„Ja, ich kann in zwei Tagen einen Termin mit dem Arzt für Sie vereinbaren.“ Selten haben solche Worte für mich so süß geklungen wie vor einigen Wochen, als ich als Neuankömmling versuchte, in Berlin einen Arzt zu finden. Nach einer ermüdenden Internetrecherche und unzähligen wenig angenehmen Telefonanfragen hatte ich endlich Erfolg. Was ich jetzt noch aufbringen musste, war weiterhin Geduld.
Die Wartezeit für einen Arzttermin ist ein kontrovers diskutiertes Thema, und sie kann in Deutschland sehr, sehr lang sein. Das ist eine (persönliche wie auch empirisch belegte) Beobachtung, von der viele Menschen ein Lied singen können. Wochenlange Wartezeiten sind für Kassenpatienten keine Seltenheit. Aber ist die Situation wirklich schlimmer als in anderen europäischen Ländern? Nicht unbedingt. Und kann man es besser machen? – Auf jeden Fall!
Sanktionen und Anreize führen oft nicht zum Ziel
Kürzlich hat der Bundesrat über eine Erhöhung der von Arztpraxen für Kassenpatienten freizuhaltenden Stunden von 20 auf 25 beraten. Es soll diverse monetäre Anreize für den zusätzlichen Aufwand der Ärzte geben. Zugleich gibt es vermehrt Diskussionen über die Erhebung einer Gebühr für verpasste Termine. Wenn Patienten für das Horten von Terminen Sanktionen drohen, dürfte sich das positiv auf die Kapazitäten der Ärzte auswirken, so wird erwartet. Aber ist dem Problem tatsächlich mit Zuckerbrot und Peitsche beizukommen? Forschungsergebnisse aus vergleichbaren Bereichen deuten immer wieder auf das Gegenteil hin: So führten finanzielle Sanktionen für Eltern, die ihre Kinder zu spät aus der Kindertagesstätte abholen, dazu, dass sich die Zahl der Zuspätkommer sogar noch erhöhte.
In ähnlicher Weise haben finanzielle Anreize für Ärzte in einigen Bereichen dazu geführt, dass Patienten selektiert und das System ausgetrickst wurde. Erhöht man die Zahl der von den Ärzten freizuhaltenden Stunden, so bedeutet das nicht automatisch, dass sich auch die Zahl der behandelten Patienten erhöht. Es könnte ebenso dazu führen, dass sich die Beratungszeiten verlängern. Außerdem schaffen finanzielle Elemente in einem traditionell auf Altruismus basierenden System nicht zwingend die richtigen Anreize. Es besteht daher Unklarheit darüber, zu welchem Ergebnis die Einführung solcher Sanktionen und Anreize führen könnte. Vor diesem Hintergrund wird sich zeigen, ob das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche wirklich die gewünschten Ergebnisse erbringt.
Gesundheitsdienst „Babylon“ in Großbritannien
Während hierzulande die Politik noch diskutiert und die Wissenschaft untersucht, ob traditionelle Modelle der Gesundheitsversorgung heute und in Zukunft funktionieren, wurden andernorts bereits konkrete Schritte unternommen, um die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) und der Technologie zur Lösung der Wartezeiten-Krise zu nutzen. Auch wenn Großbritannien insgesamt angesichts des aktuellen politischen Szenarios sicher kein nachahmenswertes Beispiel ist, so war der National Health Service in der Vergangenheit doch Vorbild für viele Gesundheitssysteme in Europa. Die Einführung eines digitalen Gesundheitsdienstes namens „Babylon“ ist dort bereits abgeschlossen.
Der Dienst umfasst eine sofortige Symptomprüfung, auf deren Grundlage virtuelle Arzttermine vergeben werden, Verschreibungen und sogar virtuelle Gesundheitschecks. Künstliche Intelligenz eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten sowohl für Ärzte als auch für Patienten. Zum Beispiel können aufgrund ihrer Vorgeschichte Patienten identifiziert werden, die Termine verpassen könnten, und dieses Wissen kann gezielt mit Nudging-Methoden kombiniert werden, um solche Patienten an anstehende Arztbesuche zu erinnern; Chatbots können unnötige Anfragen aussieben und so Kapazitäten freisetzen, und ein transparenteres Terminierungssystem für Ärzte und Patienten ermöglicht es den Patienten, schnell eine andere Praxis mit freien Terminen zu finden. KI kann für Dienstleister im Gesundheitswesen ein wirkungsvolles Mittel darstellen, wenn es darum geht, auf der Grundlage von Patientengeschichte oder Nutzungsmustern zu entscheiden, wer wann einen Termin bekommt, insbesondere da wir wissen, dass die Nachfrage für Leistungen des Gesundheitssystems schwanken kann.
Eine Lösung im Sinne von „Mensch mit Maschine“
Die optimale Wartezeit kann – auch mit Hilfe dieser Methoden – nicht auf Null gesenkt werden, da sie angesichts von Kapazitätsengpässen oft eine reglementierende Komponente darstellt. Aber die Möglichkeiten von Technologie und KI sind nahezu unerschöpflich, wenn es darum geht, die Terminvergabe effizienter zu gestalten. Nachdem Deutschland eigentlich eine der führenden Nationen im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist, überrascht es, dass innovative Wege zur Reduzierung der Wartezeiten bei Hausärzten nicht Teil der allgemeinen politischen Diskussion sind. Mit Blick auf die neue technologisch versierte Generation und das sich ständig verändernde externe Umfeld sollten wir die traditionellen Modelle der Gesundheitsversorgung überdenken. Natürlich ergeben sich mit dem Einsatz von Technologien im Gesundheitswesen eine Reihe von Fragen und Problemen, aber wir müssen diese nicht zu einem Problem von „Mensch gegen Maschine“ stilisieren, wenn es eigentlich um eine Lösung im Sinne von „Mensch mit Maschine“ geht.
Mujaheed Shaikh ist Professor of Health Governance an der Hertie School und befasst sich unter anderem mit Gesundheitsökonomie und aktuellen Herausforderungen für das Gesundheitswesen.