Kaum jemand hat schon einmal von ihnen gehört, aber ohne sie geht in der modernen digitalen Gesellschaft nichts. Die Rede ist von standardessenziellen Patenten (SEPs), die insbesondere im Mobilfunk für 5G und bald 6G unerlässlich sind. Trotz ihrer Bedeutung sind diese besonderen Patente bisher nicht europarechtlich reguliert – der neue Verordnungsvorschlag der Kommission ist deshalb ein überfälliger, aber höchst willkommener Aufschlag, möglichem Missbrauch vorzubeugen.
SEPs nehmen im Patentrecht eine Sonderrolle ein. Sie sind zwar keine eigene Kategorie von Patenten, sind aber durch ihre technische Alternativlosigkeit und die kartellrechtlich bedingte Pflicht zur Lizenzerteilung inklusive vorgegebener FRAND-Kriterien (fair, reasonable and non-discriminatory) nicht durch das patentrechtliche Ausschließlichkeitsrecht charakterisiert.
Verordnung soll SEP-Markt transparenter machen
Gegenwärtig sieht sich der SEP-Markt mit verschiedenen Schieflagen konfrontiert. So führt das Nebeneinander verschiedener Register und fehlender einheitlicher Essenzialitätsprüfungen dazu, dass Marktteilnehmer keine Gewissheit darüber haben, welche Patente wirklich standardessenziell sind. Außerdem können Unternehmen nur schwer einschätzen, wie hoch mögliche SEP-Lizenzgebühren sind und ob die ihnen angebotenen Lizenzbedingungen wirklich dem FRAND-Prinzip entsprechen.
Sowohl von Lizenzgebern als auch Implementierern, etwa aus den Reihen der IT-Branche, des Automobilsektors oder der IoT-Anwender, werden zudem die Langwierigkeit von Lizenzverhandlungen und beidseitige Verzögerungstaktiken kritisiert. Profiteure der derzeitigen Situation sind einige wenige Mobilfunkunternehmen aus den USA, Europa und wohl bald China, die den Großteil der Rechte an den relevanten SEPs halten.
Der Verordnungsentwurf der Kommission setzt sich deshalb das Ziel, die Transparenz im SEP-Markt zu erhöhen und Verhandlungen zwischen Lizenzgebern und Implementieren insgesamt zu erleichtern und zu beschleunigen. Mit Vorgaben zur Essenzialitätsprüfung und der Schaffung eines einheitlichen SEP-Registers sowie verpflichtenden außergerichtlichen Einigungsverfahren soll die zügige, einvernehmliche Lizenzfestlegung ermöglicht werden.
Die Vorteile dieses regulatorischen Eingriffs liegen auf der Hand: Mehr Transparenz führt zu mehr Chancengleichheit und bereitet den Weg hin zu effizienteren Lizenzverhandlungen. Außergerichtliche Schlichtungsverfahren ermöglichen eine schnellere Einigung von Streitigkeiten und entlasten Gerichte. Insgesamt wird die Regulierung zu einer höheren Preisstabilität führen, wovon sowohl SEP-Inhaber als auch Implementierer profitieren. Zudem sorgen SEP-Register und Essenzialitätsprüfungen auch dafür, dass zukünftig nur noch „echte“ SEPs lizenziert werden und andere, flankierende Patente nicht mehr fälschlicherweise unter eine SEP-Lizenzierung fallen.
KMUs erhalten große Vorteile
Die temporäre Einschränkung einiger patentrechtlicher Ansprüche während des Schlichtungsverfahrens erfolgt mit Augenmaß. Hier werde ich mich dafür starkmachen, letzte Unklarheiten im Entwurf der Kommission zu bereinigen und beispielsweise klarstellen, dass SEP-Inhaber vor Gericht einstweilige Verfügungen finanzieller Natur erwirken können. Insbesondere werde ich mich auch dafür einsetzen, dass das Ergebnis des FRAND-Bestimmungsverfahrens nicht bindend ist, um beiden Seiten den Rechtsweg offenzuhalten.
Speziell für kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) birgt der Vorschlag große Vorteile. Die mangelnde Transparenz führt dazu, dass KMUs potenzielle Lizenzgebühren kaum kalkulieren können und sich daher sorgen, Lizenzgebühren bei einer Forderung nicht bezahlen zu können. Darüber hinaus fehlt es an den finanziellen und personellen Ressourcen, um angebotene FRAND-Bedingungen zu überprüfen und gegebenenfalls eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Über die bereits vorgesehenen Vorteile eines transparenten SEP-Registers hinaus werde ich mich in den Verhandlungen dafür einsetzen, dass SEP-Inhaber KMUs gegebenenfalls vorteilhafte Lizenzen anbieten dürfen – ohne, dass das einen Einfluss auf die FRAND-Konditionen für größere Unternehmen hat.
Von Kritiker*innen wird die fehlende Kompetenz und mangelnde Erfahrung des für die Durchsetzung zuständigen Amtes der EU für geistiges Eigentum (EUIPO) im Bereich Patentrecht angeführt. Dabei wird jedoch unterschlagen, dass das Amt sehr wohl über Erfahrung im Umgang mit der Registerführung von geistigen Eigentumsrechten verfügt. Zudem ist das EUIPO, anders als das Europäische Patentamt, eine EU-Behörde und daher bereits aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten alternativlos. Für eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung vom EUIPO werden wir uns im EU-Parlament fraktionsübergreifend einsetzen.
Der Kerngedanke der Verordnung, durch Schaffung von Transparenz die benannten vielfältigen positiven Effekte auf den SEP-Bereich zu erreichen und gleichzeitig die Vorreiterrolle von Europa im Bereich der Telekommunikationsstandards zu erhalten, verdient unsere Unterstützung. Innovation geht nicht nur von SEP-Inhabern aus, sondern auch von den vielen Unternehmen, die mithilfe von etablierten Standards beispielsweise innovative IoT-Produkte auf den Weg bringen wollen. Hier liegt auch für SEP-Inhaber eine Chance: Wenn mehr Unternehmen aufgrund der neuen Transparenzregeln Technologie aus SEPs nutzen wollen, kommt das auch den Lizenzgebern zugute.
Für uns als Europäisches Parlament gilt es nun, gemeinsam für einen ausbalancierten Vorschlag zu sorgen – damit KMUs und andere SEP-Anwender nicht länger Ausbeutung durch unfaire Lizenzbedingungen fürchten müssen, aber gleichzeitig SEP-Inhaber ihre legitimen Rechte geltend machen können.
Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken ist Schattenberichterstatter der S&D-Fraktion im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments für die EU-Verordnung zu standardessenziellen Patenten.