwischen Innovation und Regulierung finden. Dies erfordert sowohl eine durchdachte Gesetzgebung als auch proaktive Industriestandards.
Unternehmen sollten sich proaktiv an Leitlinien halten
Der AI Act der Europäischen Union ist ein bemerkenswertes Beispiel für solche Bemühungen um eine gesetzliche Regelung. Durch die Auferlegung von Beschränkungen für bestimmte KI-Anwendungen, wie zum Beispiel die Gesichtserkennung, versucht das neue Gesetz, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Das Gesetz verbietet die ungezielte Erfassung von Gesichtsbildern, die Erkennung von Emotionen und die biometrische und soziale Kategorisierung (social scoring). Dies sind konkrete Grenzen, die den Missbrauch der Videoüberwachungstechnologie verhindern sollen und gleichzeitig Raum für Innovation lassen.
Die konkrete Ausarbeitung und Umsetzung von Gesetzen braucht jedoch Zeit. Besonders wenn es um komplexe und fortschrittliche Technologien wie KI geht. Auch wenn ich das EU-KI-Gesetz begrüße, kann seine vollständige Umsetzung mehrere Jahre dauern. In der Zwischenzeit sollten sich die Unternehmen proaktiv an Leitlinien halten, die auf den neuen gesetzlichen Anforderungen basieren.
Bis zur Umsetzung des AI Act an G7-Kodex orientieren
Initiativen wie der Verhaltenskodex der G7-Staaten für fortgeschrittene KI-Systeme bieten eine gute Zwischenlösung und Orientierung für Unternehmen. Der Kodex enthält eine Reihe von Grundsätzen, die gewährleisten sollen, dass KI-Systeme auf sichere und vertrauenswürdige Weise entwickelt werden. Durch einen prinzipienbasierten Ansatz, der ein gewisses Maß an Flexibilität bietet, fördert der Kodex neue Technologien und berücksichtigt gleichzeitig ethische Bedenken.
Dadurch, dass der G7-Kodex auf bestehenden internationalen Rahmenwerken aufbaut, bietet er wirklich globale Leitlinien. Außerdem regelt der Kodex den Umgang mit KI über den gesamten Lebenszyklus: von der Risikobewertung vor dem Einsatz bis zur kontinuierlichen Überwachung und Eindämmung des Missbrauchs.
Die Annahme des G7-Verhaltenskodex für KI ist auch ein Schritt zur Vorbereitung auf die regulatorische Zukunft. Die Regulierung wird ohnehin kommen – warum sich nicht lieber früher als später darauf vorbereiten? Jetzt ist es an der Zeit, dass Technologieunternehmen aufhören, zu taktieren, und anfangen, proaktive Schritte zu unternehmen, um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Deshalb bin ich auch überrascht, dass wir bislang keine anderen Unternehmen finden konnten, die wie wir den G7-Kodex übernommen haben.
Ich bin überzeugt, dass dies der richtige Schritt ist. Aber es gibt auch einen wirtschaftlichen Grund dafür: In den kommenden Jahren werden Kundinnen und Kunden zunehmend verlangen, dass KI-basierte Videoüberwachungstools auf verantwortungsvolle Weise entwickelt und eingesetzt werden. Eine solche Forderung ist nicht nur gerechtfertigt, sondern bietet verantwortungsbewussten Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil. Ethische Überlegungen werden zunehmend in die Beschaffungsprozesse für Projekte einbezogen, ein Trend, der sich noch verstärken wird.
Letztendlich sollte das Ziel nicht darin bestehen, die Überwachungstechnologie abzuschaffen oder zu behindern, sondern sicherzustellen, dass künftige Innovationen der Gesellschaft Sicherheit und Schutz bieten und gleichzeitig die Grundrechte und -werte wahren.
Thomas Jensen ist CEO des Videotechnologie-Softwareunternehmens Milestone Systems. Milestone war eines der ersten Unternehmen, das den G7-Verhaltenskodex für fortschrittliche KI-Systeme angenommen und umgesetzt hat.