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Standpunkte Metaverse: Der Beginn einer neuen Ära

Jennifer Rosenberg von der Unternehmensberatung Jester
Jennifer Rosenberg von der Unternehmensberatung Jester Foto: Patrycia Lukas

Noch sorgt das Metaverse eher für Belustigung und Stirnrunzeln. Doch das könnte sich bald ändern, schreibt Jennifer Rosenberg von der Unternehmensberatung Jester. Denn das Konzept könnte der Beginn einer neuen Internetära sein und die Hackordnung von Technologieriesen durcheinander bringen.

von Jennifer Rosenberg

veröffentlicht am 07.09.2022

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Klobige Grafik, wenig ausgereifte Angebote, Zweifel am Sinn von NFTs: Es gibt viele Gründe, dem aktuellen Hype um das sogenannte Metaverse kritisch zu begegnen. Bei genauerer Betrachtung wird aber klar, dass wir es hier sehr wahrscheinlich mit dem nächsten digitalen Megatrend zu tun haben. Möglicherweise sogar dem ersten Megatrend, der die Machtverhältnisse der großen Vier – Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) – ernsthaft durcheinanderwirbeln könnte. Allerdings wird das Metaverse wohl ganz anders aussehen, als sich das die meisten Menschen aktuell vorstellen.

Der wichtigste Grund, das Metaverse sehr ernst zu nehmen, ist ganz simpel: Geld. Zahlreiche große Unternehmen pumpen derzeit viele Milliarden in die Idee – denn aus viel mehr als ein paar Ideen und Experimenten besteht das Metaverse bisher noch nicht. Einige dieser Unternehmen investieren ihr Geld sichtbar, wie beispielsweise das in Meta umbenannte Unternehmen hinter Facebook. Viele andere allerdings agieren hinter den Kulissen.

Sie alle vereint der Glaube, dass wir kurz vor dem Durchbruch einer neuen Internetära stehen. Sollte das stimmen, stehen wir vor einem ähnlichen Epochenwechsel wie beim Übergang von der ersten Phase des World Wide Web zum Web 2.0. Damals ging der Internet-Gigant Facebook aus dem Umbruch hervor und Google kaufte YouTube.

Was ist das Metaverse überhaupt?

Doch was ist das Metaverse überhaupt? Derzeit ist es noch eher eine Sammlung verschiedener Konzepte und Technologien als eine klare, einheitliche Idee. Bis heute bleibt die Grundidee eine virtuelle, begehbare Welt. Meta-Chef Mark Zuckerberg definiert das Metaversum als „ein verkörpertes Internet, in dem man sich befindet, anstatt es nur zu betrachten.“ Vor allem dank der Fortschritte in den Bereichen Virtual (VR) und Augmented Reality (AR) ließe sich diese Vision heute viel besser umsetzen als mit der klobigen Pixelgrafik von Second Life.

Die NFT-Technologie, so erträumen es manche, könnte zu einem weiteren technologischen Fundament des Metaverse werden. Sie soll dafür sorgen, dass virtueller Besitz nicht mehr allein von einem einzelnen Unternehmen kontrolliert, sondern dezentral verwaltet wird, wie wir es von Kryptowährungen kennen.

Ob und wie AR, VR, NFT, Avatare und andere Konzepte, die mit dem Begriff Metaverse heute verbunden werden, alle auf einer gemeinsamen Plattform landen werden, ist offen. Ebenso, ob es ein dominierendes oder sehr viele Metaversen geben wird, die vielleicht sogar miteinander verbunden sind.

Warum die Karten neu gemischt werden

Doch warum gefährdet all das die Machtposition der GAFAs? Wann immer sich grundlegend ändert, wie wir das Internet oder Computer benutzen, hat das neue Unternehmen auf den Thron gehoben und alte auf die Plätze verwiesen. Die Ära der Hardware war die große Zeit von IBM. Die Ära der Software brachte Microsoft an die Spitze, der E-Commerce-Boom Amazon. Als Suchmaschinen sich als Konzept gegen Verzeichnisse durchsetzten, begann die Ära von Google. Von der mobilen Revolution profitieren sowohl Apple als auch Google, und mit dem Social Web gelang Facebook der Aufstieg.

