Die Pisa-Studie der OECD hat unseren Schülern einmal mehr ein mäßiges Zeugnis ausgestellt. Man könnte fast meinen, das deutsche Bildungssystem habe sich im Mittelmaß eingerichtet. Die Standards in den Pisa-Disziplinen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft setzen andere. Länder wie Estland, Japan oder Finnland könnten unterschiedlicher nicht sein, aber sie eint, dass sie uns in der Bildung um einiges voraus sind.
Wohnort entscheidet immer noch über Bildungschancen
Aber wen kann das wirklich überraschen? Wir wissen um die Probleme, vor denen unser Bildungssystem steht. Heute wird genauso unterrichtet wie vor 40 Jahren zu meiner eigenen Schulzeit. Was früher das Sprachlabor war, ist heute der PC-Raum. Und wenn sich – wie in Hamburg – etwas ändert, Informatikunterricht abgeschafft und Theaterunterricht eingeführt wird, muss das kein Fortschritt sein.
Weiterhin gibt es in Deutschland strukturelle Ungerechtigkeiten anstelle von Chancengleichheit in der Bildung. Dabei ist es bei weitem nicht nur die finanzielle Situation im Elternhaus als vielmehr der Wohnort, der über Bildungschancen entscheidet. In den Lehrerzimmern fehlt der Nachwuchs, und das war lange absehbar. Die Bundesländer erhalten heute die Quittung dafür, dass sie über Jahre zu wenige Lehrkräfte ausgebildet und eingestellt haben.
Die Folgen: Der Krankenstand ist hoch, Unterricht fällt aus, die Schüler bleiben auf der Strecke. Derzeit versuchen viele Länder diesen Mangel durch den massenhaften Einsatz von Quereinsteigern notdürftig zu reparieren. Eine nachhaltige bildungspolitische Strategie ist das nicht. Und den hohen Ansprüchen, die wir an unsere Schulen in puncto Integration, Inklusion und sozialer Durchlässigkeit stellen, können wir so schon gar nicht gerecht werden.
Bei der Bildung betreiben wir Kirchturmpolitik
Dabei sind das längst nicht die einzigen Herausforderungen in diesen Zeiten beispiellosen Umbruchs. Die Digitalisierung verändert, wie wir leben und denken, lernen und arbeiten. Aber auf die digitale Frage können wir keine analoge Antwort geben. Unsere Anstrengungen in der Hochschul- und Forschungspolitik in den Bereichen Künstliche Intelligenz oder Cybersicherheit werden ad absurdum geführt, wenn unsere Schulen in analoger Nostalgie verharren. Die deutsche Digitalwirtschaft ist in Europa in vielen Bereichen bislang noch führend, aber diese Position lässt sich so nicht halten. Die Digitalisierung muss in den Schulen anfangen.
In unserem rohstoffarmen Land ist Bildung die wichtigste Ressource. Aber ausgerechnet in der Bildung betreiben wir Kirchturmpolitik. Wer einmal mit einem schulpflichtigen Kind von Nord- nach Süddeutschland zog, fühlt sich in die deutsche Kleinstaaterei des frühen 19. Jahrhunderts zurückversetzt. Bislang vergehen Jahrzehnte, bevor bildungspolitische Reformen greifen.
Das zeigt nicht zuletzt der Digitalpakt für die Digitalisierung der Schulen: Vor drei Jahren angekündigt, ist das Fünf-Milliarden-Paket bis heute nicht an den Schulen angekommen. Im digitalen Zeitalter aber haben wir keine Jahrzehnte, um umzusteuern. Uns läuft die Zeit weg und wir müssen heute entschieden und schnell handeln, wenn wir uns unsere Wirtschaftskraft erhalten wollen.
Unsere Schulen sollten unsere Kinder befähigen, sich selbstbestimmt und souverän in der digitalen Welt zu bewegen. Dafür müssen wir alle Schulen, von den Grund- bis zu den berufsbildenden Schulen, zu Smart Schools ausbauen: mit digitaler Infrastruktur, digitalen pädagogischen Konzepten und Inhalten und digitalkompetenten Lehrern.
Bildungsföderalismus in Frage stellen
Mit digitalen Technologien allein ist es aber nicht getan. Was wir brauchen, ist ein Kulturwandel. Wir müssen Bildung von Grund auf neu denken, wir müssen Schule von Grund auf neu denken und wir müssen unsere föderalen Strukturen von Grund auf neu denken. Der Bund sollte in die Lage versetzt werden, bundesweit gültige Mindeststandards zu setzen und jene Bundesländer und Schulen, die diese Standards nicht erreichen, unkompliziert unterstützen dürfen.
Mittelfristig muss es darum gehen, den Bildungsföderalismus an sich in Frage zu stellen. In der Bevölkerung gibt es dafür eine große Mehrheit. Drei von vier Bürgern sind der Ansicht, dass für Bildungspolitik ausschließlich der Bund verantwortlich sein sollte. Es gibt wenige Reformthemen, die eine so überwältigende Zustimmung in der Bevölkerung erfahren. Dies sollte die politischen Eliten im Bund und vor allem in den Ländern verpflichten.
Tiefgreifende Reformen erfordern auf allen Ebenen – von der Bildungspolitik über die Schulverwaltung bis zu den Schulen selbst – Kraft, Mut und Geld. Um einen entscheidenden Sprung nach vorn zu machen, müssen wir investieren, und zwar nicht allein in Geräte, sondern vor allem in digitale Infrastruktur und Lehrerausbildung.
Mittelfristig sollte es das Ziel sein, die Zahl der Lehrer zu verdoppeln. Ja, das wird nicht billig. Aber das sollte uns die Zukunft unserer Kinder Wert sein. Es ist eine Investition, um aus dem ewigen Mittelmaß auszubrechen, unseren Kindern die Chancen der digitalen Welt zu eröffnen und langfristig wirtschaftliches Wachstum, gesellschaftlichen Zusammenhalt und politische Handlungsfähigkeit zu sichern.
Achim Berg ist Präsident des Branchenverbands Bitkom, der mehr als 2.700 Unternehmen der digitalen Wirtschaft in Deutschland vertritt. Berg ist Partner bei General Atlantic, einem der weltweit größten Wachstumsinvestoren, und alleiniger Gesellschafter von Mabcon.