Nun steht die Milliardenwette im Raum, dass Menschen das Internet in den kommenden Jahrzehnten zunehmend nicht mehr über Bildschirme konsumieren, sondern sich selbst als Avatar in eine virtuelle Welt begeben und dort mit der Umgebung und anderen Nutzerinnen interagieren. In vielerlei Hinsicht besteht dabei die Chance, dass das Metaverse das wird, was das Social Web von vornherein werden sollte. Ein Raum für echte Begegnungen in der virtuellen Welt – mit Mimik, Gestik und Berührungen. Auch Beziehungen zu Kund:innen werden sich grundlegend verändern – und damit auch den E-Commerce.

Was sich vom iPhone für das Metaverse lernen lässt

Und warum sollte nicht einer der großen Tech-Player erneut die Zukunft erfinden? Die Dominanz der GAFA-Plattformen lässt sich vor allem durch den Skalen- und den Netzwerkeffekt erklären. Skaleneffekte ergeben sich aus Größenvorteilen: Eine Million Autos zu produzieren ist pro Auto günstiger als 10.000. In der digitalen Welt ist dieser Effekt aber um ein Vielfaches stärker: Eine Million Autos zu produzieren ist in absoluten Kosten immer noch deutlich teurer als 10.000. Ob eine einmal geschriebene Software dagegen von 10.000 oder einer Million Menschen genutzt wird, kostet fast gleich viel. Ist die Gewinnschwelle einmal überschritten, ist jede weitere verkaufte Kopie fast Reingewinn.

Noch wichtiger für die Dominanz der Online-Plattformen ist jedoch der Netzwerkeffekt: In vielen Fällen wird ein Netzwerk für jedes Mitglied umso wertvoller, je mehr mitmachen. Leicht verdeutlichen lässt sich das am Beispiel von Whatsapp: Der Messenger ist vor allem deshalb so wertvoll, weil so viele Menschen dort erreichbar sind – wodurch sich noch mehr Nutzerinnen und Nutzer anmelden. In vielen Fällen entsteht so ein kaum mehr einholbarer Vorsprung, ein sich selbst verstärkendes Quasi-Monopol.

Gibt es nun einen grundlegenden Paradigmenwechsel darin, wie Menschen das Internet benutzen, spielen die beiden Effekte keine Rolle mehr. Um das zu verstehen, hilft wieder ein Blick in die IT-Geschichte: Microsoft Windows war in vielerlei Hinsicht nicht das beste Betriebssystem für Desktop-PC. Durch historische Zufälle war es aber auf den meisten PCs installiert, was dazu führte, dass die meiste Software für Windows geschrieben wurde. Das wiederum machte Windows als System noch beliebter, was zu noch mehr Software führte und so weiter.

Und plötzlich kam das iPhone von Apple und kurz darauf Smartphones mit dem Google-Betriebssystem Android. Microsoft hatte zu lange versucht, sein altes Desktop-Monopol mit halbgaren Konzepten wie Windows CE in die mobile Welt zu retten. Apple und Google konnten ohne Altlasten neue „Mobile First“-Konzepte entwickeln.

Auch der Meta-Konzern – mit Instagram, Facebook und Whatsapp der Platzhirsch im Social Web – versucht, seine Stellung in die erwartete neue Welt hinüber zu retten. Erste Bilder des Facebook-Metaverse sorgten bislang aber oftmals eher für Stirnrunzeln bis Belustigung. Einiges spricht daher dafür, dass ein anderes Unternehmen dem Metaverse sein Gesicht geben wird. Eines, das frei von Altlasten von Grund auf eine Welt kreiert, die dafür gemacht ist, das Internet auf eine völlig neue Weise zu erleben. Ein junges Team mit frischen Ideen, das sich nicht seit 20 Jahren eingeprägt hat, wie bestimmte Dinge im Internet funktionieren, „weil man sie so macht“.

Gerade das machte diese Zeit so spannend: Irgendwo wird gerade an der Metaverse-Zukunft gebaut – und einiges spricht dafür, dass damit auch wieder ein neuer, heute vielleicht noch völlig unbekannter Player die Buchstabenreihenfolge GAFA ergänzen oder sogar einen oder mehrere Buchstaben verdrängen wird.

Jennifer Rosenberg ist CEO der Unternehmensberatung Jester

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